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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.
hast erlangen können, welcher so einsehend und
vernünftig ist, als Dein Bräutigam. Wie glück-
lich würden unsre Ehen seyn, wenn es eingesührt
wäre, daß junge Leute einander ihre Fehler ent-
deckten, anstatt daß sie sich alle Mühe geben,
einander durch Schmeichleyen solche zu verbergen,
und sich auf beiden Seiten zu betrügen! Der
Schritt, den Du itzt thust, ist der wichtigste Schritt,
den ein Frauenzimmer in ihrem ganzen Leben thun
kann. Und doch ist man gemeiniglich bey keinem
so leichtsinnig, als bey diesem. Die Uebereilung
von einer Minute ist der Grund zu einem Misver-
gnügen, das oft viele Jahre dauert, und sich nicht
eher endiget, als mit dem Tode. Alle unsre Ein-
sicht, welche wir Frauenzimmer zu haben glauben,
ist gemeiniglich nicht hinreichend, die Verstellung ei-
ner Mannsperson zu übersehn, welche sich um
unsre Gegenliebe bemüht. Jn andern Fällen sind
wir scharfsichtig genug, nur in diesem nicht, wo
sich Vorurtheile, Eigennutz, und andre Leiden-
schaften einmischen, die uns desto leichter blenden,
ie klüger wir uns zu seyn dünken. O wie viel
hast Du gewonnen, Liebe Tochter, daß Du alle Feh-
ler Deines künftigen Mannes schon itzt besser kennst,
als sie manche Frau an dem ihrigen nicht kennt,
mit dem sie wohl schon viele Jahre in einer mis-
vergnügten Ehe gelebt hat! Alle die Fehler, die
Herr R - - - von sich selbst sagt, sind Tugen-
den, weil er sie gesteht; und sein Eigensinn, wenn
es anders ein Eigensinn ist, verspricht einer ver-

nünfti-

Satyriſche Briefe.
haſt erlangen koͤnnen, welcher ſo einſehend und
vernuͤnftig iſt, als Dein Braͤutigam. Wie gluͤck-
lich wuͤrden unſre Ehen ſeyn, wenn es eingeſuͤhrt
waͤre, daß junge Leute einander ihre Fehler ent-
deckten, anſtatt daß ſie ſich alle Muͤhe geben,
einander durch Schmeichleyen ſolche zu verbergen,
und ſich auf beiden Seiten zu betruͤgen! Der
Schritt, den Du itzt thuſt, iſt der wichtigſte Schritt,
den ein Frauenzimmer in ihrem ganzen Leben thun
kann. Und doch iſt man gemeiniglich bey keinem
ſo leichtſinnig, als bey dieſem. Die Uebereilung
von einer Minute iſt der Grund zu einem Misver-
gnuͤgen, das oft viele Jahre dauert, und ſich nicht
eher endiget, als mit dem Tode. Alle unſre Ein-
ſicht, welche wir Frauenzimmer zu haben glauben,
iſt gemeiniglich nicht hinreichend, die Verſtellung ei-
ner Mannsperſon zu uͤberſehn, welche ſich um
unſre Gegenliebe bemuͤht. Jn andern Faͤllen ſind
wir ſcharfſichtig genug, nur in dieſem nicht, wo
ſich Vorurtheile, Eigennutz, und andre Leiden-
ſchaften einmiſchen, die uns deſto leichter blenden,
ie kluͤger wir uns zu ſeyn duͤnken. O wie viel
haſt Du gewonnen, Liebe Tochter, daß Du alle Feh-
ler Deines kuͤnftigen Mannes ſchon itzt beſſer kennſt,
als ſie manche Frau an dem ihrigen nicht kennt,
mit dem ſie wohl ſchon viele Jahre in einer mis-
vergnuͤgten Ehe gelebt hat! Alle die Fehler, die
Herr R ‒ ‒ ‒ von ſich ſelbſt ſagt, ſind Tugen-
den, weil er ſie geſteht; und ſein Eigenſinn, wenn
es anders ein Eigenſinn iſt, verſpricht einer ver-

nuͤnfti-
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[333/0361] Satyriſche Briefe. haſt erlangen koͤnnen, welcher ſo einſehend und vernuͤnftig iſt, als Dein Braͤutigam. Wie gluͤck- lich wuͤrden unſre Ehen ſeyn, wenn es eingeſuͤhrt waͤre, daß junge Leute einander ihre Fehler ent- deckten, anſtatt daß ſie ſich alle Muͤhe geben, einander durch Schmeichleyen ſolche zu verbergen, und ſich auf beiden Seiten zu betruͤgen! Der Schritt, den Du itzt thuſt, iſt der wichtigſte Schritt, den ein Frauenzimmer in ihrem ganzen Leben thun kann. Und doch iſt man gemeiniglich bey keinem ſo leichtſinnig, als bey dieſem. Die Uebereilung von einer Minute iſt der Grund zu einem Misver- gnuͤgen, das oft viele Jahre dauert, und ſich nicht eher endiget, als mit dem Tode. Alle unſre Ein- ſicht, welche wir Frauenzimmer zu haben glauben, iſt gemeiniglich nicht hinreichend, die Verſtellung ei- ner Mannsperſon zu uͤberſehn, welche ſich um unſre Gegenliebe bemuͤht. Jn andern Faͤllen ſind wir ſcharfſichtig genug, nur in dieſem nicht, wo ſich Vorurtheile, Eigennutz, und andre Leiden- ſchaften einmiſchen, die uns deſto leichter blenden, ie kluͤger wir uns zu ſeyn duͤnken. O wie viel haſt Du gewonnen, Liebe Tochter, daß Du alle Feh- ler Deines kuͤnftigen Mannes ſchon itzt beſſer kennſt, als ſie manche Frau an dem ihrigen nicht kennt, mit dem ſie wohl ſchon viele Jahre in einer mis- vergnuͤgten Ehe gelebt hat! Alle die Fehler, die Herr R ‒ ‒ ‒ von ſich ſelbſt ſagt, ſind Tugen- den, weil er ſie geſteht; und ſein Eigenſinn, wenn es anders ein Eigenſinn iſt, verſpricht einer ver- nuͤnfti-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/361>, abgerufen am 23.11.2024.