Dieser rechtschaffene Mann lebt unbemerkt, und stirbt unbeklagt; denn er ist arm. Er hatte nicht Muth genug, sich der Welt zu zeigen, denn seine und anderer Erfahrung hatte es ihn gelehrt, daß die Welt ihn verachten müsse, so bald sie ihn erblicke.
Es kann dieses genug seyn, zu beweisen, daß das Sprüchwort: Gut macht Muth, sehr ge- gründet ist. Zugleich habe ich die Ursache davon angeführt; und weil ich eben nicht nöthig habe, auf die Reichen eifersüchtig zu seyn, so bin ich so gerecht gewesen, zu zeigen, daß die Schuld nicht sowohl an den Reichen, als an den Vorurtheilen der Welt liegt. Mit einem Worte: Jch glaube, ich habe alles gethan, was man von einem unpar- theyischen Moralisten verlangen kann. Nun will ich auch die andre Seite von meinem Sprüchworte ansehen, und meine Betrachtungen über diejeni- gen mittheilen, welche ohne Gut muthig genug, und in Gesellschaften vielmals weit unerträglicher sind, als ein hochmüthiger Reicher.
Wer ist der schmuzige Cyniker, welcher dort an seinem Pulte die Nägel kaut, und mit einer bittern Wut lächelt? Es ist der Sittenrichter, welcher die Welt verachtet, um sich an der Ver- achtung der Welt zu rächen. Sein zerrißner Mantel bedeckt ein stolzeres Herz, als unter man- chem Ordensbande nicht bedeckt liegt. Er ist eben derjenige, der am meisten wider die eifert, welche Verdienste nicht belohnen, da sie doch die
Gewalt
Antons Panßa von Mancha
Dieſer rechtſchaffene Mann lebt unbemerkt, und ſtirbt unbeklagt; denn er iſt arm. Er hatte nicht Muth genug, ſich der Welt zu zeigen, denn ſeine und anderer Erfahrung hatte es ihn gelehrt, daß die Welt ihn verachten muͤſſe, ſo bald ſie ihn erblicke.
Es kann dieſes genug ſeyn, zu beweiſen, daß das Spruͤchwort: Gut macht Muth, ſehr ge- gruͤndet iſt. Zugleich habe ich die Urſache davon angefuͤhrt; und weil ich eben nicht noͤthig habe, auf die Reichen eiferſuͤchtig zu ſeyn, ſo bin ich ſo gerecht geweſen, zu zeigen, daß die Schuld nicht ſowohl an den Reichen, als an den Vorurtheilen der Welt liegt. Mit einem Worte: Jch glaube, ich habe alles gethan, was man von einem unpar- theyiſchen Moraliſten verlangen kann. Nun will ich auch die andre Seite von meinem Spruͤchworte anſehen, und meine Betrachtungen uͤber diejeni- gen mittheilen, welche ohne Gut muthig genug, und in Geſellſchaften vielmals weit unertraͤglicher ſind, als ein hochmuͤthiger Reicher.
Wer iſt der ſchmuzige Cyniker, welcher dort an ſeinem Pulte die Naͤgel kaut, und mit einer bittern Wut laͤchelt? Es iſt der Sittenrichter, welcher die Welt verachtet, um ſich an der Ver- achtung der Welt zu raͤchen. Sein zerrißner Mantel bedeckt ein ſtolzeres Herz, als unter man- chem Ordensbande nicht bedeckt liegt. Er iſt eben derjenige, der am meiſten wider die eifert, welche Verdienſte nicht belohnen, da ſie doch die
Gewalt
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[198/0220]
Antons Panßa von Mancha
Dieſer rechtſchaffene Mann lebt unbemerkt, und
ſtirbt unbeklagt; denn er iſt arm. Er hatte nicht
Muth genug, ſich der Welt zu zeigen, denn ſeine
und anderer Erfahrung hatte es ihn gelehrt, daß
die Welt ihn verachten muͤſſe, ſo bald ſie ihn
erblicke.
Es kann dieſes genug ſeyn, zu beweiſen, daß
das Spruͤchwort: Gut macht Muth, ſehr ge-
gruͤndet iſt. Zugleich habe ich die Urſache davon
angefuͤhrt; und weil ich eben nicht noͤthig habe,
auf die Reichen eiferſuͤchtig zu ſeyn, ſo bin ich ſo
gerecht geweſen, zu zeigen, daß die Schuld nicht
ſowohl an den Reichen, als an den Vorurtheilen
der Welt liegt. Mit einem Worte: Jch glaube,
ich habe alles gethan, was man von einem unpar-
theyiſchen Moraliſten verlangen kann. Nun will
ich auch die andre Seite von meinem Spruͤchworte
anſehen, und meine Betrachtungen uͤber diejeni-
gen mittheilen, welche ohne Gut muthig genug,
und in Geſellſchaften vielmals weit unertraͤglicher
ſind, als ein hochmuͤthiger Reicher.
Wer iſt der ſchmuzige Cyniker, welcher dort
an ſeinem Pulte die Naͤgel kaut, und mit einer
bittern Wut laͤchelt? Es iſt der Sittenrichter,
welcher die Welt verachtet, um ſich an der Ver-
achtung der Welt zu raͤchen. Sein zerrißner
Mantel bedeckt ein ſtolzeres Herz, als unter man-
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eben derjenige, der am meiſten wider die eifert,
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/220>, abgerufen am 25.11.2024.
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