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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
windet sich endlich, ihm die Tochter zu geben, und
es sind kaum zwey Jahre vorbey, als der arme
Hofrath durch den Stolz seiner neuen Frau zu ei-
ner solchen Verzweiflung gebracht wird, daß er
glaubt, seine erste Frau sey ihm noch viel zu früh
gestorben. Die Reihe ist nunmehr an ihm, ver-
achtet zu werden. Der meiste Theil seines Ver-
mögens ist durch einen prächtigen Aufwand ver-
schwendet worden. Seine Aeltern merken nun-
mehr, daß seine Reichthümer so unerschöpflich
nicht sind, als er es ihnen anfänglich zu bereden
gesucht hat. Sie fangen an, ihre Uebereilung
zu bereuen, und werfen ihm vor, daß er sie um
ihre Tochter betrogen habe. Jhre Tochter glaubt
eben das, und sieht dem Augenblicke mit Schrek-
ken entgegen, wo sie die Frau eines Mannes ohne
Familie, ohne Sitten, ohne Verstand, und was
das allerschlimmste ist, ohne Vermögen bleiben
soll. Das einzige Mittel sich zu retten, ist der Tod
ihres Mannes. Sie wünscht es, sie sagt es ihm,
daß er sehr wohl thun werde, wenn er stürbe. Alle
Kunstgriffe, die er angewendet hat, seiner ersten
Frau das Leben verhaßt zu machen, werden itzt
verdoppelt, ihn auf eben diesen guten Einfall zu
bringen. Fast wünscht er sich selbst diese Art der
Erlösung. Er könnte sich, als Medicus, die
Mühe erleichtern; aber die Pflicht eines Arztes
ist, nur andern in dergleichen Fällen zu dienen.
Er lebt also, und erwartet den Tod sehnlich. Der
Tod ist taub; denn man weis schon, wie viel dem
Tode daran liegt, daß ein unwissender Medicus

leben

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
windet ſich endlich, ihm die Tochter zu geben, und
es ſind kaum zwey Jahre vorbey, als der arme
Hofrath durch den Stolz ſeiner neuen Frau zu ei-
ner ſolchen Verzweiflung gebracht wird, daß er
glaubt, ſeine erſte Frau ſey ihm noch viel zu fruͤh
geſtorben. Die Reihe iſt nunmehr an ihm, ver-
achtet zu werden. Der meiſte Theil ſeines Ver-
moͤgens iſt durch einen praͤchtigen Aufwand ver-
ſchwendet worden. Seine Aeltern merken nun-
mehr, daß ſeine Reichthuͤmer ſo unerſchoͤpflich
nicht ſind, als er es ihnen anfaͤnglich zu bereden
geſucht hat. Sie fangen an, ihre Uebereilung
zu bereuen, und werfen ihm vor, daß er ſie um
ihre Tochter betrogen habe. Jhre Tochter glaubt
eben das, und ſieht dem Augenblicke mit Schrek-
ken entgegen, wo ſie die Frau eines Mannes ohne
Familie, ohne Sitten, ohne Verſtand, und was
das allerſchlimmſte iſt, ohne Vermoͤgen bleiben
ſoll. Das einzige Mittel ſich zu retten, iſt der Tod
ihres Mannes. Sie wuͤnſcht es, ſie ſagt es ihm,
daß er ſehr wohl thun werde, wenn er ſtuͤrbe. Alle
Kunſtgriffe, die er angewendet hat, ſeiner erſten
Frau das Leben verhaßt zu machen, werden itzt
verdoppelt, ihn auf eben dieſen guten Einfall zu
bringen. Faſt wuͤnſcht er ſich ſelbſt dieſe Art der
Erloͤſung. Er koͤnnte ſich, als Medicus, die
Muͤhe erleichtern; aber die Pflicht eines Arztes
iſt, nur andern in dergleichen Faͤllen zu dienen.
Er lebt alſo, und erwartet den Tod ſehnlich. Der
Tod iſt taub; denn man weis ſchon, wie viel dem
Tode daran liegt, daß ein unwiſſender Medicus

leben
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[237/0259] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. windet ſich endlich, ihm die Tochter zu geben, und es ſind kaum zwey Jahre vorbey, als der arme Hofrath durch den Stolz ſeiner neuen Frau zu ei- ner ſolchen Verzweiflung gebracht wird, daß er glaubt, ſeine erſte Frau ſey ihm noch viel zu fruͤh geſtorben. Die Reihe iſt nunmehr an ihm, ver- achtet zu werden. Der meiſte Theil ſeines Ver- moͤgens iſt durch einen praͤchtigen Aufwand ver- ſchwendet worden. Seine Aeltern merken nun- mehr, daß ſeine Reichthuͤmer ſo unerſchoͤpflich nicht ſind, als er es ihnen anfaͤnglich zu bereden geſucht hat. Sie fangen an, ihre Uebereilung zu bereuen, und werfen ihm vor, daß er ſie um ihre Tochter betrogen habe. Jhre Tochter glaubt eben das, und ſieht dem Augenblicke mit Schrek- ken entgegen, wo ſie die Frau eines Mannes ohne Familie, ohne Sitten, ohne Verſtand, und was das allerſchlimmſte iſt, ohne Vermoͤgen bleiben ſoll. Das einzige Mittel ſich zu retten, iſt der Tod ihres Mannes. Sie wuͤnſcht es, ſie ſagt es ihm, daß er ſehr wohl thun werde, wenn er ſtuͤrbe. Alle Kunſtgriffe, die er angewendet hat, ſeiner erſten Frau das Leben verhaßt zu machen, werden itzt verdoppelt, ihn auf eben dieſen guten Einfall zu bringen. Faſt wuͤnſcht er ſich ſelbſt dieſe Art der Erloͤſung. Er koͤnnte ſich, als Medicus, die Muͤhe erleichtern; aber die Pflicht eines Arztes iſt, nur andern in dergleichen Faͤllen zu dienen. Er lebt alſo, und erwartet den Tod ſehnlich. Der Tod iſt taub; denn man weis ſchon, wie viel dem Tode daran liegt, daß ein unwiſſender Medicus leben

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/259>, abgerufen am 17.05.2024.