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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
mit einer schmeichelhaften und beyfälligen Art auf
den Backen, und heißt sich den großen Christoph.
Wenn er zween Jungen auf der Gasse beysammen
sieht; so glaubt er, daß sie mit Bewunderung von
den Vocabeln reden, die er gestern in der Schule
gelernt hat. Er weis mit einer wohlausgesuchten
Unachtsamkeit den Donat, oder ein anderes Schul-
buch vor der Werkstatt seines Vaters liegen zu
lassen, damit die Vorbeygehenden merken sollen,
daß in diesem Hause der gelehrte Junge wohnt,
der lateinisch lernt. Vor ein paar Wochen warf
dieser Bube dem Capellan vor, daß er in der Kin-
derlehre den Spruch unrichtig gebetet habe, und
so bald er nach Hause kam, erzählte er es seiner
Mutter mit großem Geschreye, daß er den Spruch
besser beten könne, als der Magister. Schreiben
kann er noch nicht, denn er ist erst neun Jahr alt:
dem ungeachtet schmiert er sich beständig Dinte an
die Finger, damit die Bürger glauben sollen,
Schmidts Christoph könne schon schreiben. Ja
er geht so weit, daß er Dintenflecke in die Wäsche
macht; und als ihm seine Mutter unlängst dieses
mit ein paar Ohrfeigen verwies, so war der kleine
Schurke so boshaft, daß er sie mit einer verächt-
lichen Miene ansah, und ihr vorwarf, sie rede
wie der unwissende Pöbel, der es auch nicht besser
verstehe. Nichts thut er lieber, als daß er mit
der Feder ein Blatt Papier voll gritzelt, und mir
sodann mit einer tiefen Verbeugung solches über-
reicht, wobey er mich allemal mit den Worten
anredet: Nach Stand und Würden geehrter

Leser.
M 4

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
mit einer ſchmeichelhaften und beyfaͤlligen Art auf
den Backen, und heißt ſich den großen Chriſtoph.
Wenn er zween Jungen auf der Gaſſe beyſammen
ſieht; ſo glaubt er, daß ſie mit Bewunderung von
den Vocabeln reden, die er geſtern in der Schule
gelernt hat. Er weis mit einer wohlausgeſuchten
Unachtſamkeit den Donat, oder ein anderes Schul-
buch vor der Werkſtatt ſeines Vaters liegen zu
laſſen, damit die Vorbeygehenden merken ſollen,
daß in dieſem Hauſe der gelehrte Junge wohnt,
der lateiniſch lernt. Vor ein paar Wochen warf
dieſer Bube dem Capellan vor, daß er in der Kin-
derlehre den Spruch unrichtig gebetet habe, und
ſo bald er nach Hauſe kam, erzaͤhlte er es ſeiner
Mutter mit großem Geſchreye, daß er den Spruch
beſſer beten koͤnne, als der Magiſter. Schreiben
kann er noch nicht, denn er iſt erſt neun Jahr alt:
dem ungeachtet ſchmiert er ſich beſtaͤndig Dinte an
die Finger, damit die Buͤrger glauben ſollen,
Schmidts Chriſtoph koͤnne ſchon ſchreiben. Ja
er geht ſo weit, daß er Dintenflecke in die Waͤſche
macht; und als ihm ſeine Mutter unlaͤngſt dieſes
mit ein paar Ohrfeigen verwies, ſo war der kleine
Schurke ſo boshaft, daß er ſie mit einer veraͤcht-
lichen Miene anſah, und ihr vorwarf, ſie rede
wie der unwiſſende Poͤbel, der es auch nicht beſſer
verſtehe. Nichts thut er lieber, als daß er mit
der Feder ein Blatt Papier voll gritzelt, und mir
ſodann mit einer tiefen Verbeugung ſolches uͤber-
reicht, wobey er mich allemal mit den Worten
anredet: Nach Stand und Wuͤrden geehrter

Leſer.
M 4
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[183/0205] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. mit einer ſchmeichelhaften und beyfaͤlligen Art auf den Backen, und heißt ſich den großen Chriſtoph. Wenn er zween Jungen auf der Gaſſe beyſammen ſieht; ſo glaubt er, daß ſie mit Bewunderung von den Vocabeln reden, die er geſtern in der Schule gelernt hat. Er weis mit einer wohlausgeſuchten Unachtſamkeit den Donat, oder ein anderes Schul- buch vor der Werkſtatt ſeines Vaters liegen zu laſſen, damit die Vorbeygehenden merken ſollen, daß in dieſem Hauſe der gelehrte Junge wohnt, der lateiniſch lernt. Vor ein paar Wochen warf dieſer Bube dem Capellan vor, daß er in der Kin- derlehre den Spruch unrichtig gebetet habe, und ſo bald er nach Hauſe kam, erzaͤhlte er es ſeiner Mutter mit großem Geſchreye, daß er den Spruch beſſer beten koͤnne, als der Magiſter. Schreiben kann er noch nicht, denn er iſt erſt neun Jahr alt: dem ungeachtet ſchmiert er ſich beſtaͤndig Dinte an die Finger, damit die Buͤrger glauben ſollen, Schmidts Chriſtoph koͤnne ſchon ſchreiben. Ja er geht ſo weit, daß er Dintenflecke in die Waͤſche macht; und als ihm ſeine Mutter unlaͤngſt dieſes mit ein paar Ohrfeigen verwies, ſo war der kleine Schurke ſo boshaft, daß er ſie mit einer veraͤcht- lichen Miene anſah, und ihr vorwarf, ſie rede wie der unwiſſende Poͤbel, der es auch nicht beſſer verſtehe. Nichts thut er lieber, als daß er mit der Feder ein Blatt Papier voll gritzelt, und mir ſodann mit einer tiefen Verbeugung ſolches uͤber- reicht, wobey er mich allemal mit den Worten anredet: Nach Stand und Wuͤrden geehrter Leſer. M 4

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/205>, abgerufen am 05.05.2024.