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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
sagte ich, den kenne ich recht wohl; was macht
der ehrliche Mann? Jch habe ihm noch in vori-
ger Messe abgekauft - - "Wem? fragte er
"mich mit weit aufgesperrten Augen; dem Hu-
"ber? Der Mann ist ja lange todt. Er war ein
"großer Rechtsgelehrter in Franecker!" So
bitte ich um Vergebung, mein Herr; ich glaubte,
sie meynten den Kaufmann in Frankfurt, von
dem ich meine Haarsiebe nehme. Der gute
Richter sahe mich vom neuen mit Erstaunen an.
"Sind sie denn kein Gelehrter, mein Herr?"
O! nein, mein Herr, antwortete ich ganz demü-
thig, und schüchtern; ich bin ein ehrlicher Schnei-
der aus Sachsenhausen - - - Das war
ein Donnerschlag für meinen weisen Richter, wel-
cher vermuthlich in Willens gehabt haben mochte,
mir noch viele juristische Weisheit vorzupredigen.
Nun sah er mich mit der Verachtung an, mit welcher
Gelehrte seiner Art auf Handwerksleute herabsehen:
und nachdem sein Hochmuth es michgenug hatte em-
pfinden lassen, daß er ein Richter, und ich, wie er
glaubte, nur ein armer Schneider war, so sprach
er endlich mit einer trotzigen Miene: "Aber, mein
"Freund, das hätte er gleich sagen können, daß er
"ein Schneider ist; ich würde mir nicht haben
"einfallen lassen, mit ihm von gelehrten Sachen,
"und so vertraut, zu reden!" Jch beugte mich tief,
und freute mich, daß ich Gelegenheit gehabt hatte,
einen neuen Narren kennen zu lernen, und zwar
einen so ergiebigen Narren, den ich auf vielerley Art
bey meiner Gedankensteuer nutzen kann.

Die
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ſagte ich, den kenne ich recht wohl; was macht
der ehrliche Mann? Jch habe ihm noch in vori-
ger Meſſe abgekauft ‒ ‒ „Wem? fragte er
„mich mit weit aufgeſperrten Augen; dem Hu-
„ber? Der Mann iſt ja lange todt. Er war ein
„großer Rechtsgelehrter in Franecker!„ So
bitte ich um Vergebung, mein Herr; ich glaubte,
ſie meynten den Kaufmann in Frankfurt, von
dem ich meine Haarſiebe nehme. Der gute
Richter ſahe mich vom neuen mit Erſtaunen an.
„Sind ſie denn kein Gelehrter, mein Herr?„
O! nein, mein Herr, antwortete ich ganz demuͤ-
thig, und ſchuͤchtern; ich bin ein ehrlicher Schnei-
der aus Sachſenhauſen ‒ ‒ ‒ Das war
ein Donnerſchlag fuͤr meinen weiſen Richter, wel-
cher vermuthlich in Willens gehabt haben mochte,
mir noch viele juriſtiſche Weisheit vorzupredigen.
Nun ſah er mich mit der Verachtung an, mit welcher
Gelehrte ſeiner Art auf Handwerksleute herabſehen:
und nachdem ſein Hochmuth es michgenug hatte em-
pfinden laſſen, daß er ein Richter, und ich, wie er
glaubte, nur ein armer Schneider war, ſo ſprach
er endlich mit einer trotzigen Miene: „Aber, mein
„Freund, das haͤtte er gleich ſagen koͤnnen, daß er
„ein Schneider iſt; ich wuͤrde mir nicht haben
„einfallen laſſen, mit ihm von gelehrten Sachen,
„und ſo vertraut, zu reden!„ Jch beugte mich tief,
und freute mich, daß ich Gelegenheit gehabt hatte,
einen neuen Narren kennen zu lernen, und zwar
einen ſo ergiebigen Narren, den ich auf vielerley Art
bey meiner Gedankenſteuer nutzen kann.

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Z 5
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[361/0383] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ſagte ich, den kenne ich recht wohl; was macht der ehrliche Mann? Jch habe ihm noch in vori- ger Meſſe abgekauft ‒ ‒ „Wem? fragte er „mich mit weit aufgeſperrten Augen; dem Hu- „ber? Der Mann iſt ja lange todt. Er war ein „großer Rechtsgelehrter in Franecker!„ So bitte ich um Vergebung, mein Herr; ich glaubte, ſie meynten den Kaufmann in Frankfurt, von dem ich meine Haarſiebe nehme. Der gute Richter ſahe mich vom neuen mit Erſtaunen an. „Sind ſie denn kein Gelehrter, mein Herr?„ O! nein, mein Herr, antwortete ich ganz demuͤ- thig, und ſchuͤchtern; ich bin ein ehrlicher Schnei- der aus Sachſenhauſen ‒ ‒ ‒ Das war ein Donnerſchlag fuͤr meinen weiſen Richter, wel- cher vermuthlich in Willens gehabt haben mochte, mir noch viele juriſtiſche Weisheit vorzupredigen. Nun ſah er mich mit der Verachtung an, mit welcher Gelehrte ſeiner Art auf Handwerksleute herabſehen: und nachdem ſein Hochmuth es michgenug hatte em- pfinden laſſen, daß er ein Richter, und ich, wie er glaubte, nur ein armer Schneider war, ſo ſprach er endlich mit einer trotzigen Miene: „Aber, mein „Freund, das haͤtte er gleich ſagen koͤnnen, daß er „ein Schneider iſt; ich wuͤrde mir nicht haben „einfallen laſſen, mit ihm von gelehrten Sachen, „und ſo vertraut, zu reden!„ Jch beugte mich tief, und freute mich, daß ich Gelegenheit gehabt hatte, einen neuen Narren kennen zu lernen, und zwar einen ſo ergiebigen Narren, den ich auf vielerley Art bey meiner Gedankenſteuer nutzen kann. Die Z 5

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/383>, abgerufen am 18.05.2024.