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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Vorbericht.
Boileau und Moliere waren, deren Satire
ihr König liebte und schützte? Es ist nur ein
London, wo auch nicht einmal der größte Mis-
brauch die Billigkeit der Satire verdächtig
macht, wo kein Laster zu vornehm ist, daß es
sich nicht vor ihrer Geißel scheuen müsse. Nur
ein London ist, wo ein lehrender Zuschauer
täglich unter einer Menge von zwanzig tausend
Lesern unerkannt herum gehen, und unbemerkt
den Beyfall einsammeln kann, den seine Satire
verdient. Jn Deutschland mag ich es nicht
wagen, einem Dorfschulmeister diejenigen
Wahrheiten zu sagen, die in London ein Lord-
Erzbischof anhören, und schweigen, oder sich
bessern muß.

Je mehr ich allen diesen Ursachen nachden-
ke; je ernstlicher wird mein Vorsatz, niemals
dergleichen Schriften wieder zu wagen. Aber
dagegen verspreche ich mir auch von der Billig-
keit meiner Leser dieses, daß sie mich künftig
mit etwas weniger Zuversicht, als wohl bisher
bey einigen Gelegenheiten geschehen, für einen
Mitarbeiter an witzigen Monatschriften, oder
für den verborgenen Verfasser fliegender Blät-
ter ausgeben.

Jch muß befürchten, daß dieses Gelübde
vielen von meinen Lesern verdächtig seyn werde.
Man weis aus der Erfahrung, daß beynahe
kein Geschöpf so meineidig ist, als ein Poet,
welcher die Verse verschwört: Sollte ein Sati-
renschreiber mehr Gewissen haben? Jch will

mich
* 5

Vorbericht.
Boileau und Moliere waren, deren Satire
ihr Koͤnig liebte und ſchuͤtzte? Es iſt nur ein
London, wo auch nicht einmal der groͤßte Mis-
brauch die Billigkeit der Satire verdaͤchtig
macht, wo kein Laſter zu vornehm iſt, daß es
ſich nicht vor ihrer Geißel ſcheuen muͤſſe. Nur
ein London iſt, wo ein lehrender Zuſchauer
taͤglich unter einer Menge von zwanzig tauſend
Leſern unerkannt herum gehen, und unbemerkt
den Beyfall einſammeln kann, den ſeine Satire
verdient. Jn Deutſchland mag ich es nicht
wagen, einem Dorfſchulmeiſter diejenigen
Wahrheiten zu ſagen, die in London ein Lord-
Erzbiſchof anhoͤren, und ſchweigen, oder ſich
beſſern muß.

Je mehr ich allen dieſen Urſachen nachden-
ke; je ernſtlicher wird mein Vorſatz, niemals
dergleichen Schriften wieder zu wagen. Aber
dagegen verſpreche ich mir auch von der Billig-
keit meiner Leſer dieſes, daß ſie mich kuͤnftig
mit etwas weniger Zuverſicht, als wohl bisher
bey einigen Gelegenheiten geſchehen, fuͤr einen
Mitarbeiter an witzigen Monatſchriften, oder
fuͤr den verborgenen Verfaſſer fliegender Blaͤt-
ter ausgeben.

Jch muß befuͤrchten, daß dieſes Geluͤbde
vielen von meinen Leſern verdaͤchtig ſeyn werde.
Man weis aus der Erfahrung, daß beynahe
kein Geſchoͤpf ſo meineidig iſt, als ein Poet,
welcher die Verſe verſchwoͤrt: Sollte ein Sati-
renſchreiber mehr Gewiſſen haben? Jch will

mich
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[0013] Vorbericht. Boileau und Moliere waren, deren Satire ihr Koͤnig liebte und ſchuͤtzte? Es iſt nur ein London, wo auch nicht einmal der groͤßte Mis- brauch die Billigkeit der Satire verdaͤchtig macht, wo kein Laſter zu vornehm iſt, daß es ſich nicht vor ihrer Geißel ſcheuen muͤſſe. Nur ein London iſt, wo ein lehrender Zuſchauer taͤglich unter einer Menge von zwanzig tauſend Leſern unerkannt herum gehen, und unbemerkt den Beyfall einſammeln kann, den ſeine Satire verdient. Jn Deutſchland mag ich es nicht wagen, einem Dorfſchulmeiſter diejenigen Wahrheiten zu ſagen, die in London ein Lord- Erzbiſchof anhoͤren, und ſchweigen, oder ſich beſſern muß. Je mehr ich allen dieſen Urſachen nachden- ke; je ernſtlicher wird mein Vorſatz, niemals dergleichen Schriften wieder zu wagen. Aber dagegen verſpreche ich mir auch von der Billig- keit meiner Leſer dieſes, daß ſie mich kuͤnftig mit etwas weniger Zuverſicht, als wohl bisher bey einigen Gelegenheiten geſchehen, fuͤr einen Mitarbeiter an witzigen Monatſchriften, oder fuͤr den verborgenen Verfaſſer fliegender Blaͤt- ter ausgeben. Jch muß befuͤrchten, daß dieſes Geluͤbde vielen von meinen Leſern verdaͤchtig ſeyn werde. Man weis aus der Erfahrung, daß beynahe kein Geſchoͤpf ſo meineidig iſt, als ein Poet, welcher die Verſe verſchwoͤrt: Sollte ein Sati- renſchreiber mehr Gewiſſen haben? Jch will mich * 5

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/13>, abgerufen am 25.04.2024.