"einrücken, wo man dem Richter sagt, daß man "ihn bestechen will. Ein jeder setze sich an die "Stelle des Richters, und prüfe sich, was er in "diesem Falle werde gethan haben."
Mein Herr,
Jch will es Jhnen aufrichtig gestehn: Die Kla- gen, die mein ehmaliger Mündel wider mich erhoben hat, ist leider gegründet genug. Jch habe einen ziemlichen Theil seines Vermögens theils verwahrloset, theils an mich gebracht. Vielleicht wäre ich wenigstens vorsichtiger gewesen, wenn ich nicht die Absicht gehabt hätte, meine Tochter an ihn zu verheirathen. Dieses würde meine Sache, und meine Rechnungen, gerechtfertigt haben. Mein Fehler ist es nicht, daß sich diese Ehe zer- schlagen hat. Jnzwischen bin ich unglücklich, daß ich über eine Sache angegriffen werde, da ich mich nicht vertheidigen kann. Es würde mir dieser Zufall noch empfindlicher seyn, wenn ich mit einem Richter zu thun hätte, der zu gewissenhaft wäre, sich bestechen zu lassen. Jch freue mich unendlich, mein Herr, daß Sie es nicht sind. Sie haben den Ruhm in der ganzen Stadt vor Sich, daß Sie zuerst auf Jhren Vortheil, und hernach auf Jhrer Clienten Sache sehen. Sie werden mir nicht ungütig nehmen, daß ich hier eine Sache ge- gen Sie erwähne, die Sie, meines Wissens, nie- mals heimlich gehalten haben. Jn der That ist
es
Satyriſche Briefe.
„einruͤcken, wo man dem Richter ſagt, daß man „ihn beſtechen will. Ein jeder ſetze ſich an die „Stelle des Richters, und pruͤfe ſich, was er in „dieſem Falle werde gethan haben.„
Mein Herr,
Jch will es Jhnen aufrichtig geſtehn: Die Kla- gen, die mein ehmaliger Muͤndel wider mich erhoben hat, iſt leider gegruͤndet genug. Jch habe einen ziemlichen Theil ſeines Vermoͤgens theils verwahrloſet, theils an mich gebracht. Vielleicht waͤre ich wenigſtens vorſichtiger geweſen, wenn ich nicht die Abſicht gehabt haͤtte, meine Tochter an ihn zu verheirathen. Dieſes wuͤrde meine Sache, und meine Rechnungen, gerechtfertigt haben. Mein Fehler iſt es nicht, daß ſich dieſe Ehe zer- ſchlagen hat. Jnzwiſchen bin ich ungluͤcklich, daß ich uͤber eine Sache angegriffen werde, da ich mich nicht vertheidigen kann. Es wuͤrde mir dieſer Zufall noch empfindlicher ſeyn, wenn ich mit einem Richter zu thun haͤtte, der zu gewiſſenhaft waͤre, ſich beſtechen zu laſſen. Jch freue mich unendlich, mein Herr, daß Sie es nicht ſind. Sie haben den Ruhm in der ganzen Stadt vor Sich, daß Sie zuerſt auf Jhren Vortheil, und hernach auf Jhrer Clienten Sache ſehen. Sie werden mir nicht unguͤtig nehmen, daß ich hier eine Sache ge- gen Sie erwaͤhne, die Sie, meines Wiſſens, nie- mals heimlich gehalten haben. Jn der That iſt
es
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0090"n="62"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Satyriſche Briefe.</hi></fw><lb/>„einruͤcken, wo man dem Richter ſagt, daß man<lb/>„ihn beſtechen will. Ein jeder ſetze ſich an die<lb/>„Stelle des Richters, und pruͤfe ſich, was er in<lb/>„dieſem Falle werde gethan haben.„</p><lb/><floatingText><body><divtype="letter"><salute><hirendition="#et"><hirendition="#fr">Mein Herr,</hi></hi></salute><lb/><p><hirendition="#in">J</hi>ch will es Jhnen aufrichtig geſtehn: Die Kla-<lb/>
