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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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nig, damit man glauben soll, er sey im Stande,
sehr vernünftig zu reden, wenn er sich nur ent-
schliessen wollte zu reden. Sein Anzug ist rein-
lich und ohne Pracht; aber er hat keinen Cre-
dit. Wenn er von der Religion mit Ehrfurcht
spricht, so geschieht es, um diejenigen in der
Stadt auf seine Seite zu ziehn, deren Zorn am
gefaehrlichsten ist. Ungeachtet er unverheira-
thet ist, so wird er doch niemals anders, als mit
einer gewissen Ehrfurcht, vom weiblichen Ge-
schlechte reden; aber, wollen sie etwan seinen
Roman wissen? In zwo Minuten will ich - - - -
Verzeihen sie, mein Herr; Warum sehen sie so
wütend aus? Sie verstehn mich unrecht. Ich
hatte gar nicht in Willens, sie zu beleidigen.
Nur aus Freundschaft gab ich mir die Mühe,
ihnen das Boese wieder zu erzaehlen, das man
in allen Gesellschaften von ihnen spricht. Sie
sollten das Glück haben, sich kennen zu lernen,
und nur in dieser Absicht redete ich so viel Uebels
von ihnen.

Und wenn die Begierde Boeses zu reden
weiter gar keinen Nutzen haette, als diesen, dass
sie uns gegen andere und gegen uns selbst auf-
merksam und vorsichtig macht; so verdiente sie
schon, auch dieses einzigen Nutzens wegen, alle
Hochachtung. So gar diejenigen, die am mei-
sten eigensinnig und von dem Vorurtheile nicht
abzubringen sind, dass die Begierde Boeses zu
reden ein Laster sey; auch diese würden sie

wenig-



nig, damit man glauben ſoll, er ſey im Stande,
ſehr vernünftig zu reden, wenn er ſich nur ent-
ſchlieſsen wollte zu reden. Sein Anzug iſt rein-
lich und ohne Pracht; aber er hat keinen Cre-
dit. Wenn er von der Religion mit Ehrfurcht
ſpricht, ſo geſchieht es, um diejenigen in der
Stadt auf ſeine Seite zu ziehn, deren Zorn am
gefaehrlichſten iſt. Ungeachtet er unverheira-
thet iſt, ſo wird er doch niemals anders, als mit
einer gewiſſen Ehrfurcht, vom weiblichen Ge-
ſchlechte reden; aber, wollen ſie etwan ſeinen
Roman wiſſen? In zwo Minuten will ich ‒ ‒ ‒ ‒
Verzeihen ſie, mein Herr; Warum ſehen ſie ſo
wütend aus? Sie verſtehn mich unrecht. Ich
hatte gar nicht in Willens, ſie zu beleidigen.
Nur aus Freundſchaft gab ich mir die Mühe,
ihnen das Boeſe wieder zu erzaehlen, das man
in allen Geſellſchaften von ihnen ſpricht. Sie
ſollten das Glück haben, ſich kennen zu lernen,
und nur in dieſer Abſicht redete ich ſo viel Uebels
von ihnen.

Und wenn die Begierde Boeſes zu reden
weiter gar keinen Nutzen haette, als dieſen, daſs
ſie uns gegen andere und gegen uns ſelbſt auf-
merkſam und vorſichtig macht; ſo verdiente ſie
ſchon, auch dieſes einzigen Nutzens wegen, alle
Hochachtung. So gar diejenigen, die am mei-
ſten eigenſinnig und von dem Vorurtheile nicht
abzubringen ſind, daſs die Begierde Boeſes zu
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[416/0438] nig, damit man glauben ſoll, er ſey im Stande, ſehr vernünftig zu reden, wenn er ſich nur ent- ſchlieſsen wollte zu reden. Sein Anzug iſt rein- lich und ohne Pracht; aber er hat keinen Cre- dit. Wenn er von der Religion mit Ehrfurcht ſpricht, ſo geſchieht es, um diejenigen in der Stadt auf ſeine Seite zu ziehn, deren Zorn am gefaehrlichſten iſt. Ungeachtet er unverheira- thet iſt, ſo wird er doch niemals anders, als mit einer gewiſſen Ehrfurcht, vom weiblichen Ge- ſchlechte reden; aber, wollen ſie etwan ſeinen Roman wiſſen? In zwo Minuten will ich ‒ ‒ ‒ ‒ Verzeihen ſie, mein Herr; Warum ſehen ſie ſo wütend aus? Sie verſtehn mich unrecht. Ich hatte gar nicht in Willens, ſie zu beleidigen. Nur aus Freundſchaft gab ich mir die Mühe, ihnen das Boeſe wieder zu erzaehlen, das man in allen Geſellſchaften von ihnen ſpricht. Sie ſollten das Glück haben, ſich kennen zu lernen, und nur in dieſer Abſicht redete ich ſo viel Uebels von ihnen. Und wenn die Begierde Boeſes zu reden weiter gar keinen Nutzen haette, als dieſen, daſs ſie uns gegen andere und gegen uns ſelbſt auf- merkſam und vorſichtig macht; ſo verdiente ſie ſchon, auch dieſes einzigen Nutzens wegen, alle Hochachtung. So gar diejenigen, die am mei- ſten eigenſinnig und von dem Vorurtheile nicht abzubringen ſind, daſs die Begierde Boeſes zu reden ein Laſter ſey; auch dieſe würden ſie wenig-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/438>, abgerufen am 22.11.2024.