Er schwieg endlich; aber das mussten wir ihm erlauben, dass er uns zwey Gassenlieder vorheul- te, eines wider den Koenig, und das andre wi- der die Beichtzeddel.
Was halten Sie, meine Herren, von diesem deutschen Franzosen? und von seiner Begierde, Boeses zu reden, von welchem gewiss die Haelf- te erdichtet war? Das meiste Boese redete er von sich selbst; Sollte er das aus Hochmuth, oder aus Bosheit des Herzens gethan haben? Wie wenig wahrscheinlich ist dieses! Aus Hoch- muth konnte es nicht seyn; denn alles, was er erzaehlte, war zu seiner Schande. Aus Bosheit gegen sich selbst konnte es noch viel weniger seyn; denn das Zeugniss kann ich ihm geben, dass er nichts in der Welt so sehr liebt, als seine kleine Person. Also musste wohl noch eine an- dre Ursache übrig seyn, die ihn bewegte Boeses von sich und von seinen Freunden zu reden. Noch zweifelhafter machten mich die Gassen- lieder, die er uns sang. Wenn das Volk in Paris schaendliche Lieder von dem singt, der ih- nen ihr Liebster ist; und darüber spottet, wovor es nieder kniet; Sollte es dieses wohl aus Hoch- muth oder aus Bosheit thun? Das war mir un- wahrscheinlich. Ich dachte weiter nach, und endlich war ich so glücklich, diese neue Ent- deckung zu machen, dass die Begierde, Boeses zu reden, aus einer ganz andern Quelle abzu- leiten sey.
Wenn
Er ſchwieg endlich; aber das muſsten wir ihm erlauben, daſs er uns zwey Gaſſenlieder vorheul- te, eines wider den Koenig, und das andre wi- der die Beichtzeddel.
Was halten Sie, meine Herren, von dieſem deutſchen Franzoſen? und von ſeiner Begierde, Boeſes zu reden, von welchem gewiſs die Haelf- te erdichtet war? Das meiſte Boeſe redete er von ſich ſelbſt; Sollte er das aus Hochmuth, oder aus Bosheit des Herzens gethan haben? Wie wenig wahrſcheinlich iſt dieſes! Aus Hoch- muth konnte es nicht ſeyn; denn alles, was er erzaehlte, war zu ſeiner Schande. Aus Bosheit gegen ſich ſelbſt konnte es noch viel weniger ſeyn; denn das Zeugniſs kann ich ihm geben, daſs er nichts in der Welt ſo ſehr liebt, als ſeine kleine Perſon. Alſo muſste wohl noch eine an- dre Urſache übrig ſeyn, die ihn bewegte Boeſes von ſich und von ſeinen Freunden zu reden. Noch zweifelhafter machten mich die Gaſſen- lieder, die er uns ſang. Wenn das Volk in Paris ſchaendliche Lieder von dem ſingt, der ih- nen ihr Liebſter iſt; und darüber ſpottet, wovor es nieder kniet; Sollte es dieſes wohl aus Hoch- muth oder aus Bosheit thun? Das war mir un- wahrſcheinlich. Ich dachte weiter nach, und endlich war ich ſo glücklich, dieſe neue Ent- deckung zu machen, daſs die Begierde, Boeſes zu reden, aus einer ganz andern Quelle abzu- leiten ſey.
Wenn
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[411/0433]
Er ſchwieg endlich; aber das muſsten wir ihm
erlauben, daſs er uns zwey Gaſſenlieder vorheul-
te, eines wider den Koenig, und das andre wi-
der die Beichtzeddel.
Was halten Sie, meine Herren, von dieſem
deutſchen Franzoſen? und von ſeiner Begierde,
Boeſes zu reden, von welchem gewiſs die Haelf-
te erdichtet war? Das meiſte Boeſe redete er
von ſich ſelbſt; Sollte er das aus Hochmuth,
oder aus Bosheit des Herzens gethan haben?
Wie wenig wahrſcheinlich iſt dieſes! Aus Hoch-
muth konnte es nicht ſeyn; denn alles, was er
erzaehlte, war zu ſeiner Schande. Aus Bosheit
gegen ſich ſelbſt konnte es noch viel weniger
ſeyn; denn das Zeugniſs kann ich ihm geben,
daſs er nichts in der Welt ſo ſehr liebt, als ſeine
kleine Perſon. Alſo muſste wohl noch eine an-
dre Urſache übrig ſeyn, die ihn bewegte Boeſes
von ſich und von ſeinen Freunden zu reden.
Noch zweifelhafter machten mich die Gaſſen-
lieder, die er uns ſang. Wenn das Volk in
Paris ſchaendliche Lieder von dem ſingt, der ih-
nen ihr Liebſter iſt; und darüber ſpottet, wovor
es nieder kniet; Sollte es dieſes wohl aus Hoch-
muth oder aus Bosheit thun? Das war mir un-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/433>, abgerufen am 22.11.2024.
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