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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
wurfs mit auf sie fallen, und man wird sich Mühe
geben, ihre Absichten verdächtig, und wenigstens
eigennützig zu machen. Was hat sie alsdann für
Mittel in Händen, ihre Unschuld zu vertheidigen?
Und wie empfindlich muß ein solcher Vorwurf seyn,
den man nicht ablehnen kann! Werden ihre eig-
nen Verwandten billig genug seyn, ihren Ent-
schluß zu rechtfertigen, oder wird es Jhnen nicht
immer einfallen, daß sie etwas gethan, das ein
Fräulein von altem guten Hause nicht hätte thun
sollen? Es sind Vorurtheile, mein Herr, sehr lä-
cherliche Vorurtheile, sie haben Recht; aber sie sind
doch allgemein, und um deßwillen allemal gefährlich.

Müssen Sie es nicht gestehn, mein Herr, daß
dieser Fehler nicht dem Adel allein eigen ist? Er ist
unter denen vom bürgerlichen Stande noch viel
stärker. Jch will nur ein Exempel anführen. Ein
Doctor ist ein Bürger, ein Handwerksmann auch.
Was für Bewegungen erregt das in der bürgerli-
chen Welt, wenn ein Doctor die Tochter seines
Schusters heirathet! Alle Caffeegesellschaften, alle
Wochenstuben schreyen Ach und Weh über diese
widernatürliche Verbindung. Haben Sie immer
die gefällige Nachsicht gegen die Thorheiten meines
Standes, welche sich durch die Thorheiten des Jh-
rigen so lange rechtfertigen, bis beide vernünftiger
denken, und billiger urtheilen lernen. Es ist einem
Fräulein wohl erlaubt, einen Mann bürgerlichen
Standes hoch zu achten, und seine aufrichtige Freun-
dinn zu seyn, wenn man ihr gleich nicht erlauben

will,

Satyriſche Briefe.
wurfs mit auf ſie fallen, und man wird ſich Muͤhe
geben, ihre Abſichten verdaͤchtig, und wenigſtens
eigennuͤtzig zu machen. Was hat ſie alsdann fuͤr
Mittel in Haͤnden, ihre Unſchuld zu vertheidigen?
Und wie empfindlich muß ein ſolcher Vorwurf ſeyn,
den man nicht ablehnen kann! Werden ihre eig-
nen Verwandten billig genug ſeyn, ihren Ent-
ſchluß zu rechtfertigen, oder wird es Jhnen nicht
immer einfallen, daß ſie etwas gethan, das ein
Fraͤulein von altem guten Hauſe nicht haͤtte thun
ſollen? Es ſind Vorurtheile, mein Herr, ſehr laͤ-
cherliche Vorurtheile, ſie haben Recht; aber ſie ſind
doch allgemein, und um deßwillen allemal gefaͤhrlich.

Muͤſſen Sie es nicht geſtehn, mein Herr, daß
dieſer Fehler nicht dem Adel allein eigen iſt? Er iſt
unter denen vom buͤrgerlichen Stande noch viel
ſtaͤrker. Jch will nur ein Exempel anfuͤhren. Ein
Doctor iſt ein Buͤrger, ein Handwerksmann auch.
Was fuͤr Bewegungen erregt das in der buͤrgerli-
chen Welt, wenn ein Doctor die Tochter ſeines
Schuſters heirathet! Alle Caffeegeſellſchaften, alle
Wochenſtuben ſchreyen Ach und Weh uͤber dieſe
widernatuͤrliche Verbindung. Haben Sie immer
die gefaͤllige Nachſicht gegen die Thorheiten meines
Standes, welche ſich durch die Thorheiten des Jh-
rigen ſo lange rechtfertigen, bis beide vernuͤnftiger
denken, und billiger urtheilen lernen. Es iſt einem
Fraͤulein wohl erlaubt, einen Mann buͤrgerlichen
Standes hoch zu achten, und ſeine aufrichtige Freun-
dinn zu ſeyn, wenn man ihr gleich nicht erlauben

will,
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[374/0402] Satyriſche Briefe. wurfs mit auf ſie fallen, und man wird ſich Muͤhe geben, ihre Abſichten verdaͤchtig, und wenigſtens eigennuͤtzig zu machen. Was hat ſie alsdann fuͤr Mittel in Haͤnden, ihre Unſchuld zu vertheidigen? Und wie empfindlich muß ein ſolcher Vorwurf ſeyn, den man nicht ablehnen kann! Werden ihre eig- nen Verwandten billig genug ſeyn, ihren Ent- ſchluß zu rechtfertigen, oder wird es Jhnen nicht immer einfallen, daß ſie etwas gethan, das ein Fraͤulein von altem guten Hauſe nicht haͤtte thun ſollen? Es ſind Vorurtheile, mein Herr, ſehr laͤ- cherliche Vorurtheile, ſie haben Recht; aber ſie ſind doch allgemein, und um deßwillen allemal gefaͤhrlich. Muͤſſen Sie es nicht geſtehn, mein Herr, daß dieſer Fehler nicht dem Adel allein eigen iſt? Er iſt unter denen vom buͤrgerlichen Stande noch viel ſtaͤrker. Jch will nur ein Exempel anfuͤhren. Ein Doctor iſt ein Buͤrger, ein Handwerksmann auch. Was fuͤr Bewegungen erregt das in der buͤrgerli- chen Welt, wenn ein Doctor die Tochter ſeines Schuſters heirathet! Alle Caffeegeſellſchaften, alle Wochenſtuben ſchreyen Ach und Weh uͤber dieſe widernatuͤrliche Verbindung. Haben Sie immer die gefaͤllige Nachſicht gegen die Thorheiten meines Standes, welche ſich durch die Thorheiten des Jh- rigen ſo lange rechtfertigen, bis beide vernuͤnftiger denken, und billiger urtheilen lernen. Es iſt einem Fraͤulein wohl erlaubt, einen Mann buͤrgerlichen Standes hoch zu achten, und ſeine aufrichtige Freun- dinn zu ſeyn, wenn man ihr gleich nicht erlauben will,

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/402>, abgerufen am 23.11.2024.