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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
nicht zu erklären; Die Bedeutung soll in der neue-
sten Auflage des Frauenzimmerlexikons ausgefüh-
ret werden. Es war auf einem Balle, wo sie
ihn das erste mal kennen lernte. Er tanzte, und
dieses mit der Artigkeit eines Menschen, welcher
tanzt, um bewundert zu werden. Ein weißer
seidener Strumpf hob den Werth eines wohlge-
machten Fußes, und einer beredten Wade. Selinde
wird niedergeschlagen; er hat mit ihr noch nicht
getanzt. Nun tanzt er mit ihr; sie bewundert
ihn. Alles überführt sie von seinen Verdiensten;
der Kopf, die Bewegung der Arme, seine Blicke.
Er führt sie wieder an ihren Ort, er küßt ihr die
Hand. Wie zärtlich küßt der artige Seladon?
Er nennt sie eine Göttinn. Sie antwortet ihm
ganz sittsam mit einem schamhaften: Ach nein!
Er küßt ihr die Hand noch feuriger, und schwört,
sie sey eine englische Schöne! Soll das gute Kind
seinem Schwure nicht glauben? Er redet von see-
lenvollen Augen, von zernichtenden Blicken, von
lachenden Grübchen, vom Purpur der Lippen,
vom blendenden Schnee ihrer runden Hände; und
dreymal hat er schon geseufzet, da er dieses sagt.
Er schwatzt ihr viel Zärtliches von Opfern und
Herzen vor, und will in Fesseln vor ihren Füßen
sterben. Ach nein, mein Herr, sagt sie ganz
weichmüthig zu ihm, ach nein! und überläßt ihm
ihre Hand, ohne es zu wissen, und ohne etwas
weiter zu sagen, als ein stammelndes: O, gehn
sie doch!
Sie verspürt in sich selbst etwas gegen
ihn, das sie Neigung nennt; sie ist ihm gut, dem

arti-
O 2

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
nicht zu erklaͤren; Die Bedeutung ſoll in der neue-
ſten Auflage des Frauenzimmerlexikons ausgefuͤh-
ret werden. Es war auf einem Balle, wo ſie
ihn das erſte mal kennen lernte. Er tanzte, und
dieſes mit der Artigkeit eines Menſchen, welcher
tanzt, um bewundert zu werden. Ein weißer
ſeidener Strumpf hob den Werth eines wohlge-
machten Fußes, und einer beredten Wade. Selinde
wird niedergeſchlagen; er hat mit ihr noch nicht
getanzt. Nun tanzt er mit ihr; ſie bewundert
ihn. Alles uͤberfuͤhrt ſie von ſeinen Verdienſten;
der Kopf, die Bewegung der Arme, ſeine Blicke.
Er fuͤhrt ſie wieder an ihren Ort, er kuͤßt ihr die
Hand. Wie zaͤrtlich kuͤßt der artige Seladon?
Er nennt ſie eine Goͤttinn. Sie antwortet ihm
ganz ſittſam mit einem ſchamhaften: Ach nein!
Er kuͤßt ihr die Hand noch feuriger, und ſchwoͤrt,
ſie ſey eine engliſche Schoͤne! Soll das gute Kind
ſeinem Schwure nicht glauben? Er redet von ſee-
lenvollen Augen, von zernichtenden Blicken, von
lachenden Gruͤbchen, vom Purpur der Lippen,
vom blendenden Schnee ihrer runden Haͤnde; und
dreymal hat er ſchon geſeufzet, da er dieſes ſagt.
Er ſchwatzt ihr viel Zaͤrtliches von Opfern und
Herzen vor, und will in Feſſeln vor ihren Fuͤßen
ſterben. Ach nein, mein Herr, ſagt ſie ganz
weichmuͤthig zu ihm, ach nein! und uͤberlaͤßt ihm
ihre Hand, ohne es zu wiſſen, und ohne etwas
weiter zu ſagen, als ein ſtammelndes: O, gehn
ſie doch!
Sie verſpuͤrt in ſich ſelbſt etwas gegen
ihn, das ſie Neigung nennt; ſie iſt ihm gut, dem

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O 2
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[211/0233] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. nicht zu erklaͤren; Die Bedeutung ſoll in der neue- ſten Auflage des Frauenzimmerlexikons ausgefuͤh- ret werden. Es war auf einem Balle, wo ſie ihn das erſte mal kennen lernte. Er tanzte, und dieſes mit der Artigkeit eines Menſchen, welcher tanzt, um bewundert zu werden. Ein weißer ſeidener Strumpf hob den Werth eines wohlge- machten Fußes, und einer beredten Wade. Selinde wird niedergeſchlagen; er hat mit ihr noch nicht getanzt. Nun tanzt er mit ihr; ſie bewundert ihn. Alles uͤberfuͤhrt ſie von ſeinen Verdienſten; der Kopf, die Bewegung der Arme, ſeine Blicke. Er fuͤhrt ſie wieder an ihren Ort, er kuͤßt ihr die Hand. Wie zaͤrtlich kuͤßt der artige Seladon? Er nennt ſie eine Goͤttinn. Sie antwortet ihm ganz ſittſam mit einem ſchamhaften: Ach nein! Er kuͤßt ihr die Hand noch feuriger, und ſchwoͤrt, ſie ſey eine engliſche Schoͤne! Soll das gute Kind ſeinem Schwure nicht glauben? Er redet von ſee- lenvollen Augen, von zernichtenden Blicken, von lachenden Gruͤbchen, vom Purpur der Lippen, vom blendenden Schnee ihrer runden Haͤnde; und dreymal hat er ſchon geſeufzet, da er dieſes ſagt. Er ſchwatzt ihr viel Zaͤrtliches von Opfern und Herzen vor, und will in Feſſeln vor ihren Fuͤßen ſterben. Ach nein, mein Herr, ſagt ſie ganz weichmuͤthig zu ihm, ach nein! und uͤberlaͤßt ihm ihre Hand, ohne es zu wiſſen, und ohne etwas weiter zu ſagen, als ein ſtammelndes: O, gehn ſie doch! Sie verſpuͤrt in ſich ſelbſt etwas gegen ihn, das ſie Neigung nennt; ſie iſt ihm gut, dem arti- O 2

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/233>, abgerufen am 24.11.2024.