Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhandlung von Sprüchwörtern.
sichere Mittel ausfindig machte, diesen gefährlichen
Reizungen zu steuern.

Dadurch möchte man dergleichen zärtlichen
Uebereilungen wohl schwerlich vorbeugen, wenn
man das Frauenzimmer auf morgenländische Art
beständig im Zimmer, oder unter Kappen gefan-
gen hielte. Ja es würde die Mannspersonen zu
verliebten Einbrüchen, und galanten Gewaltthä-
tigkeiten verführen. Die Verhüllung des Gesichts
würde nichts helfen; sie würde uns nur neugieri-
ger machen. Der Ellbogen, die Spitze von einem
kleinen Fuße, würde unter den empfindenden
Mannspersonen alsdenn eben die traurige Verwü-
stung anrichten, welche wir einem ganz aufgedeck-
ten Gesichte Schuld geben.

Wäre es nicht rathsamer, man gewöhnte die
Jugend beiderley Geschlechts gleich in den ersten
Jahren dazu an, daß sie vertraut mit einander
umgehen müßten? Geschieht das nicht schon mehr,
als zu sehr? wird man sagen. Nein, so sehr noch
lange nicht, als ich will, daß man es thun solle.

Bey dem Umgange junger Leute, den man
bisher zugelassen hat, ist eine beständige Art des
Zwanges, den man Wohlstand nennt. Es sind
nur gewisse Jahrszeiten, gewisse feyerliche Lustbar-
keiten, gewisse Stunden des Tages, wo man der
Jugend verstattet, mit einander umzugehen. Bey
diesen abgemessenen Zusammenkünften bringen die
Mädchen alle ihre Reize und Schönheiten in die

Waf-
O 4

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ſichere Mittel ausfindig machte, dieſen gefaͤhrlichen
Reizungen zu ſteuern.

Dadurch moͤchte man dergleichen zaͤrtlichen
Uebereilungen wohl ſchwerlich vorbeugen, wenn
man das Frauenzimmer auf morgenlaͤndiſche Art
beſtaͤndig im Zimmer, oder unter Kappen gefan-
gen hielte. Ja es wuͤrde die Mannsperſonen zu
verliebten Einbruͤchen, und galanten Gewaltthaͤ-
tigkeiten verfuͤhren. Die Verhuͤllung des Geſichts
wuͤrde nichts helfen; ſie wuͤrde uns nur neugieri-
ger machen. Der Ellbogen, die Spitze von einem
kleinen Fuße, wuͤrde unter den empfindenden
Mannsperſonen alsdenn eben die traurige Verwuͤ-
ſtung anrichten, welche wir einem ganz aufgedeck-
ten Geſichte Schuld geben.

Waͤre es nicht rathſamer, man gewoͤhnte die
Jugend beiderley Geſchlechts gleich in den erſten
Jahren dazu an, daß ſie vertraut mit einander
umgehen muͤßten? Geſchieht das nicht ſchon mehr,
als zu ſehr? wird man ſagen. Nein, ſo ſehr noch
lange nicht, als ich will, daß man es thun ſolle.

Bey dem Umgange junger Leute, den man
bisher zugelaſſen hat, iſt eine beſtaͤndige Art des
Zwanges, den man Wohlſtand nennt. Es ſind
nur gewiſſe Jahrszeiten, gewiſſe feyerliche Luſtbar-
keiten, gewiſſe Stunden des Tages, wo man der
Jugend verſtattet, mit einander umzugehen. Bey
dieſen abgemeſſenen Zuſammenkuͤnften bringen die
Maͤdchen alle ihre Reize und Schoͤnheiten in die

