Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Traum
das geschäfftige Bezeigen ihrer Hinterlaßnen beun-
ruhigt, und beynahe munter gemacht hätte. Sie
habe sich mit halbgeschloßnen Augen aus dem Zim-
mer gewagt, und sey gleich zu der Zeit in diese Ge-
gend gekommen, als die Sonne hervorgebrochen.
Dieser Anblick sey ihr unerträglich gewesen, daß
sie die Hand vor das Gesicht gehalten, und getau-
melt habe; nicht anders, als ein Gefangner, wel-
cher viele Jahre unter der Erde gesessen hat, und
auf einmal an das Tageslicht kömmt. So viel ist
indessen gewiß; so lange ich ihn kenne, so lange hat
er sich auch in dieser Gegend aufgehalten, wo er
noch itzt schläft, ohne sich zu bekümmern, wo er ei-
gentlich sey, oder was um ihn herum vorgehe. Ei-
nige seiner Landsleute haben mich versichert, daß er
beständig träge, und unempfindlich gewesen, und
wenn er auch gegessen, getrunken, oder sonst etwas
gethan, was er zur Erhaltung seines Körpers un-
umgänglich thun müssen: So habe man doch ei-
gentlich gemerkt, daß es mit der größten Schläfrig-
keit geschehen sey. Zuweilen hat er ausgesehen,
wie ein andres vernünftiges Geschöpf, welches
wacht, so bald er aber angefangen, den Mund zu
bewegen, wie ein wachender Mensch, welcher re-
den will, so hat man gleich gemerkt, daß er in der
That sehr fest geschlafen, denn seine Worte sind
eben so verwirrt, und ohne Verstand gewesen, wie
die Worte derer sind, welche man noch vor Mitter-
nacht in ihren Träumen stört. Unterdessen hat
er doch ein sehr exemplarisches Ende genommen.
Anfänglich ist er ungemein unruhig gewesen, als

ihm

Ein Traum
das geſchaͤfftige Bezeigen ihrer Hinterlaßnen beun-
ruhigt, und beynahe munter gemacht haͤtte. Sie
habe ſich mit halbgeſchloßnen Augen aus dem Zim-
mer gewagt, und ſey gleich zu der Zeit in dieſe Ge-
gend gekommen, als die Sonne hervorgebrochen.
Dieſer Anblick ſey ihr unertraͤglich geweſen, daß
ſie die Hand vor das Geſicht gehalten, und getau-
melt habe; nicht anders, als ein Gefangner, wel-
cher viele Jahre unter der Erde geſeſſen hat, und
auf einmal an das Tageslicht koͤmmt. So viel iſt
indeſſen gewiß; ſo lange ich ihn kenne, ſo lange hat
er ſich auch in dieſer Gegend aufgehalten, wo er
noch itzt ſchlaͤft, ohne ſich zu bekuͤmmern, wo er ei-
gentlich ſey, oder was um ihn herum vorgehe. Ei-
nige ſeiner Landsleute haben mich verſichert, daß er
beſtaͤndig traͤge, und unempfindlich geweſen, und
wenn er auch gegeſſen, getrunken, oder ſonſt etwas
gethan, was er zur Erhaltung ſeines Koͤrpers un-
umgaͤnglich thun muͤſſen: So habe man doch ei-
gentlich gemerkt, daß es mit der groͤßten Schlaͤfrig-
keit geſchehen ſey. Zuweilen hat er ausgeſehen,
wie ein andres vernuͤnftiges Geſchoͤpf, welches
wacht, ſo bald er aber angefangen, den Mund zu
bewegen, wie ein wachender Menſch, welcher re-
den will, ſo hat man gleich gemerkt, daß er in der
That ſehr feſt geſchlafen, denn ſeine Worte ſind
eben ſo verwirrt, und ohne Verſtand geweſen, wie
die Worte derer ſind, welche man noch vor Mitter-
nacht in ihren Traͤumen ſtoͤrt. Unterdeſſen hat
er doch ein ſehr exemplariſches Ende genommen.
Anfaͤnglich iſt er ungemein unruhig geweſen, als

