Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhandlung von Sprüchwörtern.
den ihrigen zu nahe kömmt. Sehn sie, Mada-
me, wie billig ich bin? Und damit ich sie noch
mehr beruhige, so will ich dieses Sprüchwort
nicht eher schließen, bis ich einige Exempel ange-
führt, daß auch bey uns Mannspersonen, die Thor-
heiten der Jugend noch im Alter ihre volle Kraft
unverändert behalten. Können sie wohl mehr
von mir verlangen, Madame? Jch küsse ihnen
die Hände!

Der ungerechte Herkommann, dieser Vater
der Sporteln, und Hohepriester der Chicane, wird
auf dem Rathhause unvergessen seyn, so lange
man noch einen Schelm nennt. Den ersten
Schritt, den er in die hohe Schule that, den that
er in das Haus eines Mannes, welches von den
Thränen der Wittwen, und dem geraubten Brodte
der Waisen erbaut war. Dieser geschworne Feind
der Gerechtigkeit empfieng ihn, als den hoffnungs-
vollen Sohn seines würdigen Freundes, mit offe-
nen Armen. Jch darf nicht vergessen zu erwäh-
nen, daß der Vater unsers Herkommanns im Ge-
fängnisse gestorben war, und dieses um einer Klei-
nigkeit willen: Mit einem Worte, er hatte ein
paar falsche Wechsel gemacht; in der That war
dieses unter allen seinen Verbrechen das kleinste.
Herkommann entdeckte seinem neuen Vater gar
zeitig die großen Gaben, die in ihm noch unaus-
gebildet lagen. Ohne sich auf der Universität lan-
ge mit dem zu martern, was man Theorie nennt,
schritt er gleich im ersten Jahre zur Praxi. Es

vergien-
L 2

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
den ihrigen zu nahe koͤmmt. Sehn ſie, Mada-
me, wie billig ich bin? Und damit ich ſie noch
mehr beruhige, ſo will ich dieſes Spruͤchwort
nicht eher ſchließen, bis ich einige Exempel ange-
fuͤhrt, daß auch bey uns Mannsperſonen, die Thor-
heiten der Jugend noch im Alter ihre volle Kraft
unveraͤndert behalten. Koͤnnen ſie wohl mehr
von mir verlangen, Madame? Jch kuͤſſe ihnen
die Haͤnde!

Der ungerechte Herkommann, dieſer Vater
der Sporteln, und Hoheprieſter der Chicane, wird
auf dem Rathhauſe unvergeſſen ſeyn, ſo lange
man noch einen Schelm nennt. Den erſten
Schritt, den er in die hohe Schule that, den that
er in das Haus eines Mannes, welches von den
Thraͤnen der Wittwen, und dem geraubten Brodte
der Waiſen erbaut war. Dieſer geſchworne Feind
der Gerechtigkeit empfieng ihn, als den hoffnungs-
vollen Sohn ſeines wuͤrdigen Freundes, mit offe-
nen Armen. Jch darf nicht vergeſſen zu erwaͤh-
nen, daß der Vater unſers Herkommanns im Ge-
faͤngniſſe geſtorben war, und dieſes um einer Klei-
nigkeit willen: Mit einem Worte, er hatte ein
paar falſche Wechſel gemacht; in der That war
dieſes unter allen ſeinen Verbrechen das kleinſte.
Herkommann entdeckte ſeinem neuen Vater gar
zeitig die großen Gaben, die in ihm noch unaus-
gebildet lagen. Ohne ſich auf der Univerſitaͤt lan-
ge mit dem zu martern, was man Theorie nennt,
ſchritt er gleich im erſten Jahre zur Praxi. Es

