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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
der Ehe wird dieses seyn? Je mehr wir einander
lieben, ie bekümmerter müssen wir seyn, wenn wir
sehen, daß es uns an den unentbehrlichsten Noth-
wendigkeiten fehlt. Wissen Sie wohl, was ich
thun würde, wenn Sie alsdann mein Mann wä-
ren? Jch würde mir die äusserste Gewalt anthun,
mich alle Mittage um zwölf Uhr mit Jhnen zu zan-
ken, mich bis aufs Schlagen mit Jhnen zu zanken,
und Sie so lange zu reizen, bis Sie im Zorne zu
mir sprächen: Da, verhungre Bestie! Wie ruhig
wäre meine Liebe gegen Sie, wenn Sie alsdann
meine Noth nicht fühlten, wenn Sie vor Aerger-
niß vergäßen, daß Jhre liebe Frau nichts zu essen
hätte, wenn ich den Kummer, unsern Mangel zu
empfinden, ganz allein litte! Was wollen wir uns
unser Leben so schwer machen! Der Himmel will
uns alle ernähren, es ist wahr; aber das versprach
der Himmel zu der Zeit, da wir noch nicht so viel
brauchten, wie itzt, und da die Eitelkeit der Men-
schen viel tausend unnöthige Dinge noch nicht er-
sonnen hatte, die in der Welt, worinn wir nun sind,
ganz unentbehrliche Dinge geworden sind. Noch
eins fällt mir ein. Können wir durch unsre über-
eilte Zuversicht nicht andre auch unglücklich ma-
chen? Als ein unverheirathetes Frauenzimmer soll-
te ich zwar zu blöde seyn, dieses zu sagen; aber
aus Furcht zu hungern sage ich alles, was mir ein-
fällt. Mit einem Worte, ich glaube gewiß, daß
es eine Art der Grausamkeit sey, wenn junge Leu-
te sich verheirathen, ohne zu wissen, wie sie ihren

Nach-

Satyriſche Briefe.
der Ehe wird dieſes ſeyn? Je mehr wir einander
lieben, ie bekuͤmmerter muͤſſen wir ſeyn, wenn wir
ſehen, daß es uns an den unentbehrlichſten Noth-
wendigkeiten fehlt. Wiſſen Sie wohl, was ich
thun wuͤrde, wenn Sie alsdann mein Mann waͤ-
ren? Jch wuͤrde mir die aͤuſſerſte Gewalt anthun,
mich alle Mittage um zwoͤlf Uhr mit Jhnen zu zan-
ken, mich bis aufs Schlagen mit Jhnen zu zanken,
und Sie ſo lange zu reizen, bis Sie im Zorne zu
mir ſpraͤchen: Da, verhungre Beſtie! Wie ruhig
waͤre meine Liebe gegen Sie, wenn Sie alsdann
meine Noth nicht fuͤhlten, wenn Sie vor Aerger-
niß vergaͤßen, daß Jhre liebe Frau nichts zu eſſen
haͤtte, wenn ich den Kummer, unſern Mangel zu
empfinden, ganz allein litte! Was wollen wir uns
unſer Leben ſo ſchwer machen! Der Himmel will
uns alle ernaͤhren, es iſt wahr; aber das verſprach
der Himmel zu der Zeit, da wir noch nicht ſo viel
brauchten, wie itzt, und da die Eitelkeit der Men-
ſchen viel tauſend unnoͤthige Dinge noch nicht er-
ſonnen hatte, die in der Welt, worinn wir nun ſind,
ganz unentbehrliche Dinge geworden ſind. Noch
eins faͤllt mir ein. Koͤnnen wir durch unſre uͤber-
eilte Zuverſicht nicht andre auch ungluͤcklich ma-
chen? Als ein unverheirathetes Frauenzimmer ſoll-
te ich zwar zu bloͤde ſeyn, dieſes zu ſagen; aber
aus Furcht zu hungern ſage ich alles, was mir ein-
faͤllt. Mit einem Worte, ich glaube gewiß, daß
es eine Art der Grauſamkeit ſey, wenn junge Leu-
te ſich verheirathen, ohne zu wiſſen, wie ſie ihren

Nach-
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[360/0388] Satyriſche Briefe. der Ehe wird dieſes ſeyn? Je mehr wir einander lieben, ie bekuͤmmerter muͤſſen wir ſeyn, wenn wir ſehen, daß es uns an den unentbehrlichſten Noth- wendigkeiten fehlt. Wiſſen Sie wohl, was ich thun wuͤrde, wenn Sie alsdann mein Mann waͤ- ren? Jch wuͤrde mir die aͤuſſerſte Gewalt anthun, mich alle Mittage um zwoͤlf Uhr mit Jhnen zu zan- ken, mich bis aufs Schlagen mit Jhnen zu zanken, und Sie ſo lange zu reizen, bis Sie im Zorne zu mir ſpraͤchen: Da, verhungre Beſtie! Wie ruhig waͤre meine Liebe gegen Sie, wenn Sie alsdann meine Noth nicht fuͤhlten, wenn Sie vor Aerger- niß vergaͤßen, daß Jhre liebe Frau nichts zu eſſen haͤtte, wenn ich den Kummer, unſern Mangel zu empfinden, ganz allein litte! Was wollen wir uns unſer Leben ſo ſchwer machen! Der Himmel will uns alle ernaͤhren, es iſt wahr; aber das verſprach der Himmel zu der Zeit, da wir noch nicht ſo viel brauchten, wie itzt, und da die Eitelkeit der Men- ſchen viel tauſend unnoͤthige Dinge noch nicht er- ſonnen hatte, die in der Welt, worinn wir nun ſind, ganz unentbehrliche Dinge geworden ſind. Noch eins faͤllt mir ein. Koͤnnen wir durch unſre uͤber- eilte Zuverſicht nicht andre auch ungluͤcklich ma- chen? Als ein unverheirathetes Frauenzimmer ſoll- te ich zwar zu bloͤde ſeyn, dieſes zu ſagen; aber aus Furcht zu hungern ſage ich alles, was mir ein- faͤllt. Mit einem Worte, ich glaube gewiß, daß es eine Art der Grauſamkeit ſey, wenn junge Leu- te ſich verheirathen, ohne zu wiſſen, wie ſie ihren Nach-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/388>, abgerufen am 23.11.2024.