Schreiben des Herrn Hofraths R - - - an die Mademoiselle F - - -
"Der Tod meiner Frau, welche vor einem Jah- "re gestorben ist, hat mich in die Nothwen- "digkeit gesetzt, für eine ziemlich weitläuftige "Wirthschaft, und für die Erziehung zweyer Kin- "der zu sorgen, wovon das älteste acht Jahre ist. "Mein Amt, das ich habe, ist mit so vieler Unruhe "verknüpft, daß ich mich nicht im Stande sehe, "meinen häuslichen Angelegenheiten länger, wie "bisher, allein vorzustehn, ob ich schon aus Liebe "zu meinen Kindern wohl wünschte, den ganzen "Tag auf ihre Zucht und Unterweisung wenden "zu können, da ich, wenn ich mir als Vater nicht "etwa zu viel schmeichle, so viel gutes in ihren "jungen Gemütern zu finden glaube, welches die "Hoffnung sorgfältiger Aeltern mit der Zeit reich- "lich belohnen wird. Es ist um deswillen eine "meiner wichtigsten Sorgen, wie ich diesen guten "Kindern den Verlust ersetzen möge, den sie durch "den Tod einer vernünftigen und liebreichen Mut- "ter so früh erlitten haben. Die Gelegenheit, die "ich gehabt, Jhren Herrn Vater seit langen Jah- "ren zu kennen, ist Ursache, daß ich mir von Jh- "nen, Mademoiselle, nichts anders, als den Cha-
"rakter
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Satyriſche Briefe.
Schreiben des Herrn Hofraths R ‒ ‒ ‒ an die Mademoiſelle F ‒ ‒ ‒
„Der Tod meiner Frau, welche vor einem Jah- „re geſtorben iſt, hat mich in die Nothwen- „digkeit geſetzt, fuͤr eine ziemlich weitlaͤuftige „Wirthſchaft, und fuͤr die Erziehung zweyer Kin- „der zu ſorgen, wovon das aͤlteſte acht Jahre iſt. „Mein Amt, das ich habe, iſt mit ſo vieler Unruhe „verknuͤpft, daß ich mich nicht im Stande ſehe, „meinen haͤuslichen Angelegenheiten laͤnger, wie „bisher, allein vorzuſtehn, ob ich ſchon aus Liebe „zu meinen Kindern wohl wuͤnſchte, den ganzen „Tag auf ihre Zucht und Unterweiſung wenden „zu koͤnnen, da ich, wenn ich mir als Vater nicht „etwa zu viel ſchmeichle, ſo viel gutes in ihren „jungen Gemuͤtern zu finden glaube, welches die „Hoffnung ſorgfaͤltiger Aeltern mit der Zeit reich- „lich belohnen wird. Es iſt um deswillen eine „meiner wichtigſten Sorgen, wie ich dieſen guten „Kindern den Verluſt erſetzen moͤge, den ſie durch „den Tod einer vernuͤnftigen und liebreichen Mut- „ter ſo fruͤh erlitten haben. Die Gelegenheit, die „ich gehabt, Jhren Herrn Vater ſeit langen Jah- „ren zu kennen, iſt Urſache, daß ich mir von Jh- „nen, Mademoiſelle, nichts anders, als den Cha-
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[183/0211]
Satyriſche Briefe.
Schreiben
des Herrn Hofraths R ‒ ‒ ‒
an die
Mademoiſelle F ‒ ‒ ‒
„Der Tod meiner Frau, welche vor einem Jah-
„re geſtorben iſt, hat mich in die Nothwen-
„digkeit geſetzt, fuͤr eine ziemlich weitlaͤuftige
„Wirthſchaft, und fuͤr die Erziehung zweyer Kin-
„der zu ſorgen, wovon das aͤlteſte acht Jahre iſt.
„Mein Amt, das ich habe, iſt mit ſo vieler Unruhe
„verknuͤpft, daß ich mich nicht im Stande ſehe,
„meinen haͤuslichen Angelegenheiten laͤnger, wie
„bisher, allein vorzuſtehn, ob ich ſchon aus Liebe
„zu meinen Kindern wohl wuͤnſchte, den ganzen
„Tag auf ihre Zucht und Unterweiſung wenden
„zu koͤnnen, da ich, wenn ich mir als Vater nicht
„etwa zu viel ſchmeichle, ſo viel gutes in ihren
„jungen Gemuͤtern zu finden glaube, welches die
„Hoffnung ſorgfaͤltiger Aeltern mit der Zeit reich-
„lich belohnen wird. Es iſt um deswillen eine
„meiner wichtigſten Sorgen, wie ich dieſen guten
„Kindern den Verluſt erſetzen moͤge, den ſie durch
„den Tod einer vernuͤnftigen und liebreichen Mut-
„ter ſo fruͤh erlitten haben. Die Gelegenheit, die
„ich gehabt, Jhren Herrn Vater ſeit langen Jah-
„ren zu kennen, iſt Urſache, daß ich mir von Jh-
„nen, Mademoiſelle, nichts anders, als den Cha-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/211>, abgerufen am 23.11.2024.
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