Waf-
O 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0237" n="215"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung von Spru&#x0364;chwo&#x0364;rtern.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ichere Mittel ausfindig machte, die&#x017F;en gefa&#x0364;hrlichen<lb/>
Reizungen zu &#x017F;teuern.</p><lb/>
          <p>Dadurch mo&#x0364;chte man dergleichen za&#x0364;rtlichen<lb/>
Uebereilungen wohl &#x017F;chwerlich vorbeugen, wenn<lb/>
man das Frauenzimmer auf morgenla&#x0364;ndi&#x017F;che Art<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndig im Zimmer, oder unter Kappen gefan-<lb/>
gen hielte. Ja es wu&#x0364;rde die Mannsper&#x017F;onen zu<lb/>
verliebten Einbru&#x0364;chen, und galanten Gewalttha&#x0364;-<lb/>
tigkeiten verfu&#x0364;hren. Die Verhu&#x0364;llung des Ge&#x017F;ichts<lb/>
wu&#x0364;rde nichts helfen; &#x017F;ie wu&#x0364;rde uns nur neugieri-<lb/>
ger machen. Der Ellbogen, die Spitze von einem<lb/>
kleinen Fuße, wu&#x0364;rde unter den empfindenden<lb/>
Mannsper&#x017F;onen alsdenn eben die traurige Verwu&#x0364;-<lb/>
&#x017F;tung anrichten, welche wir einem ganz aufgedeck-<lb/>
ten Ge&#x017F;ichte Schuld geben.</p><lb/>
          <p>Wa&#x0364;re es nicht rath&#x017F;amer, man gewo&#x0364;hnte die<lb/>
Jugend beiderley Ge&#x017F;chlechts gleich in den er&#x017F;ten<lb/>
Jahren dazu an, daß &#x017F;ie vertraut mit einander<lb/>
umgehen mu&#x0364;ßten? Ge&#x017F;chieht das nicht &#x017F;chon mehr,<lb/>
als zu &#x017F;ehr? wird man &#x017F;agen. Nein, &#x017F;o &#x017F;ehr noch<lb/>
lange nicht, als ich will, daß man es thun &#x017F;olle.</p><lb/>
          <p>Bey dem Umgange junger Leute, den man<lb/>
bisher zugela&#x017F;&#x017F;en hat, i&#x017F;t eine be&#x017F;ta&#x0364;ndige Art des<lb/>
Zwanges, den man Wohl&#x017F;tand nennt. Es &#x017F;ind<lb/>
nur gewi&#x017F;&#x017F;e Jahrszeiten, gewi&#x017F;&#x017F;e feyerliche Lu&#x017F;tbar-<lb/>
keiten, gewi&#x017F;&#x017F;e Stunden des Tages, wo man der<lb/>
Jugend ver&#x017F;tattet, mit einander umzugehen. Bey<lb/>
die&#x017F;en abgeme&#x017F;&#x017F;enen Zu&#x017F;ammenku&#x0364;nften bringen die<lb/>
Ma&#x0364;dchen alle ihre Reize und Scho&#x0364;nheiten in die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Waf-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0237] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ſichere Mittel ausfindig machte, dieſen gefaͤhrlichen Reizungen zu ſteuern. Dadurch moͤchte man dergleichen zaͤrtlichen Uebereilungen wohl ſchwerlich vorbeugen, wenn man das Frauenzimmer auf morgenlaͤndiſche Art beſtaͤndig im Zimmer, oder unter Kappen gefan- gen hielte. Ja es wuͤrde die Mannsperſonen zu verliebten Einbruͤchen, und galanten Gewaltthaͤ- tigkeiten verfuͤhren. Die Verhuͤllung des Geſichts wuͤrde nichts helfen; ſie wuͤrde uns nur neugieri- ger machen. Der Ellbogen, die Spitze von einem kleinen Fuße, wuͤrde unter den empfindenden Mannsperſonen alsdenn eben die traurige Verwuͤ- ſtung anrichten, welche wir einem ganz aufgedeck- ten Geſichte Schuld geben. Waͤre es nicht rathſamer, man gewoͤhnte die Jugend beiderley Geſchlechts gleich in den erſten Jahren dazu an, daß ſie vertraut mit einander umgehen muͤßten? Geſchieht das nicht ſchon mehr, als zu ſehr? wird man ſagen. Nein, ſo ſehr noch lange nicht, als ich will, daß man es thun ſolle. Bey dem Umgange junger Leute, den man bisher zugelaſſen hat, iſt eine beſtaͤndige Art des Zwanges, den man Wohlſtand nennt. Es ſind nur gewiſſe Jahrszeiten, gewiſſe feyerliche Luſtbar- keiten, gewiſſe Stunden des Tages, wo man der Jugend verſtattet, mit einander umzugehen. Bey dieſen abgemeſſenen Zuſammenkuͤnften bringen die Maͤdchen alle ihre Reize und Schoͤnheiten in die Waf- O 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/237
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/237>, abgerufen am 06.05.2024.