[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.Satyrische Briefe. Für das danken uns die Kinder selten, was wirihnen durch unsern Tod lassen müssen, weil wir es nicht ändern können. Diejenigen Wohlthaten ge- niessen wir selbst mit, die wir ihnen bey unserm Leben erweisen. Kann sich mein Enkel eine grö- ßere Wohlthat wünschen, als die, um welche ich für ihn bitte? Er hält es selbst für die größte, ich weiß es. Machen Sie ihn, und zugleich mich glücklich, Werthester Herr Bruder. Wir wol- len das Vergnügen unsrer Kinder befestigen, weil wir beide noch leben. Vielleicht hat uns der Himmel unsre hohen Jahre nur um deswillen so lange gefristet, daß wir an diesem Glücke gemein- schaftlich arbeiten sollen. Jch denke ganz ruhig an meinen Tod, wenn ich mir vorstelle, daß ich in den Armen dieser zärtlich geliebten Enkelinn sterben soll. Lassen Sie diese mir so angenehme Vorstel- lung nicht vergebens seyn. Eilen Sie, meine Bitte zu erfüllen. Sie wissen nicht, wie lange Sie bey Jhren Jahren noch im Stande sind, es zu thun. Jch wenigstens fühle mein Alter alle Tage mehr. Meine Mattigkeit, und andre Be- schwerungen erinnern mich stündlich an den letzten wichtigen Schritt, den wir zu thun haben. Jch werde meine Rückreise beschleunigen, und mit Un- geduld den Augenblick erwarten, da ich von Jh- nen erfahre, ob sich das Fräulein entschliessen kann, meinen Enkel glücklich zu machen, und einem red- lichen Vater, der sie so zärtlich liebt, seine Bitte, vielleicht seine letzte Bitte, zu gewähren. Der Him-
Satyriſche Briefe. Fuͤr das danken uns die Kinder ſelten, was wirihnen durch unſern Tod laſſen muͤſſen, weil wir es nicht aͤndern koͤnnen. Diejenigen Wohlthaten ge- nieſſen wir ſelbſt mit, die wir ihnen bey unſerm Leben erweiſen. Kann ſich mein Enkel eine groͤ- ßere Wohlthat wuͤnſchen, als die, um welche ich fuͤr ihn bitte? Er haͤlt es ſelbſt fuͤr die groͤßte, ich weiß es. Machen Sie ihn, und zugleich mich gluͤcklich, Wertheſter Herr Bruder. Wir wol- len das Vergnuͤgen unſrer Kinder befeſtigen, weil wir beide noch leben. Vielleicht hat uns der Himmel unſre hohen Jahre nur um deswillen ſo lange gefriſtet, daß wir an dieſem Gluͤcke gemein- ſchaftlich arbeiten ſollen. Jch denke ganz ruhig an meinen Tod, wenn ich mir vorſtelle, daß ich in den Armen dieſer zaͤrtlich geliebten Enkelinn ſterben ſoll. Laſſen Sie dieſe mir ſo angenehme Vorſtel- lung nicht vergebens ſeyn. Eilen Sie, meine Bitte zu erfuͤllen. Sie wiſſen nicht, wie lange Sie bey Jhren Jahren noch im Stande ſind, es zu thun. Jch wenigſtens fuͤhle mein Alter alle Tage mehr. Meine Mattigkeit, und andre Be- ſchwerungen erinnern mich ſtuͤndlich an den letzten wichtigen Schritt, den wir zu thun haben. Jch werde meine Ruͤckreiſe beſchleunigen, und mit Un- geduld den Augenblick erwarten, da ich von Jh- nen erfahre, ob ſich das Fraͤulein entſchlieſſen kann, meinen Enkel gluͤcklich zu machen, und einem red- lichen Vater, der ſie ſo zaͤrtlich liebt, ſeine Bitte, vielleicht ſeine letzte Bitte, zu gewaͤhren. Der Him-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0350" n="322"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Satyriſche Briefe.