Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhandlung von Sprüchwörtern.
digen Vertraulichkeit neben einer jungen Frau-
ensperson erblickt hätte, welche, wie mir der
Schiffer sagte, für eine Tochter der alten Bet-
schwester ausgegeben ward. Nun kannte ich
den jungen Tartüffe. Da er mich in Ansehung
seiner verstellten Sittsamkeit betrogen; so hatte
ich Ursache zu fürchten, daß seine Bescheiden-
heit und Demuth eben so geheuchelt wären.
Jch bedauerte diejenigen im voraus, welche künf-
tig in einer genauern Verbindung mit ihm ste-
hen sollen. So kriechend, und schüchtern er
gegenwärtig zu seyn scheint; so unerträglich wird
seine Eigenliebe, und sein geistlicher Hochmuth
seyn, welcher desto gefährlicher ist, da er die
Ehrenbezeugungen niemals für sich, sondern alle-
mal für sein Amt fodert. Kann man wohl
von ihm hoffen, daß seine Aufführung exem-
plarisch seyn wird? Anfänglich wird er sich al-
le Ausschweifungen verstatten, die er genießen
kann, ohne verrathen zu werden: Endlich aber
wird er mit weniger Vorsicht lasterhaft seyn,
da ihn die Gewohnheit unverschämt und sicher
macht. Jch will dafür sorgen, daß er nicht um-
sonst hochmüthig und lasterhaft sey. Er und seine
ihm ähnlichen Collegen können die Erlaubniß, ehr-
würdig zu heißen, nicht theuer genug bezahlen.

Auf ein Wort, nur auf ein einziges Wort,
Herr Panßa, rief mir eine bekannte Stimme
zu, da ich schon den einen Fuß aus dem Schiffe
gesetzt hatte. Jch sahe mich um, und erblickte
den alten Bürgermeister aus meinem Städt-

chen,
A a

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
digen Vertraulichkeit neben einer jungen Frau-
ensperſon erblickt haͤtte, welche, wie mir der
Schiffer ſagte, fuͤr eine Tochter der alten Bet-
ſchweſter ausgegeben ward. Nun kannte ich
den jungen Tartuͤffe. Da er mich in Anſehung
ſeiner verſtellten Sittſamkeit betrogen; ſo hatte
ich Urſache zu fuͤrchten, daß ſeine Beſcheiden-
heit und Demuth eben ſo geheuchelt waͤren.
Jch bedauerte diejenigen im voraus, welche kuͤnf-
tig in einer genauern Verbindung mit ihm ſte-
hen ſollen. So kriechend, und ſchuͤchtern er
gegenwaͤrtig zu ſeyn ſcheint; ſo unertraͤglich wird
ſeine Eigenliebe, und ſein geiſtlicher Hochmuth
ſeyn, welcher deſto gefaͤhrlicher iſt, da er die
Ehrenbezeugungen niemals fuͤr ſich, ſondern alle-
mal fuͤr ſein Amt fodert. Kann man wohl
von ihm hoffen, daß ſeine Auffuͤhrung exem-
plariſch ſeyn wird? Anfaͤnglich wird er ſich al-
le Ausſchweifungen verſtatten, die er genießen
kann, ohne verrathen zu werden: Endlich aber
wird er mit weniger Vorſicht laſterhaft ſeyn,
da ihn die Gewohnheit unverſchaͤmt und ſicher
macht. Jch will dafuͤr ſorgen, daß er nicht um-
ſonſt hochmuͤthig und laſterhaft ſey. Er und ſeine
ihm aͤhnlichen Collegen koͤnnen die Erlaubniß, ehr-
wuͤrdig zu heißen, nicht theuer genug bezahlen.

Auf ein Wort, nur auf ein einziges Wort,
Herr Panßa, rief mir eine bekannte Stimme
zu, da ich ſchon den einen Fuß aus dem Schiffe
geſetzt hatte. Jch ſahe mich um, und erblickte
den alten Buͤrgermeiſter aus meinem Staͤdt-

