Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Satyrische Briefe.
"den Leidenschaften eines Richters zu seinem Vor-
"theile zu bemächtigen: so wird es oft eine sehr
"vergebne Arbeit seyn, daß man ihn durch Mit-
"leiden und Erbarmung zu bewegen suche. Diese
"Empfindungen sind allzumenschlich für einen
"Mann, den gemeiniglich sein Amt zu ernsthaft
"macht, als daß er bey den Thränen einer Witwe
"weinen sollte. Er gewöhnt sich hart, um desto
"unpartheyischer, und von dieser Seite unempfind-
"lich zu seyn; denn wenn er ja empfindlich seyn
"soll, so müssen die Ursachen dazu gewiß einträg-
"lich seyn. Das aber sind die Thränen des Ar-
"muths nicht. Man wird mir nicht zumuthen,
"dasjenige hier zu wiederholen, was ich so oft ge-
"sagt habe. Jch weiß freylich, daß es Richter
"giebt, die zum großen Schaden ihrer häuslichen
"Nahrung ganz anders gesinnt sind, ich weiß auch,
"daß diese eine ziemliche Anzahl ausmachen; aber
"das weiß ich auch, daß der größte Haufe von
"ihnen ganz anders, und gründlicher denkt. Und
"nur von diesem größten Haufen rede ich. Die
"andern sind Phänomena, die zur Ausnahme ge-
"hören. Wieder zur Hauptsache zu kommen! Man
"hüte sich also wohl, dem Richter durch Thränen
"und Klagen, und Erzählung unsers Elends einen
"Ekel gegen unsre Sache beyzubringen. Er wird
"die Augen wegwenden, um unsern Jammer nicht
"zu sehen. Hätten wir nicht so gar ängstlich und
"kläglich gethan: so würde er sich vielleicht noch
"einen guten Begriff von unsrer Sache gemacht

"haben;
G 5

Satyriſche Briefe.
„den Leidenſchaften eines Richters zu ſeinem Vor-
„theile zu bemaͤchtigen: ſo wird es oft eine ſehr
„vergebne Arbeit ſeyn, daß man ihn durch Mit-
„leiden und Erbarmung zu bewegen ſuche. Dieſe
„Empfindungen ſind allzumenſchlich fuͤr einen
„Mann, den gemeiniglich ſein Amt zu ernſthaft
„macht, als daß er bey den Thraͤnen einer Witwe
„weinen ſollte. Er gewoͤhnt ſich hart, um deſto
„unpartheyiſcher, und von dieſer Seite unempfind-
„lich zu ſeyn; denn wenn er ja empfindlich ſeyn
„ſoll, ſo muͤſſen die Urſachen dazu gewiß eintraͤg-
„lich ſeyn. Das aber ſind die Thraͤnen des Ar-
„muths nicht. Man wird mir nicht zumuthen,
„dasjenige hier zu wiederholen, was ich ſo oft ge-
„ſagt habe. Jch weiß freylich, daß es Richter
„giebt, die zum großen Schaden ihrer haͤuslichen
„Nahrung ganz anders geſinnt ſind, ich weiß auch,
„daß dieſe eine ziemliche Anzahl ausmachen; aber
„das weiß ich auch, daß der groͤßte Haufe von
„ihnen ganz anders, und gruͤndlicher denkt. Und
„nur von dieſem groͤßten Haufen rede ich. Die
„andern ſind Phaͤnomena, die zur Ausnahme ge-
„hoͤren. Wieder zur Hauptſache zu kommen! Man
„huͤte ſich alſo wohl, dem Richter durch Thraͤnen
„und Klagen, und Erzaͤhlung unſers Elends einen
„Ekel gegen unſre Sache beyzubringen. Er wird
„die Augen wegwenden, um unſern Jammer nicht
„zu ſehen. Haͤtten wir nicht ſo gar aͤngſtlich und
„klaͤglich gethan: ſo wuͤrde er ſich vielleicht noch
„einen guten Begriff von unſrer Sache gemacht