</hi></fw><lb/> Fuͤr das danken uns die Kinder ſelten, was wir<lb/> ihnen durch unſern Tod laſſen muͤſſen, weil wir es<lb/> nicht aͤndern koͤnnen. Diejenigen Wohlthaten ge-<lb/> nieſſen wir ſelbſt mit, die wir ihnen bey unſerm<lb/> Leben erweiſen. Kann ſich mein Enkel eine groͤ-<lb/> ßere Wohlthat wuͤnſchen, als die, um welche ich<lb/> fuͤr ihn bitte? Er haͤlt es ſelbſt fuͤr die groͤßte, ich<lb/> weiß es. Machen Sie ihn, und zugleich mich<lb/> gluͤcklich, Wertheſter Herr Bruder. Wir wol-<lb/> len das Vergnuͤgen unſrer Kinder befeſtigen, weil<lb/> wir beide noch leben. Vielleicht hat uns der<lb/> Himmel unſre hohen Jahre nur um deswillen ſo<lb/> lange gefriſtet, daß wir an dieſem Gluͤcke gemein-<lb/> ſchaftlich arbeiten ſollen. Jch denke ganz ruhig an<lb/> meinen Tod, wenn ich mir vorſtelle, daß ich in<lb/> den Armen dieſer zaͤrtlich geliebten Enkelinn ſterben<lb/> ſoll. Laſſen Sie dieſe mir ſo angenehme Vorſtel-<lb/> lung nicht vergebens ſeyn. Eilen Sie, meine<lb/> Bitte zu erfuͤllen. Sie wiſſen nicht, wie lange<lb/> Sie bey Jhren Jahren noch im Stande ſind, es<lb/> zu thun. Jch wenigſtens fuͤhle mein Alter alle<lb/> Tage mehr. Meine Mattigkeit, und andre Be-<lb/> ſchwerungen erinnern mich ſtuͤndlich an den letzten<lb/> wichtigen Schritt, den wir zu thun haben. Jch<lb/> werde meine Ruͤckreiſe beſchleunigen, und mit Un-<lb/> geduld den Augenblick erwarten, da ich von Jh-<lb/> nen erfahre, ob ſich das Fraͤulein entſchlieſſen kann,<lb/> meinen Enkel gluͤcklich zu machen, und einem red-<lb/> lichen Vater, der ſie ſo zaͤrtlich liebt, ſeine Bitte,<lb/> vielleicht ſeine letzte Bitte, zu gewaͤhren. Der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Him-</fw><lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [322/0350]
Satyriſche Briefe.
Fuͤr das danken uns die Kinder ſelten, was wir
ihnen durch unſern Tod laſſen muͤſſen, weil wir es
nicht aͤndern koͤnnen. Diejenigen Wohlthaten ge-
nieſſen wir ſelbſt mit, die wir ihnen bey unſerm
Leben erweiſen. Kann ſich mein Enkel eine groͤ-
ßere Wohlthat wuͤnſchen, als die, um welche ich
fuͤr ihn bitte? Er haͤlt es ſelbſt fuͤr die groͤßte, ich
weiß es. Machen Sie ihn, und zugleich mich
gluͤcklich, Wertheſter Herr Bruder. Wir wol-
len das Vergnuͤgen unſrer Kinder befeſtigen, weil
wir beide noch leben. Vielleicht hat uns der
Himmel unſre hohen Jahre nur um deswillen ſo
lange gefriſtet, daß wir an dieſem Gluͤcke gemein-
ſchaftlich arbeiten ſollen. Jch denke ganz ruhig an
meinen Tod, wenn ich mir vorſtelle, daß ich in
den Armen dieſer zaͤrtlich geliebten Enkelinn ſterben
ſoll. Laſſen Sie dieſe mir ſo angenehme Vorſtel-
lung nicht vergebens ſeyn. Eilen Sie, meine
Bitte zu erfuͤllen. Sie wiſſen nicht, wie lange
Sie bey Jhren Jahren noch im Stande ſind, es
zu thun. Jch wenigſtens fuͤhle mein Alter alle
Tage mehr. Meine Mattigkeit, und andre Be-
ſchwerungen erinnern mich ſtuͤndlich an den letzten
wichtigen Schritt, den wir zu thun haben. Jch
werde meine Ruͤckreiſe beſchleunigen, und mit Un-
geduld den Augenblick erwarten, da ich von Jh-
nen erfahre, ob ſich das Fraͤulein entſchlieſſen kann,
meinen Enkel gluͤcklich zu machen, und einem red-
lichen Vater, der ſie ſo zaͤrtlich liebt, ſeine Bitte,
vielleicht ſeine letzte Bitte, zu gewaͤhren. Der
Him-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |