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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.

Nach diesen Sätzen und einem genauen Ue-
berschlage, den ich gemacht, hätte ich also von ihm
binnen einer Zeit von fünf Minuten verdient 7 fl.

Durch dergleichen Betrachtungen suchte ich
mir die Unannehmlichkeit der Reise und der schlech-
ten Gesellschaft zu erleichtern. Jnzwischen waren
wir in die Gegend gekommen, wo ich wegen mei-
ner Geschäffte ans Land steigen mußte. Jn der
That verließ ich das Schiff sehr ungern, da ich
unter dem Haufen bereits einige Originale be-
merkt hatte, die ich wohl etwas genauer hätte
kennen mögen.

Unter vielen andern fiel mir ein junger Mensch
am meisten in die Augen, welcher nur zwo Stellen
von mir in einem dunkeln Winkel saß, den Hut
tief ins Gesicht gedrückt hatte, immer mit sich selbst
sprach, bisweilen die Augen gen Himmel richtete,
manchmal mit den Füßen stampfte, und anders
nicht die misvergnügte Mine ablegte, als wenn er
durch ein bittres Lächeln seine Unzufriedenheit aus-
drücken wollte. Einige Tage darauf erfuhr ich,
daß er der Sohn eines bemittelten Kaufmanns
sey, daß er bey einem ganz gesunden Körper, bey
reichem Ueberflusse, bey aller Bequemlichkeit, die
das menschliche Leben wünschen kann, und, was
das Lächerlichste ist, bey einem wirklich vergnüg-
ten Herzen dennoch die Thorheit begehe, sich krank,
milzsüchtig, und mit der ganzen Welt unzufrieden
zu stellen, und alles dieses nur in der Absicht, um
in Gesellschaften bemerkt zu werden. Er hat diese

Rolle
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.

Nach dieſen Saͤtzen und einem genauen Ue-
berſchlage, den ich gemacht, haͤtte ich alſo von ihm
binnen einer Zeit von fuͤnf Minuten verdient 7 fl.

Durch dergleichen Betrachtungen ſuchte ich
mir die Unannehmlichkeit der Reiſe und der ſchlech-
ten Geſellſchaft zu erleichtern. Jnzwiſchen waren
wir in die Gegend gekommen, wo ich wegen mei-
ner Geſchaͤffte ans Land ſteigen mußte. Jn der
That verließ ich das Schiff ſehr ungern, da ich
unter dem Haufen bereits einige Originale be-
merkt hatte, die ich wohl etwas genauer haͤtte
kennen moͤgen.

Unter vielen andern fiel mir ein junger Menſch
am meiſten in die Augen, welcher nur zwo Stellen
von mir in einem dunkeln Winkel ſaß, den Hut
tief ins Geſicht gedruͤckt hatte, immer mit ſich ſelbſt
ſprach, bisweilen die Augen gen Himmel richtete,
manchmal mit den Fuͤßen ſtampfte, und anders
nicht die misvergnuͤgte Mine ablegte, als wenn er
durch ein bittres Laͤcheln ſeine Unzufriedenheit aus-
druͤcken wollte. Einige Tage darauf erfuhr ich,
daß er der Sohn eines bemittelten Kaufmanns
ſey, daß er bey einem ganz geſunden Koͤrper, bey
reichem Ueberfluſſe, bey aller Bequemlichkeit, die
das menſchliche Leben wuͤnſchen kann, und, was
das Laͤcherlichſte iſt, bey einem wirklich vergnuͤg-
ten Herzen dennoch die Thorheit begehe, ſich krank,
milzſuͤchtig, und mit der ganzen Welt unzufrieden
zu ſtellen, und alles dieſes nur in der Abſicht, um
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[365/0387] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. Nach dieſen Saͤtzen und einem genauen Ue- berſchlage, den ich gemacht, haͤtte ich alſo von ihm binnen einer Zeit von fuͤnf Minuten verdient 7 fl. Durch dergleichen Betrachtungen ſuchte ich mir die Unannehmlichkeit der Reiſe und der ſchlech- ten Geſellſchaft zu erleichtern. Jnzwiſchen waren wir in die Gegend gekommen, wo ich wegen mei- ner Geſchaͤffte ans Land ſteigen mußte. Jn der That verließ ich das Schiff ſehr ungern, da ich unter dem Haufen bereits einige Originale be- merkt hatte, die ich wohl etwas genauer haͤtte kennen moͤgen. Unter vielen andern fiel mir ein junger Menſch am meiſten in die Augen, welcher nur zwo Stellen von mir in einem dunkeln Winkel ſaß, den Hut tief ins Geſicht gedruͤckt hatte, immer mit ſich ſelbſt ſprach, bisweilen die Augen gen Himmel richtete, manchmal mit den Fuͤßen ſtampfte, und anders nicht die misvergnuͤgte Mine ablegte, als wenn er durch ein bittres Laͤcheln ſeine Unzufriedenheit aus- druͤcken wollte. Einige Tage darauf erfuhr ich, daß er der Sohn eines bemittelten Kaufmanns ſey, daß er bey einem ganz geſunden Koͤrper, bey reichem Ueberfluſſe, bey aller Bequemlichkeit, die das menſchliche Leben wuͤnſchen kann, und, was das Laͤcherlichſte iſt, bey einem wirklich vergnuͤg- ten Herzen dennoch die Thorheit begehe, ſich krank, milzſuͤchtig, und mit der ganzen Welt unzufrieden zu ſtellen, und alles dieſes nur in der Abſicht, um in Geſellſchaften bemerkt zu werden. Er hat dieſe Rolle

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/387>, abgerufen am 19.05.2024.