„haben;
G 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0133" n="105"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Satyri&#x017F;che Briefe.</hi></fw><lb/>
&#x201E;den Leiden&#x017F;chaften eines Richters zu &#x017F;einem Vor-<lb/>
&#x201E;theile zu bema&#x0364;chtigen: &#x017F;o wird es oft eine &#x017F;ehr<lb/>
&#x201E;vergebne Arbeit &#x017F;eyn, daß man ihn durch Mit-<lb/>
&#x201E;leiden und Erbarmung zu bewegen &#x017F;uche. Die&#x017F;e<lb/>
&#x201E;Empfindungen &#x017F;ind allzumen&#x017F;chlich fu&#x0364;r einen<lb/>
&#x201E;Mann, den gemeiniglich &#x017F;ein Amt zu ern&#x017F;thaft<lb/>
&#x201E;macht, als daß er bey den Thra&#x0364;nen einer Witwe<lb/>
&#x201E;weinen &#x017F;ollte. Er gewo&#x0364;hnt &#x017F;ich hart, um de&#x017F;to<lb/>
&#x201E;unpartheyi&#x017F;cher, und von die&#x017F;er Seite unempfind-<lb/>
&#x201E;lich zu &#x017F;eyn; denn wenn er ja empfindlich &#x017F;eyn<lb/>
&#x201E;&#x017F;oll, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Ur&#x017F;achen dazu gewiß eintra&#x0364;g-<lb/>
&#x201E;lich &#x017F;eyn. Das aber &#x017F;ind die Thra&#x0364;nen des Ar-<lb/>
&#x201E;muths nicht. Man wird mir nicht zumuthen,<lb/>
&#x201E;dasjenige hier zu wiederholen, was ich &#x017F;o oft ge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;agt habe. Jch weiß freylich, daß es Richter<lb/>
&#x201E;giebt, die zum großen Schaden ihrer ha&#x0364;uslichen<lb/>
&#x201E;Nahrung ganz anders ge&#x017F;innt &#x017F;ind, ich weiß auch,<lb/>
&#x201E;daß die&#x017F;e eine ziemliche Anzahl ausmachen; aber<lb/>
&#x201E;das weiß ich auch, daß der gro&#x0364;ßte Haufe von<lb/>
&#x201E;ihnen ganz anders, und gru&#x0364;ndlicher denkt. Und<lb/>
&#x201E;nur von die&#x017F;em gro&#x0364;ßten Haufen rede ich. Die<lb/>
&#x201E;andern &#x017F;ind Pha&#x0364;nomena, die zur Ausnahme ge-<lb/>
&#x201E;ho&#x0364;ren. Wieder zur Haupt&#x017F;ache zu kommen! Man<lb/>
&#x201E;hu&#x0364;te &#x017F;ich al&#x017F;o wohl, dem Richter durch Thra&#x0364;nen<lb/>
&#x201E;und Klagen, und Erza&#x0364;hlung un&#x017F;ers Elends einen<lb/>
&#x201E;Ekel gegen un&#x017F;re Sache beyzubringen. Er wird<lb/>
&#x201E;die Augen wegwenden, um un&#x017F;ern Jammer nicht<lb/>
&#x201E;zu &#x017F;ehen. Ha&#x0364;tten wir nicht &#x017F;o gar a&#x0364;ng&#x017F;tlich und<lb/>
&#x201E;kla&#x0364;glich gethan: &#x017F;o wu&#x0364;rde er &#x017F;ich vielleicht noch<lb/>
&#x201E;einen guten Begriff von un&#x017F;rer Sache gemacht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;haben;</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0133] Satyriſche Briefe. „den Leidenſchaften eines Richters zu ſeinem Vor- „theile zu bemaͤchtigen: ſo wird es oft eine ſehr „vergebne Arbeit ſeyn, daß man ihn durch Mit- „leiden und Erbarmung zu bewegen ſuche. Dieſe „Empfindungen ſind allzumenſchlich fuͤr einen „Mann, den gemeiniglich ſein Amt zu ernſthaft „macht, als daß er bey den Thraͤnen einer Witwe „weinen ſollte. Er gewoͤhnt ſich hart, um deſto „unpartheyiſcher, und von dieſer Seite unempfind- „lich zu ſeyn; denn wenn er ja empfindlich ſeyn „ſoll, ſo muͤſſen die Urſachen dazu gewiß eintraͤg- „lich ſeyn. Das aber ſind die Thraͤnen des Ar- „muths nicht. Man wird mir nicht zumuthen, „dasjenige hier zu wiederholen, was ich ſo oft ge- „ſagt habe. Jch weiß freylich, daß es Richter „giebt, die zum großen Schaden ihrer haͤuslichen „Nahrung ganz anders geſinnt ſind, ich weiß auch, „daß dieſe eine ziemliche Anzahl ausmachen; aber „das weiß ich auch, daß der groͤßte Haufe von „ihnen ganz anders, und gruͤndlicher denkt. Und „nur von dieſem groͤßten Haufen rede ich. Die „andern ſind Phaͤnomena, die zur Ausnahme ge- „hoͤren. Wieder zur Hauptſache zu kommen! Man „huͤte ſich alſo wohl, dem Richter durch Thraͤnen „und Klagen, und Erzaͤhlung unſers Elends einen „Ekel gegen unſre Sache beyzubringen. Er wird „die Augen wegwenden, um unſern Jammer nicht „zu ſehen. Haͤtten wir nicht ſo gar aͤngſtlich und „klaͤglich gethan: ſo wuͤrde er ſich vielleicht noch „einen guten Begriff von unſrer Sache gemacht „haben; G 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/133
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/133>, abgerufen am 23.11.2024.