Trieb, die wirklichen, oder auch die eingebil- deten Fehler einzelner Menschen, und wohl ganzer Gesellschaften und Voelker, gemeinig- lich auf eine lustige, oft auch ernsthafte Weise, andern bekannt zu machen, um sich und andre dadurch zu ergetzen, denen, die dergleichen Fehler wirklich haben, einen Abscheu davor beyzubringen, andre, die sie nicht haben, da- vor zu warnen, einen ieden aber gegen sich und andre aufmerksam, einen ieden tugendhaft, oder doch vorsichtig, mit einem Worte: die ganze Welt zu guten Mitbürgern zu machen!
Ich empfinde in mir selbst einen heiligen Schauer, wenn ich an die grosse Pflicht, Ue- bels von andern zu reden, gedenke. Ein pa- triotisches Mitleiden empfinde ich, wenn ich die unglückliche Blindheit derer erwaege, welche diese grosse Pflicht nicht allein selbst nicht beob- achten, sondern auch andern davor einen Ab- scheu beyzubringen suchen. Ein Werk der Na- tur, ein Werk, das sie nur vernünftigen Wesen vorzüglich gegoennet hat, dieses wollten wir den Menschen entreissen? So stossen wir ihn herab zu den nicht denkenden Geschoepfen, die die weise Natur dieses Vorzugs unwürdig ge- halten hat; So reissen wir die vornehmste Stütze über den Haufen, auf welcher das Vergnü- gen, die Sitten, und das Wohl der Men- schen sich gründen.
Ich
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Trieb, die wirklichen, oder auch die eingebil- deten Fehler einzelner Menſchen, und wohl ganzer Geſellſchaften und Voelker, gemeinig- lich auf eine luſtige, oft auch ernſthafte Weiſe, andern bekannt zu machen, um ſich und andre dadurch zu ergetzen, denen, die dergleichen Fehler wirklich haben, einen Abſcheu davor beyzubringen, andre, die ſie nicht haben, da- vor zu warnen, einen ieden aber gegen ſich und andre aufmerkſam, einen ieden tugendhaft, oder doch vorſichtig, mit einem Worte: die ganze Welt zu guten Mitbürgern zu machen!
Ich empfinde in mir ſelbſt einen heiligen Schauer, wenn ich an die groſse Pflicht, Ue- bels von andern zu reden, gedenke. Ein pa- triotiſches Mitleiden empfinde ich, wenn ich die unglückliche Blindheit derer erwaege, welche dieſe groſse Pflicht nicht allein ſelbſt nicht beob- achten, ſondern auch andern davor einen Ab- ſcheu beyzubringen ſuchen. Ein Werk der Na- tur, ein Werk, das ſie nur vernünftigen Weſen vorzüglich gegoennet hat, dieſes wollten wir den Menſchen entreiſſen? So ſtoſsen wir ihn herab zu den nicht denkenden Geſchoepfen, die die weiſe Natur dieſes Vorzugs unwürdig ge- halten hat; So reiſſen wir die vornehmſte Stütze über den Haufen, auf welcher das Vergnü- gen, die Sitten, und das Wohl der Men- ſchen ſich gründen.
Ich
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Trieb, die wirklichen, oder auch die eingebil-
deten Fehler einzelner Menſchen, und wohl
ganzer Geſellſchaften und Voelker, gemeinig-
lich auf eine luſtige, oft auch ernſthafte Weiſe,
andern bekannt zu machen, um ſich und andre
dadurch zu ergetzen, denen, die dergleichen
Fehler wirklich haben, einen Abſcheu davor
beyzubringen, andre, die ſie nicht haben, da-
vor zu warnen, einen ieden aber gegen ſich und
andre aufmerkſam, einen ieden tugendhaft, oder
doch vorſichtig, mit einem Worte: die ganze
Welt zu guten Mitbürgern zu machen!
Ich empfinde in mir ſelbſt einen heiligen
Schauer, wenn ich an die groſse Pflicht, Ue-
bels von andern zu reden, gedenke. Ein pa-
triotiſches Mitleiden empfinde ich, wenn ich die
unglückliche Blindheit derer erwaege, welche
dieſe groſse Pflicht nicht allein ſelbſt nicht beob-
achten, ſondern auch andern davor einen Ab-
ſcheu beyzubringen ſuchen. Ein Werk der Na-
tur, ein Werk, das ſie nur vernünftigen Weſen
vorzüglich gegoennet hat, dieſes wollten wir
den Menſchen entreiſſen? So ſtoſsen wir ihn
herab zu den nicht denkenden Geſchoepfen, die
die weiſe Natur dieſes Vorzugs unwürdig ge-
halten hat; So reiſſen wir die vornehmſte Stütze
über den Haufen, auf welcher das Vergnü-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/429>, abgerufen am 22.11.2024.
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