chen,
A a
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0391" n="369"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung von Spru&#x0364;chwo&#x0364;rtern.</hi></fw><lb/>
digen Vertraulichkeit neben einer jungen Frau-<lb/>
ensper&#x017F;on erblickt ha&#x0364;tte, welche, wie mir der<lb/>
Schiffer &#x017F;agte, fu&#x0364;r eine Tochter der alten Bet-<lb/>
&#x017F;chwe&#x017F;ter ausgegeben ward. Nun kannte ich<lb/>
den jungen Tartu&#x0364;ffe. Da er mich in An&#x017F;ehung<lb/>
&#x017F;einer ver&#x017F;tellten Sitt&#x017F;amkeit betrogen; &#x017F;o hatte<lb/>
ich Ur&#x017F;ache zu fu&#x0364;rchten, daß &#x017F;eine Be&#x017F;cheiden-<lb/>
heit und Demuth eben &#x017F;o geheuchelt wa&#x0364;ren.<lb/>
Jch bedauerte diejenigen im voraus, welche ku&#x0364;nf-<lb/>
tig in einer genauern Verbindung mit ihm &#x017F;te-<lb/>
hen &#x017F;ollen. So kriechend, und &#x017F;chu&#x0364;chtern er<lb/>
gegenwa&#x0364;rtig zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint; &#x017F;o unertra&#x0364;glich wird<lb/>
&#x017F;eine Eigenliebe, und &#x017F;ein gei&#x017F;tlicher Hochmuth<lb/>
&#x017F;eyn, welcher de&#x017F;to gefa&#x0364;hrlicher i&#x017F;t, da er die<lb/>
Ehrenbezeugungen niemals fu&#x0364;r &#x017F;ich, &#x017F;ondern alle-<lb/>
mal fu&#x0364;r &#x017F;ein Amt fodert. Kann man wohl<lb/>
von ihm hoffen, daß &#x017F;eine Auffu&#x0364;hrung exem-<lb/>
plari&#x017F;ch &#x017F;eyn wird? Anfa&#x0364;nglich wird er &#x017F;ich al-<lb/>
le Aus&#x017F;chweifungen ver&#x017F;tatten, die er genießen<lb/>
kann, ohne verrathen zu werden: Endlich aber<lb/>
wird er mit weniger Vor&#x017F;icht la&#x017F;terhaft &#x017F;eyn,<lb/>
da ihn die Gewohnheit unver&#x017F;cha&#x0364;mt und &#x017F;icher<lb/>
macht. Jch will dafu&#x0364;r &#x017F;orgen, daß er nicht um-<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t hochmu&#x0364;thig und la&#x017F;terhaft &#x017F;ey. Er und &#x017F;eine<lb/>
ihm a&#x0364;hnlichen Collegen ko&#x0364;nnen die Erlaubniß, ehr-<lb/>
wu&#x0364;rdig zu heißen, nicht theuer genug bezahlen.</p><lb/>
          <p>Auf ein Wort, nur auf ein einziges Wort,<lb/>
Herr Panßa, rief mir eine bekannte Stimme<lb/>
zu, da ich &#x017F;chon den einen Fuß aus dem Schiffe<lb/>
ge&#x017F;etzt hatte. Jch &#x017F;ahe mich um, und erblickte<lb/>
den alten Bu&#x0364;rgermei&#x017F;ter aus meinem Sta&#x0364;dt-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a</fw><fw place="bottom" type="catch">chen,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0391] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. digen Vertraulichkeit neben einer jungen Frau- ensperſon erblickt haͤtte, welche, wie mir der Schiffer ſagte, fuͤr eine Tochter der alten Bet- ſchweſter ausgegeben ward. Nun kannte ich den jungen Tartuͤffe. Da er mich in Anſehung ſeiner verſtellten Sittſamkeit betrogen; ſo hatte ich Urſache zu fuͤrchten, daß ſeine Beſcheiden- heit und Demuth eben ſo geheuchelt waͤren. Jch bedauerte diejenigen im voraus, welche kuͤnf- tig in einer genauern Verbindung mit ihm ſte- hen ſollen. So kriechend, und ſchuͤchtern er gegenwaͤrtig zu ſeyn ſcheint; ſo unertraͤglich wird ſeine Eigenliebe, und ſein geiſtlicher Hochmuth ſeyn, welcher deſto gefaͤhrlicher iſt, da er die Ehrenbezeugungen niemals fuͤr ſich, ſondern alle- mal fuͤr ſein Amt fodert. Kann man wohl von ihm hoffen, daß ſeine Auffuͤhrung exem- plariſch ſeyn wird? Anfaͤnglich wird er ſich al- le Ausſchweifungen verſtatten, die er genießen kann, ohne verrathen zu werden: Endlich aber wird er mit weniger Vorſicht laſterhaft ſeyn, da ihn die Gewohnheit unverſchaͤmt und ſicher macht. Jch will dafuͤr ſorgen, daß er nicht um- ſonſt hochmuͤthig und laſterhaft ſey. Er und ſeine ihm aͤhnlichen Collegen koͤnnen die Erlaubniß, ehr- wuͤrdig zu heißen, nicht theuer genug bezahlen. Auf ein Wort, nur auf ein einziges Wort, Herr Panßa, rief mir eine bekannte Stimme zu, da ich ſchon den einen Fuß aus dem Schiffe geſetzt hatte. Jch ſahe mich um, und erblickte den alten Buͤrgermeiſter aus meinem Staͤdt- chen, A a

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/391
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/391>, abgerufen am 19.05.2024.