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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
verschwendete mit großer Pracht. Seine Freunde
genossen seine Verschwendung, und zogen ihren
Beutel zurück. Seine Clienten zuckten die Ach-
seln, und verloren dadurch ihren Mäcenaten, ihr
Geld und ihre Hoffnung. Aber die Wuchrer
drängten sich zu ihm, und hofften bey seinem Un-
tergange Beute zu machen, so, wie etwan ein
christlicher Räuber am Strande, unter dem Schutze
seiner Gesetze unglückliche Reisende plündert, wel-
che an seinem Ufer gescheitert sind.

Aber die Wucherer haben an ihm einen Mann
gefunden, der ihrer werth ist. Sie fodern ihr
Geld, aber eher werden sie den Proteus fest hal-
ten, als diesen Schuldner. Er empfängt sie mit
offnen Armen, oder er läßt sich auch verläugnen;
er schmeichelt, er ist frostig; er bittet freundschaft-
lich, er trotzt; er küßt sie, er wirft sie auch wohl
die Treppe herab; er zeigt ihnen neue Hoffnung,
oder auch den großen Verlust: Alles, wie er es
nach Beschaffenheit der Gläubiger, und der Zeit für
gut befindet. Nun weis alle Welt, daß er ein
Betrüger ist; aber für desto nöthiger hielt er es
nunmehr, durch einen unverschämten Hochmuth
sein schlechtes Spiel zu verstecken. Er wirft sich
mit einer stolzen Miene in seinen vergoldeten Wa-
gen, und rollt durch die Gassen der Stadt. Der
ehrliche Handwerksmann, dem er den Wagen noch
nicht bezahlt hat, bückt sich demüthig vor seinem
Wagen, und kaum wird er gesehn. Er fährt
vor dem Laden des Kaufmanns vorbey, den er

in

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
verſchwendete mit großer Pracht. Seine Freunde
genoſſen ſeine Verſchwendung, und zogen ihren
Beutel zuruͤck. Seine Clienten zuckten die Ach-
ſeln, und verloren dadurch ihren Maͤcenaten, ihr
Geld und ihre Hoffnung. Aber die Wuchrer
draͤngten ſich zu ihm, und hofften bey ſeinem Un-
tergange Beute zu machen, ſo, wie etwan ein
chriſtlicher Raͤuber am Strande, unter dem Schutze
ſeiner Geſetze ungluͤckliche Reiſende pluͤndert, wel-
che an ſeinem Ufer geſcheitert ſind.

Aber die Wucherer haben an ihm einen Mann
gefunden, der ihrer werth iſt. Sie fodern ihr
Geld, aber eher werden ſie den Proteus feſt hal-
ten, als dieſen Schuldner. Er empfaͤngt ſie mit
offnen Armen, oder er laͤßt ſich auch verlaͤugnen;
er ſchmeichelt, er iſt froſtig; er bittet freundſchaft-
lich, er trotzt; er kuͤßt ſie, er wirft ſie auch wohl
die Treppe herab; er zeigt ihnen neue Hoffnung,
oder auch den großen Verluſt: Alles, wie er es
nach Beſchaffenheit der Glaͤubiger, und der Zeit fuͤr
gut befindet. Nun weis alle Welt, daß er ein
Betruͤger iſt; aber fuͤr deſto noͤthiger hielt er es
nunmehr, durch einen unverſchaͤmten Hochmuth
ſein ſchlechtes Spiel zu verſtecken. Er wirft ſich
mit einer ſtolzen Miene in ſeinen vergoldeten Wa-
gen, und rollt durch die Gaſſen der Stadt. Der
ehrliche Handwerksmann, dem er den Wagen noch
nicht bezahlt hat, buͤckt ſich demuͤthig vor ſeinem
Wagen, und kaum wird er geſehn. Er faͤhrt
vor dem Laden des Kaufmanns vorbey, den er

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[203/0225] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. verſchwendete mit großer Pracht. Seine Freunde genoſſen ſeine Verſchwendung, und zogen ihren Beutel zuruͤck. Seine Clienten zuckten die Ach- ſeln, und verloren dadurch ihren Maͤcenaten, ihr Geld und ihre Hoffnung. Aber die Wuchrer draͤngten ſich zu ihm, und hofften bey ſeinem Un- tergange Beute zu machen, ſo, wie etwan ein chriſtlicher Raͤuber am Strande, unter dem Schutze ſeiner Geſetze ungluͤckliche Reiſende pluͤndert, wel- che an ſeinem Ufer geſcheitert ſind. Aber die Wucherer haben an ihm einen Mann gefunden, der ihrer werth iſt. Sie fodern ihr Geld, aber eher werden ſie den Proteus feſt hal- ten, als dieſen Schuldner. Er empfaͤngt ſie mit offnen Armen, oder er laͤßt ſich auch verlaͤugnen; er ſchmeichelt, er iſt froſtig; er bittet freundſchaft- lich, er trotzt; er kuͤßt ſie, er wirft ſie auch wohl die Treppe herab; er zeigt ihnen neue Hoffnung, oder auch den großen Verluſt: Alles, wie er es nach Beſchaffenheit der Glaͤubiger, und der Zeit fuͤr gut befindet. Nun weis alle Welt, daß er ein Betruͤger iſt; aber fuͤr deſto noͤthiger hielt er es nunmehr, durch einen unverſchaͤmten Hochmuth ſein ſchlechtes Spiel zu verſtecken. Er wirft ſich mit einer ſtolzen Miene in ſeinen vergoldeten Wa- gen, und rollt durch die Gaſſen der Stadt. Der ehrliche Handwerksmann, dem er den Wagen noch nicht bezahlt hat, buͤckt ſich demuͤthig vor ſeinem Wagen, und kaum wird er geſehn. Er faͤhrt vor dem Laden des Kaufmanns vorbey, den er in

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/225>, abgerufen am 25.11.2024.