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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Vorbericht.
über alle Sachen mit einem entscheidenden Tone
urtheilet, um seine Unwissenheit nicht zu ver-
rathen, wo man ein pöbelhaftes Pasqvill mit
lautem Beyfalle annimmt, und ausbreitet, weil
man den Einzigen Unglücklichen kennt, den es
trifft, und wo man im Gegentheile eine lehrende
Satire für ein gefährliches Pasqvill hält, weil
sie auf hundert Personen passen kann, und weil
diese hundert Personen vielleicht noch fühlen,
daß sie Thoren sind, aber zugleich auch denjeni-
gen verabscheuen, der sie an ihre Thorheit er-
innert. Und was soll ich von denen Städ-
ten sagen, welche ein Sitz der schönen Wissen-
schaften sind, und wo es ein öffentlicher Beruf
ist, Weisheit und Sitten zu predigen? Viel-
leicht ist hier die Satire an der Hand ihrer
Schwester, der Moral, beliebt und sicher?
Nichts weniger! Nur gar zu oft haben die Ge-
lehrten viel Ursache, sich vor der Satire zu fürch-
ten. Gemeiniglich sind sie die ersten, die sie ver-
dammen; es müßte denn eine Satire aus dem
Horaz seyn, welcher sie unmöglich gemeynt ha-
ben kann.

Vielleicht ist ein Patriot mit dem sehr un-
zufrieden, was ich hier von den meisten Städ-
ten meines Vaterlandes sage. Er wird glau-
ben, daß man eben dieses von den Städten aller
Länder sagen könne. Es kann seyn: Aber desto
schlimmer für die Satire; desto allgemeiner ist
die Wahrheit des Satzes, den ich oben behaup-
tet habe. Und was will mir dieser Patriot ant-
worten, wenn ich ihm Paris nenne, wo ein

Boile-

Vorbericht.
uͤber alle Sachen mit einem entſcheidenden Tone
urtheilet, um ſeine Unwiſſenheit nicht zu ver-
rathen, wo man ein poͤbelhaftes Pasqvill mit
lautem Beyfalle annimmt, und ausbreitet, weil
man den Einzigen Ungluͤcklichen kennt, den es
trifft, und wo man im Gegentheile eine lehrende
Satire fuͤr ein gefaͤhrliches Pasqvill haͤlt, weil
ſie auf hundert Perſonen paſſen kann, und weil
dieſe hundert Perſonen vielleicht noch fuͤhlen,
daß ſie Thoren ſind, aber zugleich auch denjeni-
gen verabſcheuen, der ſie an ihre Thorheit er-
innert. Und was ſoll ich von denen Staͤd-
ten ſagen, welche ein Sitz der ſchoͤnen Wiſſen-
ſchaften ſind, und wo es ein oͤffentlicher Beruf
iſt, Weisheit und Sitten zu predigen? Viel-
leicht iſt hier die Satire an der Hand ihrer
Schweſter, der Moral, beliebt und ſicher?
Nichts weniger! Nur gar zu oft haben die Ge-
lehrten viel Urſache, ſich vor der Satire zu fuͤrch-
ten. Gemeiniglich ſind ſie die erſten, die ſie ver-
dammen; es muͤßte denn eine Satire aus dem
Horaz ſeyn, welcher ſie unmoͤglich gemeynt ha-
ben kann.

Vielleicht iſt ein Patriot mit dem ſehr un-
zufrieden, was ich hier von den meiſten Staͤd-
ten meines Vaterlandes ſage. Er wird glau-
ben, daß man eben dieſes von den Staͤdten aller
Laͤnder ſagen koͤnne. Es kann ſeyn: Aber deſto
ſchlimmer fuͤr die Satire; deſto allgemeiner iſt
die Wahrheit des Satzes, den ich oben behaup-
tet habe. Und was will mir dieſer Patriot ant-
worten, wenn ich ihm Paris nenne, wo ein

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[0012] Vorbericht. uͤber alle Sachen mit einem entſcheidenden Tone urtheilet, um ſeine Unwiſſenheit nicht zu ver- rathen, wo man ein poͤbelhaftes Pasqvill mit lautem Beyfalle annimmt, und ausbreitet, weil man den Einzigen Ungluͤcklichen kennt, den es trifft, und wo man im Gegentheile eine lehrende Satire fuͤr ein gefaͤhrliches Pasqvill haͤlt, weil ſie auf hundert Perſonen paſſen kann, und weil dieſe hundert Perſonen vielleicht noch fuͤhlen, daß ſie Thoren ſind, aber zugleich auch denjeni- gen verabſcheuen, der ſie an ihre Thorheit er- innert. Und was ſoll ich von denen Staͤd- ten ſagen, welche ein Sitz der ſchoͤnen Wiſſen- ſchaften ſind, und wo es ein oͤffentlicher Beruf iſt, Weisheit und Sitten zu predigen? Viel- leicht iſt hier die Satire an der Hand ihrer Schweſter, der Moral, beliebt und ſicher? Nichts weniger! Nur gar zu oft haben die Ge- lehrten viel Urſache, ſich vor der Satire zu fuͤrch- ten. Gemeiniglich ſind ſie die erſten, die ſie ver- dammen; es muͤßte denn eine Satire aus dem Horaz ſeyn, welcher ſie unmoͤglich gemeynt ha- ben kann. Vielleicht iſt ein Patriot mit dem ſehr un- zufrieden, was ich hier von den meiſten Staͤd- ten meines Vaterlandes ſage. Er wird glau- ben, daß man eben dieſes von den Staͤdten aller Laͤnder ſagen koͤnne. Es kann ſeyn: Aber deſto ſchlimmer fuͤr die Satire; deſto allgemeiner iſt die Wahrheit des Satzes, den ich oben behaup- tet habe. Und was will mir dieſer Patriot ant- worten, wenn ich ihm Paris nenne, wo ein Boile-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/12>, abgerufen am 26.04.2024.