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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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von den abgeschiednen Seelen.

Jch war verdrüßlich, daß ich mich von meinem
Führer hatte bewegen lassen, diese träge Seele an-
zureden. Er lachte aber nur, und sagte: Jch habe
wohl gewußt, daß es dir nicht anders gehen würde,
als wie es mir, und noch vielen hundert Seelen,
gegangen ist, welche mit ihr haben reden wollen.
Dieses ist eben die Seele des berühmten Träumers,
welcher in seinem Leben so oft auf dem hamburgi-
schen Walle nur darum spatzieren gefahren ist, daß
er in seiner Kutsche desto gemächlicher schlafen könn-
te. Eben darinnen bestund seine einzige Arbeit.
Keine Leidenschaft hat ihn jemals stören können.
Dieses brachte ihn zu einem feisten Körper, und
sehr hohen Alter. Man hat niemals zuverläßig
erfahren können, wie lange er gelebt habe; So viel
aber ist gewiß, daß er etliche funfzig Jahr geschla-
fen hat. Seine Vorältern hatten in ihrer Hand-
lung durch eine unermüdete Arbeit und Wachsam-
keit so viel erworben, daß ihr Sohn mit der größten
Gelassenheit schlafen konnte. Er ist eben derjeni-
ge, welcher die Sonne in seinem ganzen Leben nicht
hat aufgehen sehen. Es ist lächerlich genug, wenn
es wahr ist, was mir einige Schatten von ihm er-
zählt haben. Sie sagen, es sey noch sehr früh
und in der Morgendämmerung gewesen, als er ge-
storben. Seine Seele habe sich anfangs gar nicht
entschließen können, sich von dem Bette zu entfer-
nen, worinnen es ihr so lange Jahre wohlgegan-
gen, und worinnen sie jederzeit ihre größte Glück-
seligkeit gefunden. Endlich sey sie doch genöthigt
worden, solches zu verlassen, weil sie der Lärm, und

das
D 3
von den abgeſchiednen Seelen.

Jch war verdruͤßlich, daß ich mich von meinem
Fuͤhrer hatte bewegen laſſen, dieſe traͤge Seele an-
zureden. Er lachte aber nur, und ſagte: Jch habe
wohl gewußt, daß es dir nicht anders gehen wuͤrde,
als wie es mir, und noch vielen hundert Seelen,
gegangen iſt, welche mit ihr haben reden wollen.
Dieſes iſt eben die Seele des beruͤhmten Traͤumers,
welcher in ſeinem Leben ſo oft auf dem hamburgi-
ſchen Walle nur darum ſpatzieren gefahren iſt, daß
er in ſeiner Kutſche deſto gemaͤchlicher ſchlafen koͤnn-
te. Eben darinnen beſtund ſeine einzige Arbeit.
Keine Leidenſchaft hat ihn jemals ſtoͤren koͤnnen.
Dieſes brachte ihn zu einem feiſten Koͤrper, und
ſehr hohen Alter. Man hat niemals zuverlaͤßig
erfahren koͤnnen, wie lange er gelebt habe; So viel
aber iſt gewiß, daß er etliche funfzig Jahr geſchla-
fen hat. Seine Voraͤltern hatten in ihrer Hand-
lung durch eine unermuͤdete Arbeit und Wachſam-
keit ſo viel erworben, daß ihr Sohn mit der groͤßten
Gelaſſenheit ſchlafen konnte. Er iſt eben derjeni-
ge, welcher die Sonne in ſeinem ganzen Leben nicht
hat aufgehen ſehen. Es iſt laͤcherlich genug, wenn
es wahr iſt, was mir einige Schatten von ihm er-
zaͤhlt haben. Sie ſagen, es ſey noch ſehr fruͤh
und in der Morgendaͤmmerung geweſen, als er ge-
ſtorben. Seine Seele habe ſich anfangs gar nicht
entſchließen koͤnnen, ſich von dem Bette zu entfer-
nen, worinnen es ihr ſo lange Jahre wohlgegan-
gen, und worinnen ſie jederzeit ihre groͤßte Gluͤck-
ſeligkeit gefunden. Endlich ſey ſie doch genoͤthigt
worden, ſolches zu verlaſſen, weil ſie der Laͤrm, und

das
D 3
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[53/0053] von den abgeſchiednen Seelen. Jch war verdruͤßlich, daß ich mich von meinem Fuͤhrer hatte bewegen laſſen, dieſe traͤge Seele an- zureden. Er lachte aber nur, und ſagte: Jch habe wohl gewußt, daß es dir nicht anders gehen wuͤrde, als wie es mir, und noch vielen hundert Seelen, gegangen iſt, welche mit ihr haben reden wollen. Dieſes iſt eben die Seele des beruͤhmten Traͤumers, welcher in ſeinem Leben ſo oft auf dem hamburgi- ſchen Walle nur darum ſpatzieren gefahren iſt, daß er in ſeiner Kutſche deſto gemaͤchlicher ſchlafen koͤnn- te. Eben darinnen beſtund ſeine einzige Arbeit. Keine Leidenſchaft hat ihn jemals ſtoͤren koͤnnen. Dieſes brachte ihn zu einem feiſten Koͤrper, und ſehr hohen Alter. Man hat niemals zuverlaͤßig erfahren koͤnnen, wie lange er gelebt habe; So viel aber iſt gewiß, daß er etliche funfzig Jahr geſchla- fen hat. Seine Voraͤltern hatten in ihrer Hand- lung durch eine unermuͤdete Arbeit und Wachſam- keit ſo viel erworben, daß ihr Sohn mit der groͤßten Gelaſſenheit ſchlafen konnte. Er iſt eben derjeni- ge, welcher die Sonne in ſeinem ganzen Leben nicht hat aufgehen ſehen. Es iſt laͤcherlich genug, wenn es wahr iſt, was mir einige Schatten von ihm er- zaͤhlt haben. Sie ſagen, es ſey noch ſehr fruͤh und in der Morgendaͤmmerung geweſen, als er ge- ſtorben. Seine Seele habe ſich anfangs gar nicht entſchließen koͤnnen, ſich von dem Bette zu entfer- nen, worinnen es ihr ſo lange Jahre wohlgegan- gen, und worinnen ſie jederzeit ihre groͤßte Gluͤck- ſeligkeit gefunden. Endlich ſey ſie doch genoͤthigt worden, ſolches zu verlaſſen, weil ſie der Laͤrm, und das D 3

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/53>, abgerufen am 23.11.2024.