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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.
sollte. Jch hoffte, es solle nicht geschehen. Weil
aber doch ein vernünftiger Mensch sich auf alle
Fälle müsse gefaßt halten; so bäte ich sie, mir zu
sagen, wie sie auf diesen unverhofften Fall wünsch-
te, im Sarge angekleidet zu seyn. Jch hatte diese
Worte kaum ausgesprochen, so fühlte ich an ihrer
Hand, daß der Puls stärker schlug. Jhre halb ge-
brochnen Augen bekamen wieder etwas von ihrem
vorigen Feuer; sie lächelte mich mit einer christ-
lichen Gelassenheit an, drückte mir die Hand, und
sagte: Wie Gott will! Wir sind alle sterblich!
Und wenn ich ja sterben soll, so beschwöre ich sie
bey ihrer Freundschaft, lassen sie bey meiner Be-
erdigung nichts fehlen. Der Sarg muß von
eichnem Holze seyn; aber, Herr Schwager, ja
nicht so einen schlechten fleckichten Sarg, wie ihn die
Stadtrichterinn hatte. Lassen sie ihn so glatt bo-
nen, als es die kurze Zeit erlaubt. Hier fuhr sie,
fast eine halbe Stunde, mit einer innerlichen Zu-
friedenheit fort, mir die Beschlagung des Sarges,
dessen Bedeckung, die Anzahl der Lichter, so um den
Sarg stehen sollten, die Leichenproceßion, die Trauer
für die Bedienten, die monatlichen Veränderun-
gen, die ihr Mann bey seiner Trauer im ersten
Jahre beobachten sollte, mit einem Worte, die
geringsten Kleinigkeiten vorzuschreiben, die ich nicht
verstand, und die ich unmöglich merken konnte.
Sie war von langen Reden sehr entkräftet; ich
bat sie, sich zu schonen. Lieber Gott, ant-
wortete sie seufzend, lassen sie mich immer reden;
vielleicht habe ich kaum noch eine Viertheilstunde

zu

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
ſollte. Jch hoffte, es ſolle nicht geſchehen. Weil
aber doch ein vernuͤnftiger Menſch ſich auf alle
Faͤlle muͤſſe gefaßt halten; ſo baͤte ich ſie, mir zu
ſagen, wie ſie auf dieſen unverhofften Fall wuͤnſch-
te, im Sarge angekleidet zu ſeyn. Jch hatte dieſe
Worte kaum ausgeſprochen, ſo fuͤhlte ich an ihrer
Hand, daß der Puls ſtaͤrker ſchlug. Jhre halb ge-
brochnen Augen bekamen wieder etwas von ihrem
vorigen Feuer; ſie laͤchelte mich mit einer chriſt-
lichen Gelaſſenheit an, druͤckte mir die Hand, und
ſagte: Wie Gott will! Wir ſind alle ſterblich!
Und wenn ich ja ſterben ſoll, ſo beſchwoͤre ich ſie
bey ihrer Freundſchaft, laſſen ſie bey meiner Be-
erdigung nichts fehlen. Der Sarg muß von
eichnem Holze ſeyn; aber, Herr Schwager, ja
nicht ſo einen ſchlechten fleckichten Sarg, wie ihn die
Stadtrichterinn hatte. Laſſen ſie ihn ſo glatt bo-
nen, als es die kurze Zeit erlaubt. Hier fuhr ſie,
faſt eine halbe Stunde, mit einer innerlichen Zu-
friedenheit fort, mir die Beſchlagung des Sarges,
deſſen Bedeckung, die Anzahl der Lichter, ſo um den
Sarg ſtehen ſollten, die Leichenproceßion, die Trauer
fuͤr die Bedienten, die monatlichen Veraͤnderun-
gen, die ihr Mann bey ſeiner Trauer im erſten
Jahre beobachten ſollte, mit einem Worte, die
geringſten Kleinigkeiten vorzuſchreiben, die ich nicht
verſtand, und die ich unmoͤglich merken konnte.
Sie war von langen Reden ſehr entkraͤftet; ich
bat ſie, ſich zu ſchonen. Lieber Gott, ant-
wortete ſie ſeufzend, laſſen ſie mich immer reden;
vielleicht habe ich kaum noch eine Viertheilſtunde

zu
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[157/0179] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. ſollte. Jch hoffte, es ſolle nicht geſchehen. Weil aber doch ein vernuͤnftiger Menſch ſich auf alle Faͤlle muͤſſe gefaßt halten; ſo baͤte ich ſie, mir zu ſagen, wie ſie auf dieſen unverhofften Fall wuͤnſch- te, im Sarge angekleidet zu ſeyn. Jch hatte dieſe Worte kaum ausgeſprochen, ſo fuͤhlte ich an ihrer Hand, daß der Puls ſtaͤrker ſchlug. Jhre halb ge- brochnen Augen bekamen wieder etwas von ihrem vorigen Feuer; ſie laͤchelte mich mit einer chriſt- lichen Gelaſſenheit an, druͤckte mir die Hand, und ſagte: Wie Gott will! Wir ſind alle ſterblich! Und wenn ich ja ſterben ſoll, ſo beſchwoͤre ich ſie bey ihrer Freundſchaft, laſſen ſie bey meiner Be- erdigung nichts fehlen. Der Sarg muß von eichnem Holze ſeyn; aber, Herr Schwager, ja nicht ſo einen ſchlechten fleckichten Sarg, wie ihn die Stadtrichterinn hatte. Laſſen ſie ihn ſo glatt bo- nen, als es die kurze Zeit erlaubt. Hier fuhr ſie, faſt eine halbe Stunde, mit einer innerlichen Zu- friedenheit fort, mir die Beſchlagung des Sarges, deſſen Bedeckung, die Anzahl der Lichter, ſo um den Sarg ſtehen ſollten, die Leichenproceßion, die Trauer fuͤr die Bedienten, die monatlichen Veraͤnderun- gen, die ihr Mann bey ſeiner Trauer im erſten Jahre beobachten ſollte, mit einem Worte, die geringſten Kleinigkeiten vorzuſchreiben, die ich nicht verſtand, und die ich unmoͤglich merken konnte. Sie war von langen Reden ſehr entkraͤftet; ich bat ſie, ſich zu ſchonen. Lieber Gott, ant- wortete ſie ſeufzend, laſſen ſie mich immer reden; vielleicht habe ich kaum noch eine Viertheilſtunde zu

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/179>, abgerufen am 24.11.2024.