Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhandlung von Sprüchwörtern.
würfe machen muß, daß nur er durch die unbe-
dachtsamen Erzählungen seiner jugendlichen Thor-
heiten, sein Kind zur Bosheit gereizet habe, daß
er selbst der Henker seines unglücklichen Soh-
nes sey?

Weil eine dergleichen klägliche Erfahrung oft
erst nach späten Jahren kömmt, und viele Aeltern
sie nicht einmal erleben: so will ich versuchen,
ob ich diesen traurigen Folgen durch meine Ge-
dankensteuer vorbeugen kann.

Für eine jede Sünde ihrer Jugend, deren sie
sich rühmen, erlegen sie - 5 fl. Und ist es
nicht einmal wahr, daß sie diese Sünde begangen
haben, wie es oft nicht wahr, und nur eine unbe-
sonnene Eitelkeit ist, sich dergleichen zu rühmen;
so geben sie diese Summe doppelt.

Für die schändliche Zufriedenheit, die diese
alten Narren empfinden, daß sie Thoren gewesen
sind, können sie weniger nicht geben, als - 1 fl. -

Wollen sie verlangen, daß ihre Kinder tugend-
hafter seyn sollen, als sie selbst gewesen sind; so
erlegen sie - - - - - - 2 fl. - -

Finden sie, daß ihre Kinder in ihre Fußtapfen
treten, und sind noch so ungerecht, darüber zu jam-
mern und mit einem albernen: Aber zu unsrer Zeit
war es ganz anders!
die Schuld von sich weg,
und auf die verschlimmerten Zeiten zu schieben;

so
T

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
wuͤrfe machen muß, daß nur er durch die unbe-
dachtſamen Erzaͤhlungen ſeiner jugendlichen Thor-
heiten, ſein Kind zur Bosheit gereizet habe, daß
er ſelbſt der Henker ſeines ungluͤcklichen Soh-
nes ſey?

Weil eine dergleichen klaͤgliche Erfahrung oft
erſt nach ſpaͤten Jahren koͤmmt, und viele Aeltern
ſie nicht einmal erleben: ſo will ich verſuchen,
ob ich dieſen traurigen Folgen durch meine Ge-
dankenſteuer vorbeugen kann.

Fuͤr eine jede Suͤnde ihrer Jugend, deren ſie
ſich ruͤhmen, erlegen ſie ‒ 5 fl. Und iſt es
nicht einmal wahr, daß ſie dieſe Suͤnde begangen
haben, wie es oft nicht wahr, und nur eine unbe-
ſonnene Eitelkeit iſt, ſich dergleichen zu ruͤhmen;
ſo geben ſie dieſe Summe doppelt.

Fuͤr die ſchaͤndliche Zufriedenheit, die dieſe
alten Narren empfinden, daß ſie Thoren geweſen
ſind, koͤnnen ſie weniger nicht geben, als ‒ 1 fl. ‒

Wollen ſie verlangen, daß ihre Kinder tugend-
hafter ſeyn ſollen, als ſie ſelbſt geweſen ſind; ſo
erlegen ſie ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 2 fl. ‒ ‒

Finden ſie, daß ihre Kinder in ihre Fußtapfen
treten, und ſind noch ſo ungerecht, daruͤber zu jam-
mern und mit einem albernen: Aber zu unſrer Zeit
war es ganz anders!
die Schuld von ſich weg,
und auf die verſchlimmerten Zeiten zu ſchieben;