vergien-
L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0185" n="163"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung von Spru&#x0364;chwo&#x0364;rtern.</hi></fw><lb/>
den ihrigen zu nahe ko&#x0364;mmt. Sehn &#x017F;ie, Mada-<lb/>
me, wie billig ich bin? Und damit ich &#x017F;ie noch<lb/>
mehr beruhige, &#x017F;o will ich die&#x017F;es Spru&#x0364;chwort<lb/>
nicht eher &#x017F;chließen, bis ich einige Exempel ange-<lb/>
fu&#x0364;hrt, daß auch bey uns Mannsper&#x017F;onen, die Thor-<lb/>
heiten der Jugend noch im Alter ihre volle Kraft<lb/>
unvera&#x0364;ndert behalten. Ko&#x0364;nnen &#x017F;ie wohl mehr<lb/>
von mir verlangen, Madame? Jch ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ihnen<lb/>
die Ha&#x0364;nde!</p><lb/>
          <p>Der ungerechte <hi rendition="#fr">Herkommann</hi>, die&#x017F;er Vater<lb/>
der Sporteln, und Hoheprie&#x017F;ter der Chicane, wird<lb/>
auf dem Rathhau&#x017F;e unverge&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn, &#x017F;o lange<lb/>
man noch einen Schelm nennt. Den er&#x017F;ten<lb/>
Schritt, den er in die hohe Schule that, den that<lb/>
er in das Haus eines Mannes, welches von den<lb/>
Thra&#x0364;nen der Wittwen, und dem geraubten Brodte<lb/>
der Wai&#x017F;en erbaut war. Die&#x017F;er ge&#x017F;chworne Feind<lb/>
der Gerechtigkeit empfieng ihn, als den hoffnungs-<lb/>
vollen Sohn &#x017F;eines wu&#x0364;rdigen Freundes, mit offe-<lb/>
nen Armen. Jch darf nicht verge&#x017F;&#x017F;en zu erwa&#x0364;h-<lb/>
nen, daß der Vater un&#x017F;ers Herkommanns im Ge-<lb/>
fa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;torben war, und die&#x017F;es um einer Klei-<lb/>
nigkeit willen: Mit einem Worte, er hatte ein<lb/>
paar fal&#x017F;che Wech&#x017F;el gemacht; in der That war<lb/>
die&#x017F;es unter allen &#x017F;einen Verbrechen das klein&#x017F;te.<lb/>
Herkommann entdeckte &#x017F;einem neuen Vater gar<lb/>
zeitig die großen Gaben, die in ihm noch unaus-<lb/>
gebildet lagen. Ohne &#x017F;ich auf der Univer&#x017F;ita&#x0364;t lan-<lb/>
ge mit dem zu martern, was man Theorie nennt,<lb/>
&#x017F;chritt er gleich im er&#x017F;ten Jahre zur Praxi. Es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><fw place="bottom" type="catch">vergien-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0185] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. den ihrigen zu nahe koͤmmt. Sehn ſie, Mada- me, wie billig ich bin? Und damit ich ſie noch mehr beruhige, ſo will ich dieſes Spruͤchwort nicht eher ſchließen, bis ich einige Exempel ange- fuͤhrt, daß auch bey uns Mannsperſonen, die Thor- heiten der Jugend noch im Alter ihre volle Kraft unveraͤndert behalten. Koͤnnen ſie wohl mehr von mir verlangen, Madame? Jch kuͤſſe ihnen die Haͤnde! Der ungerechte Herkommann, dieſer Vater der Sporteln, und Hoheprieſter der Chicane, wird auf dem Rathhauſe unvergeſſen ſeyn, ſo lange man noch einen Schelm nennt. Den erſten Schritt, den er in die hohe Schule that, den that er in das Haus eines Mannes, welches von den Thraͤnen der Wittwen, und dem geraubten Brodte der Waiſen erbaut war. Dieſer geſchworne Feind der Gerechtigkeit empfieng ihn, als den hoffnungs- vollen Sohn ſeines wuͤrdigen Freundes, mit offe- nen Armen. Jch darf nicht vergeſſen zu erwaͤh- nen, daß der Vater unſers Herkommanns im Ge- faͤngniſſe geſtorben war, und dieſes um einer Klei- nigkeit willen: Mit einem Worte, er hatte ein paar falſche Wechſel gemacht; in der That war dieſes unter allen ſeinen Verbrechen das kleinſte. Herkommann entdeckte ſeinem neuen Vater gar zeitig die großen Gaben, die in ihm noch unaus- gebildet lagen. Ohne ſich auf der Univerſitaͤt lan- ge mit dem zu martern, was man Theorie nennt, ſchritt er gleich im erſten Jahre zur Praxi. Es vergien- L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/185
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/185>, abgerufen am 02.05.2024.