gen, die mein ehmaliger Muͤndel wider mich<lb/>
erhoben hat, iſt leider gegruͤndet genug. Jch habe<lb/>
einen ziemlichen Theil ſeines Vermoͤgens theils<lb/>
verwahrloſet, theils an mich gebracht. Vielleicht<lb/>
waͤre ich wenigſtens vorſichtiger geweſen, wenn ich<lb/>
nicht die Abſicht gehabt haͤtte, meine Tochter an<lb/>
ihn zu verheirathen. Dieſes wuͤrde meine Sache,<lb/>
und meine Rechnungen, gerechtfertigt haben.<lb/>
Mein Fehler iſt es nicht, daß ſich dieſe Ehe zer-<lb/>ſchlagen hat. Jnzwiſchen bin ich ungluͤcklich, daß<lb/>
ich uͤber eine Sache angegriffen werde, da ich mich<lb/>
nicht vertheidigen kann. Es wuͤrde mir dieſer<lb/>
Zufall noch empfindlicher ſeyn, wenn ich mit einem<lb/>
Richter zu thun haͤtte, der zu gewiſſenhaft waͤre,<lb/>ſich beſtechen zu laſſen. Jch freue mich unendlich,<lb/>
mein Herr, daß Sie es nicht ſind. Sie haben<lb/>
den Ruhm in der ganzen Stadt vor Sich, daß<lb/>
Sie zuerſt auf Jhren Vortheil, und hernach auf<lb/>
Jhrer Clienten Sache ſehen. Sie werden mir<lb/>
nicht unguͤtig nehmen, daß ich hier eine Sache ge-<lb/>
gen Sie erwaͤhne, die Sie, meines Wiſſens, nie-<lb/>
mals heimlich gehalten haben. Jn der That iſt<lb/><fwplace="bottom"type="catch">es</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></body></text></TEI>
[62/0090]
Satyriſche Briefe.
„einruͤcken, wo man dem Richter ſagt, daß man
„ihn beſtechen will. Ein jeder ſetze ſich an die
„Stelle des Richters, und pruͤfe ſich, was er in
„dieſem Falle werde gethan haben.„
Mein Herr,
Jch will es Jhnen aufrichtig geſtehn: Die Kla-
gen, die mein ehmaliger Muͤndel wider mich
erhoben hat, iſt leider gegruͤndet genug. Jch habe
einen ziemlichen Theil ſeines Vermoͤgens theils
verwahrloſet, theils an mich gebracht. Vielleicht
waͤre ich wenigſtens vorſichtiger geweſen, wenn ich
nicht die Abſicht gehabt haͤtte, meine Tochter an
ihn zu verheirathen. Dieſes wuͤrde meine Sache,
und meine Rechnungen, gerechtfertigt haben.
Mein Fehler iſt es nicht, daß ſich dieſe Ehe zer-
ſchlagen hat. Jnzwiſchen bin ich ungluͤcklich, daß
ich uͤber eine Sache angegriffen werde, da ich mich
nicht vertheidigen kann. Es wuͤrde mir dieſer
Zufall noch empfindlicher ſeyn, wenn ich mit einem
Richter zu thun haͤtte, der zu gewiſſenhaft waͤre,
ſich beſtechen zu laſſen. Jch freue mich unendlich,
mein Herr, daß Sie es nicht ſind. Sie haben
den Ruhm in der ganzen Stadt vor Sich, daß
Sie zuerſt auf Jhren Vortheil, und hernach auf
Jhrer Clienten Sache ſehen. Sie werden mir
nicht unguͤtig nehmen, daß ich hier eine Sache ge-
gen Sie erwaͤhne, die Sie, meines Wiſſens, nie-
mals heimlich gehalten haben. Jn der That iſt
es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/90>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.