ihm
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="54"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ein Traum</hi></fw><lb/>
das ge&#x017F;cha&#x0364;fftige Bezeigen ihrer Hinterlaßnen beun-<lb/>
ruhigt, und beynahe munter gemacht ha&#x0364;tte. Sie<lb/>
habe &#x017F;ich mit halbge&#x017F;chloßnen Augen aus dem Zim-<lb/>
mer gewagt, und &#x017F;ey gleich zu der Zeit in die&#x017F;e Ge-<lb/>
gend gekommen, als die Sonne hervorgebrochen.<lb/>
Die&#x017F;er Anblick &#x017F;ey ihr unertra&#x0364;glich gewe&#x017F;en, daß<lb/>
&#x017F;ie die Hand vor das Ge&#x017F;icht gehalten, und getau-<lb/>
melt habe; nicht anders, als ein Gefangner, wel-<lb/>
cher viele Jahre unter der Erde ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en hat, und<lb/>
auf einmal an das Tageslicht ko&#x0364;mmt. So viel i&#x017F;t<lb/>
inde&#x017F;&#x017F;en gewiß; &#x017F;o lange ich ihn kenne, &#x017F;o lange hat<lb/>
er &#x017F;ich auch in die&#x017F;er Gegend aufgehalten, wo er<lb/>
noch itzt &#x017F;chla&#x0364;ft, ohne &#x017F;ich zu beku&#x0364;mmern, wo er ei-<lb/>
gentlich &#x017F;ey, oder was um ihn herum vorgehe. Ei-<lb/>
nige &#x017F;einer Landsleute haben mich ver&#x017F;ichert, daß er<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndig tra&#x0364;ge, und unempfindlich gewe&#x017F;en, und<lb/>
wenn er auch gege&#x017F;&#x017F;en, getrunken, oder &#x017F;on&#x017F;t etwas<lb/>
gethan, was er zur Erhaltung &#x017F;eines Ko&#x0364;rpers un-<lb/>
umga&#x0364;nglich thun mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: So habe man doch ei-<lb/>
gentlich gemerkt, daß es mit der gro&#x0364;ßten Schla&#x0364;frig-<lb/>
keit ge&#x017F;chehen &#x017F;ey. Zuweilen hat er ausge&#x017F;ehen,<lb/>
wie ein andres vernu&#x0364;nftiges Ge&#x017F;cho&#x0364;pf, welches<lb/>
wacht, &#x017F;o bald er aber angefangen, den Mund zu<lb/>
bewegen, wie ein wachender Men&#x017F;ch, welcher re-<lb/>
den will, &#x017F;o hat man gleich gemerkt, daß er in der<lb/>
That &#x017F;ehr fe&#x017F;t ge&#x017F;chlafen, denn &#x017F;eine Worte &#x017F;ind<lb/>
eben &#x017F;o verwirrt, und ohne Ver&#x017F;tand gewe&#x017F;en, wie<lb/>
die Worte derer &#x017F;ind, welche man noch vor Mitter-<lb/>
nacht in ihren Tra&#x0364;umen &#x017F;to&#x0364;rt. Unterde&#x017F;&#x017F;en hat<lb/>
er doch ein &#x017F;ehr exemplari&#x017F;ches Ende genommen.<lb/>
Anfa&#x0364;nglich i&#x017F;t er ungemein unruhig gewe&#x017F;en, als<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihm</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0054] Ein Traum das geſchaͤfftige Bezeigen ihrer Hinterlaßnen beun- ruhigt, und beynahe munter gemacht haͤtte. Sie habe ſich mit halbgeſchloßnen Augen aus dem Zim- mer gewagt, und ſey gleich zu der Zeit in dieſe Ge- gend gekommen, als die Sonne hervorgebrochen. Dieſer Anblick ſey ihr unertraͤglich geweſen, daß ſie die Hand vor das Geſicht gehalten, und getau- melt habe; nicht anders, als ein Gefangner, wel- cher viele Jahre unter der Erde geſeſſen hat, und auf einmal an das Tageslicht koͤmmt. So viel iſt indeſſen gewiß; ſo lange ich ihn kenne, ſo lange hat er ſich auch in dieſer Gegend aufgehalten, wo er noch itzt ſchlaͤft, ohne ſich zu bekuͤmmern, wo er ei- gentlich ſey, oder was um ihn herum vorgehe. Ei- nige ſeiner Landsleute haben mich verſichert, daß er beſtaͤndig traͤge, und unempfindlich geweſen, und wenn er auch gegeſſen, getrunken, oder ſonſt etwas gethan, was er zur Erhaltung ſeines Koͤrpers un- umgaͤnglich thun muͤſſen: So habe man doch ei- gentlich gemerkt, daß es mit der groͤßten Schlaͤfrig- keit geſchehen ſey. Zuweilen hat er ausgeſehen, wie ein andres vernuͤnftiges Geſchoͤpf, welches wacht, ſo bald er aber angefangen, den Mund zu bewegen, wie ein wachender Menſch, welcher re- den will, ſo hat man gleich gemerkt, daß er in der That ſehr feſt geſchlafen, denn ſeine Worte ſind eben ſo verwirrt, und ohne Verſtand geweſen, wie die Worte derer ſind, welche man noch vor Mitter- nacht in ihren Traͤumen ſtoͤrt. Unterdeſſen hat er doch ein ſehr exemplariſches Ende genommen. Anfaͤnglich iſt er ungemein unruhig geweſen, als ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/54
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/54>, abgerufen am 23.11.2024.