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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Abhandlung von Sprüchwörtern.

Was vor ein Lärm entsteht unter meinen Fen-
stern? Jch höre die gebietrische Stimme trotziger
Heyducken, welche das Volk nöthigen, auszu-
weichen. Wer sitzt in dieser vergoldeten Sänfte?
Sejan! Wollen Jhro Excellenz nur einen Au-
genblick verziehen; ich brauche ihr Bild.

Dieser prächtig geputzte Klumpen Fleisch be-
schäfftigt die Hände von sechs Bedienten; und
noch vor zehen Jahren glaubte man, er sey gebo-
ren, andre zu bedienen. Damals machte ihn
die Armuth demüthig. Er hat alles vergessen,
und kennt auch die nicht mehr, denen er die Hände
küßte, wenn er von ihrer Großmuth seinen noth-
dürftigen Unterhalt erhielt. Er war dienstfertig
und sparsam; der Sejan, der itzt mit einer fin-
stern Strenge diejenigen beleidigt, denen er seinen
Dienst versagt, und auch die mit seinem Stolze
demüthigt, denen er seinen Dienst nicht hat ab-
schlagen können. Seine Sparsamkeit war eine
Folge des Mangels, und keine Tugend. Jtzt
lebt er im Ueberflusse, er verschwendet also bey
aller Gelegenheit, aber nur da nicht, wo er durch
eine mäßige Freygebigkeit großmüthig und edel
seyn könnte. Die Verfolgungen, welche seinen
Vater unschuldiger Weise trafen, erweckten in
ihm einen billigen Abscheu vor der Ungerechtigkeit
der Obern; er flehte den Himmel mit Thränen
um Hülfe an: Und itzt läßt er unschuldiger Weise
die Strenge seiner Rache unzählige Unglückseli-
ge empfinden, die vor ihm mit thränenden Augen

fliehn,
K
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.

Was vor ein Laͤrm entſteht unter meinen Fen-
ſtern? Jch hoͤre die gebietriſche Stimme trotziger
Heyducken, welche das Volk noͤthigen, auszu-
weichen. Wer ſitzt in dieſer vergoldeten Saͤnfte?
Sejan! Wollen Jhro Excellenz nur einen Au-
genblick verziehen; ich brauche ihr Bild.

Dieſer praͤchtig geputzte Klumpen Fleiſch be-
ſchaͤfftigt die Haͤnde von ſechs Bedienten; und
noch vor zehen Jahren glaubte man, er ſey gebo-
ren, andre zu bedienen. Damals machte ihn
die Armuth demuͤthig. Er hat alles vergeſſen,
und kennt auch die nicht mehr, denen er die Haͤnde
kuͤßte, wenn er von ihrer Großmuth ſeinen noth-
duͤrftigen Unterhalt erhielt. Er war dienſtfertig
und ſparſam; der Sejan, der itzt mit einer fin-
ſtern Strenge diejenigen beleidigt, denen er ſeinen
Dienſt verſagt, und auch die mit ſeinem Stolze
demuͤthigt, denen er ſeinen Dienſt nicht hat ab-
ſchlagen koͤnnen. Seine Sparſamkeit war eine
Folge des Mangels, und keine Tugend. Jtzt
lebt er im Ueberfluſſe, er verſchwendet alſo bey
aller Gelegenheit, aber nur da nicht, wo er durch
eine maͤßige Freygebigkeit großmuͤthig und edel
ſeyn koͤnnte. Die Verfolgungen, welche ſeinen
Vater unſchuldiger Weiſe trafen, erweckten in
ihm einen billigen Abſcheu vor der Ungerechtigkeit
der Obern; er flehte den Himmel mit Thraͤnen
um Huͤlfe an: Und itzt laͤßt er unſchuldiger Weiſe
die Strenge ſeiner Rache unzaͤhlige Ungluͤckſeli-
ge empfinden, die vor ihm mit thraͤnenden Augen

fliehn,
K
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[145/0167] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. Was vor ein Laͤrm entſteht unter meinen Fen- ſtern? Jch hoͤre die gebietriſche Stimme trotziger Heyducken, welche das Volk noͤthigen, auszu- weichen. Wer ſitzt in dieſer vergoldeten Saͤnfte? Sejan! Wollen Jhro Excellenz nur einen Au- genblick verziehen; ich brauche ihr Bild. Dieſer praͤchtig geputzte Klumpen Fleiſch be- ſchaͤfftigt die Haͤnde von ſechs Bedienten; und noch vor zehen Jahren glaubte man, er ſey gebo- ren, andre zu bedienen. Damals machte ihn die Armuth demuͤthig. Er hat alles vergeſſen, und kennt auch die nicht mehr, denen er die Haͤnde kuͤßte, wenn er von ihrer Großmuth ſeinen noth- duͤrftigen Unterhalt erhielt. Er war dienſtfertig und ſparſam; der Sejan, der itzt mit einer fin- ſtern Strenge diejenigen beleidigt, denen er ſeinen Dienſt verſagt, und auch die mit ſeinem Stolze demuͤthigt, denen er ſeinen Dienſt nicht hat ab- ſchlagen koͤnnen. Seine Sparſamkeit war eine Folge des Mangels, und keine Tugend. Jtzt lebt er im Ueberfluſſe, er verſchwendet alſo bey aller Gelegenheit, aber nur da nicht, wo er durch eine maͤßige Freygebigkeit großmuͤthig und edel ſeyn koͤnnte. Die Verfolgungen, welche ſeinen Vater unſchuldiger Weiſe trafen, erweckten in ihm einen billigen Abſcheu vor der Ungerechtigkeit der Obern; er flehte den Himmel mit Thraͤnen um Huͤlfe an: Und itzt laͤßt er unſchuldiger Weiſe die Strenge ſeiner Rache unzaͤhlige Ungluͤckſeli- ge empfinden, die vor ihm mit thraͤnenden Augen fliehn, K

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/167>, abgerufen am 02.05.2024.