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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
daß die Mädchen im Ernste anfangen, ihn lieb zu
gewinnen. Eine von ihnen, die ungefähr in sei-
nem Alter seyn wird, ist schon so weit verführt,
daß sie ihn vorgestern sehr vorsichtig auf die Hand
schlug, und den losen Christel hieß.

Damit ich diesen siegenden Corydon ein we-
nig in der Demüthigung erhalte; So bediene ich
mich der Großsprecherey eines andern Knaben, den
ich wider ihn zum Nebenbuhler aufhetze. Dieser
besitzt bey der größten Feichherzigkeit, dennoch,
wie gewöhnlich, die Gabe, alle Welt zitternd zu
machen. Wenn er auf der Gasse geht, so drückt
er seinen Strohut tief ins Gesicht, ist in seinem
Anzuge unordentlich, und fährt allen Jungen in
die Haare, die schwächer, oder noch furchtsamer
sind, als er. Er ist so sinnreich, daß er sich alle
Vorfälle zu Nutze machen, und neue Beweise sei-
ner Tapferkeit daher nehmen kann. Er mag nun
von der Treppe herab gefallen, oder von der Mut-
ter blau geprügelt worden seyn, so erzählt er die
Sache allemal zu seinem Vortheile, und versichert
seine Mitschüler mit männlichen Schwüren, daß
er diese Striemen bekommen, als er ein gewisses
Mädchen, das er nicht nennt, einem gewissen
Jungen, den er auch nicht nennen will, vor einer
gewissen Hausthüre, die sie wohl selbst errathen
würden, abgejagt, und sie im Triumph nach
Hause geführt habe.

Jch hoffe, durch diese Exempel bewiesen zu
haben, daß zwischen dem Knaben und dem Manne

kein
N

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
daß die Maͤdchen im Ernſte anfangen, ihn lieb zu
gewinnen. Eine von ihnen, die ungefaͤhr in ſei-
nem Alter ſeyn wird, iſt ſchon ſo weit verfuͤhrt,
daß ſie ihn vorgeſtern ſehr vorſichtig auf die Hand
ſchlug, und den loſen Chriſtel hieß.

Damit ich dieſen ſiegenden Corydon ein we-
nig in der Demuͤthigung erhalte; So bediene ich
mich der Großſprecherey eines andern Knaben, den
ich wider ihn zum Nebenbuhler aufhetze. Dieſer
beſitzt bey der groͤßten Feichherzigkeit, dennoch,
wie gewoͤhnlich, die Gabe, alle Welt zitternd zu
machen. Wenn er auf der Gaſſe geht, ſo druͤckt
er ſeinen Strohut tief ins Geſicht, iſt in ſeinem
Anzuge unordentlich, und faͤhrt allen Jungen in
die Haare, die ſchwaͤcher, oder noch furchtſamer
ſind, als er. Er iſt ſo ſinnreich, daß er ſich alle
Vorfaͤlle zu Nutze machen, und neue Beweiſe ſei-
ner Tapferkeit daher nehmen kann. Er mag nun
von der Treppe herab gefallen, oder von der Mut-
ter blau gepruͤgelt worden ſeyn, ſo erzaͤhlt er die
Sache allemal zu ſeinem Vortheile, und verſichert
ſeine Mitſchuͤler mit maͤnnlichen Schwuͤren, daß
er dieſe Striemen bekommen, als er ein gewiſſes
Maͤdchen, das er nicht nennt, einem gewiſſen
Jungen, den er auch nicht nennen will, vor einer
gewiſſen Hausthuͤre, die ſie wohl ſelbſt errathen
wuͤrden, abgejagt, und ſie im Triumph nach
Hauſe gefuͤhrt habe.

Jch hoffe, durch dieſe Exempel bewieſen zu
haben, daß zwiſchen dem Knaben und dem Manne

kein
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[193/0215] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. daß die Maͤdchen im Ernſte anfangen, ihn lieb zu gewinnen. Eine von ihnen, die ungefaͤhr in ſei- nem Alter ſeyn wird, iſt ſchon ſo weit verfuͤhrt, daß ſie ihn vorgeſtern ſehr vorſichtig auf die Hand ſchlug, und den loſen Chriſtel hieß. Damit ich dieſen ſiegenden Corydon ein we- nig in der Demuͤthigung erhalte; So bediene ich mich der Großſprecherey eines andern Knaben, den ich wider ihn zum Nebenbuhler aufhetze. Dieſer beſitzt bey der groͤßten Feichherzigkeit, dennoch, wie gewoͤhnlich, die Gabe, alle Welt zitternd zu machen. Wenn er auf der Gaſſe geht, ſo druͤckt er ſeinen Strohut tief ins Geſicht, iſt in ſeinem Anzuge unordentlich, und faͤhrt allen Jungen in die Haare, die ſchwaͤcher, oder noch furchtſamer ſind, als er. Er iſt ſo ſinnreich, daß er ſich alle Vorfaͤlle zu Nutze machen, und neue Beweiſe ſei- ner Tapferkeit daher nehmen kann. Er mag nun von der Treppe herab gefallen, oder von der Mut- ter blau gepruͤgelt worden ſeyn, ſo erzaͤhlt er die Sache allemal zu ſeinem Vortheile, und verſichert ſeine Mitſchuͤler mit maͤnnlichen Schwuͤren, daß er dieſe Striemen bekommen, als er ein gewiſſes Maͤdchen, das er nicht nennt, einem gewiſſen Jungen, den er auch nicht nennen will, vor einer gewiſſen Hausthuͤre, die ſie wohl ſelbſt errathen wuͤrden, abgejagt, und ſie im Triumph nach Hauſe gefuͤhrt habe. Jch hoffe, durch dieſe Exempel bewieſen zu haben, daß zwiſchen dem Knaben und dem Manne kein N

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/215>, abgerufen am 25.11.2024.