ſo
T
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0311" n="289"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung von Spru&#x0364;chwo&#x0364;rtern.</hi></fw><lb/>
wu&#x0364;rfe machen muß, daß nur er durch die unbe-<lb/>
dacht&#x017F;amen Erza&#x0364;hlungen &#x017F;einer jugendlichen Thor-<lb/>
heiten, &#x017F;ein Kind zur Bosheit gereizet habe, daß<lb/>
er &#x017F;elb&#x017F;t der Henker &#x017F;eines unglu&#x0364;cklichen Soh-<lb/>
nes &#x017F;ey?</p><lb/>
          <p>Weil eine dergleichen kla&#x0364;gliche Erfahrung oft<lb/>
er&#x017F;t nach &#x017F;pa&#x0364;ten Jahren ko&#x0364;mmt, und viele Aeltern<lb/>
&#x017F;ie nicht einmal erleben: &#x017F;o will ich ver&#x017F;uchen,<lb/>
ob ich die&#x017F;en traurigen Folgen durch meine Ge-<lb/>
danken&#x017F;teuer vorbeugen kann.</p><lb/>
          <p>Fu&#x0364;r eine jede Su&#x0364;nde ihrer Jugend, deren &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich ru&#x0364;hmen, erlegen &#x017F;ie &#x2012; 5 fl. Und i&#x017F;t es<lb/>
nicht einmal wahr, daß &#x017F;ie die&#x017F;e Su&#x0364;nde begangen<lb/>
haben, wie es oft nicht wahr, und nur eine unbe-<lb/>
&#x017F;onnene Eitelkeit i&#x017F;t, &#x017F;ich dergleichen zu ru&#x0364;hmen;<lb/>
&#x017F;o geben &#x017F;ie die&#x017F;e Summe doppelt.</p><lb/>
          <p>Fu&#x0364;r die &#x017F;cha&#x0364;ndliche Zufriedenheit, die die&#x017F;e<lb/>
alten Narren empfinden, daß &#x017F;ie Thoren gewe&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ind, ko&#x0364;nnen &#x017F;ie weniger nicht geben, als &#x2012; 1 fl. &#x2012;</p><lb/>
          <p>Wollen &#x017F;ie verlangen, daß ihre Kinder tugend-<lb/>
hafter &#x017F;eyn &#x017F;ollen, als &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t gewe&#x017F;en &#x017F;ind; &#x017F;o<lb/>
erlegen &#x017F;ie &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012; 2 fl. &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Finden &#x017F;ie, daß ihre Kinder in ihre Fußtapfen<lb/>
treten, und &#x017F;ind noch &#x017F;o ungerecht, daru&#x0364;ber zu jam-<lb/>
mern und mit einem albernen: <hi rendition="#fr">Aber zu un&#x017F;rer Zeit<lb/>
war es ganz anders!</hi> die Schuld von &#x017F;ich weg,<lb/>
und auf die ver&#x017F;chlimmerten Zeiten zu &#x017F;chieben;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;o</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0311] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. wuͤrfe machen muß, daß nur er durch die unbe- dachtſamen Erzaͤhlungen ſeiner jugendlichen Thor- heiten, ſein Kind zur Bosheit gereizet habe, daß er ſelbſt der Henker ſeines ungluͤcklichen Soh- nes ſey? Weil eine dergleichen klaͤgliche Erfahrung oft erſt nach ſpaͤten Jahren koͤmmt, und viele Aeltern ſie nicht einmal erleben: ſo will ich verſuchen, ob ich dieſen traurigen Folgen durch meine Ge- dankenſteuer vorbeugen kann. Fuͤr eine jede Suͤnde ihrer Jugend, deren ſie ſich ruͤhmen, erlegen ſie ‒ 5 fl. Und iſt es nicht einmal wahr, daß ſie dieſe Suͤnde begangen haben, wie es oft nicht wahr, und nur eine unbe- ſonnene Eitelkeit iſt, ſich dergleichen zu ruͤhmen; ſo geben ſie dieſe Summe doppelt. Fuͤr die ſchaͤndliche Zufriedenheit, die dieſe alten Narren empfinden, daß ſie Thoren geweſen ſind, koͤnnen ſie weniger nicht geben, als ‒ 1 fl. ‒ Wollen ſie verlangen, daß ihre Kinder tugend- hafter ſeyn ſollen, als ſie ſelbſt geweſen ſind; ſo erlegen ſie ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 2 fl. ‒ ‒ Finden ſie, daß ihre Kinder in ihre Fußtapfen treten, und ſind noch ſo ungerecht, daruͤber zu jam- mern und mit einem albernen: Aber zu unſrer Zeit war es ganz anders! die Schuld von ſich weg, und auf die verſchlimmerten Zeiten zu ſchieben; ſo T

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/311
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/311>, abgerufen am 23.11.2024.