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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Pflicht, Boeses zu reden, sich erklaeren will.
Lauter verhasste Namen! Aber ich halte dieses
mehr für einen Fehler der Grammatik, als des
Herzens. Wir sind von der Nothwendigkeit
dieser Pflicht allzuwohl überzeugt, als dass wir
im Ernste so verhasste Begriffe damit verknüpfen
sollten. Unsre Auflührung widerspricht diesem
am meisten. Denn zum Ruhme meiner Deut-
schen muss ich hier bekennen, dass wir in der
Kunst Boeses zu reden, es beynahe unsern Nach-
barn gleich thun. Der Aberglaube der Maler
hat diese mütterlichen Vorurtheile noch mehr
gestaerket. Diese Herren sind nicht allemal ge-
wohnt, ihre Gemaelde den Originalen gemaess
einzurichten. Sie schmeicheln den Leidenschaf-
ten der Menschen, oder copiren denen nach,
die vor ihnen gemalt haben. Und daher koemmt
es, dass sie alle Prinzen weise und grossmüthig,
alle Richter ehrwürdig ernsthaft, alle Braeute mit
einer reizenden Unschuld, alle Geistliche fromm
und heilig, alle Teufel mit Hoernern und
Schwaenzen, und die Begierde, Boeses zu re-
den, mit Schlangen und spitzigen Zungen ma-
len. Lauter Fehler wider die Wahrschein-
lichkeit!

Und würden wir wohl im Stande seyn, der-
gleichen übereilte Fehler zu begehen, wenn wir
bedenken wollten, dass die Begierde Uebels zu
reden nichts anders sey, als ein von der Natur
uns vernünftigen Geschoepfen eingepflanzter

Trieb,



Pflicht, Boeſes zu reden, ſich erklaeren will.
Lauter verhaſste Namen! Aber ich halte dieſes
mehr für einen Fehler der Grammatik, als des
Herzens. Wir ſind von der Nothwendigkeit
dieſer Pflicht allzuwohl überzeugt, als daſs wir
im Ernſte ſo verhaſste Begriffe damit verknüpfen
ſollten. Unſre Auflührung widerſpricht dieſem
am meiſten. Denn zum Ruhme meiner Deut-
ſchen muſs ich hier bekennen, daſs wir in der
Kunſt Boeſes zu reden, es beynahe unſern Nach-
barn gleich thun. Der Aberglaube der Maler
hat dieſe mütterlichen Vorurtheile noch mehr
geſtaerket. Dieſe Herren ſind nicht allemal ge-
wohnt, ihre Gemaelde den Originalen gemaeſs
einzurichten. Sie ſchmeicheln den Leidenſchaf-
ten der Menſchen, oder copiren denen nach,
die vor ihnen gemalt haben. Und daher koemmt
es, daſs ſie alle Prinzen weiſe und groſsmüthig,
alle Richter ehrwürdig ernſthaft, alle Braeute mit
einer reizenden Unſchuld, alle Geiſtliche fromm
und heilig, alle Teufel mit Hoernern und
Schwaenzen, und die Begierde, Boeſes zu re-
den, mit Schlangen und ſpitzigen Zungen ma-
len. Lauter Fehler wider die Wahrſchein-
lichkeit!

Und würden wir wohl im Stande ſeyn, der-
gleichen übereilte Fehler zu begehen, wenn wir
bedenken wollten, daſs die Begierde Uebels zu
reden nichts anders ſey, als ein von der Natur
uns vernünftigen Geſchoepfen eingepflanzter

Trieb,
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[406/0428] Pflicht, Boeſes zu reden, ſich erklaeren will. Lauter verhaſste Namen! Aber ich halte dieſes mehr für einen Fehler der Grammatik, als des Herzens. Wir ſind von der Nothwendigkeit dieſer Pflicht allzuwohl überzeugt, als daſs wir im Ernſte ſo verhaſste Begriffe damit verknüpfen ſollten. Unſre Auflührung widerſpricht dieſem am meiſten. Denn zum Ruhme meiner Deut- ſchen muſs ich hier bekennen, daſs wir in der Kunſt Boeſes zu reden, es beynahe unſern Nach- barn gleich thun. Der Aberglaube der Maler hat dieſe mütterlichen Vorurtheile noch mehr geſtaerket. Dieſe Herren ſind nicht allemal ge- wohnt, ihre Gemaelde den Originalen gemaeſs einzurichten. Sie ſchmeicheln den Leidenſchaf- ten der Menſchen, oder copiren denen nach, die vor ihnen gemalt haben. Und daher koemmt es, daſs ſie alle Prinzen weiſe und groſsmüthig, alle Richter ehrwürdig ernſthaft, alle Braeute mit einer reizenden Unſchuld, alle Geiſtliche fromm und heilig, alle Teufel mit Hoernern und Schwaenzen, und die Begierde, Boeſes zu re- den, mit Schlangen und ſpitzigen Zungen ma- len. Lauter Fehler wider die Wahrſchein- lichkeit! Und würden wir wohl im Stande ſeyn, der- gleichen übereilte Fehler zu begehen, wenn wir bedenken wollten, daſs die Begierde Uebels zu reden nichts anders ſey, als ein von der Natur uns vernünftigen Geſchoepfen eingepflanzter Trieb,

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/428>, abgerufen am 22.11.2024.