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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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von den abgeschiednen Seelen.
das sie denen in die Augen zu schütten drohte, welche
sich nicht entschließen konnten, sie für eine Gottheit
zu erkennen. Sie saß auf einem sehr erhabnen Thro-
ne, welcher aber nur aus einem aufgeblasenen
Schlauche bestund, so wie etwan diejenigen gewesen
sind, in denen die Götter der Heiden ihre Winde
verwahrten. Unter ihren Füßen lag ein nacktes
Frauenzimmer, dessen Name mir unbekannt blieb,
welches aber vermuthlich ihre ärgste Feindinn seyn
mochte. Diesem Götzenbilde nahte sich unser Charla-
tan, so oft er merkte, daß seine Hitze und sein Eifer für
das allgemeine Wohl einigermaaßen nachließ. Er
betete sie mit eben der Niederträchtigkeit an, mit wel-
cher er selbst verehrt seyn wollte, und opferte ihr je-
desmal auf einem kleinen Altare einige gelehrte Blät-
ter, welche bloß dadurch das Feuer verdient hatten,
weil nicht er, sondern ein andrer, sie geschrieben.
Das sicherste Zeichen einer gnädigen Erhörung war
dieses, wann ihm unter seiner andächtigen Beschäff-
tigung der Schaum vor den Mund trat, und er ein
gelehrtes Zucken in seinen Händen empfand, so wie
es etwa bey den heftigsten Paroxysmis neidischer und
zänkischer Schriftsteller seyn mag. Dieses Augen-
blicks bediente er sich mit großem Nutzen, und als-
dann war er am geschäfftigsten, seine gelehrten Medi-
camente unter die Zuschauer austheilen, ihnen die
probatesten Recepte des guten Geschmacks vorzu-
schreiben, und von denen Wundern zu erzählen, wel-
che diese Universalarzneyen bey verschiednen seiner
kindlichgehorsamsten Patienten gewirkt, die sie mit
offnem Munde verschlungen hatten.

Sein
Zweyter Theil. C

von den abgeſchiednen Seelen.
das ſie denen in die Augen zu ſchuͤtten drohte, welche
ſich nicht entſchließen konnten, ſie fuͤr eine Gottheit
zu erkennen. Sie ſaß auf einem ſehr erhabnen Thro-
ne, welcher aber nur aus einem aufgeblaſenen
Schlauche beſtund, ſo wie etwan diejenigen geweſen
ſind, in denen die Goͤtter der Heiden ihre Winde
verwahrten. Unter ihren Fuͤßen lag ein nacktes
Frauenzimmer, deſſen Name mir unbekannt blieb,
welches aber vermuthlich ihre aͤrgſte Feindinn ſeyn
mochte. Dieſem Goͤtzenbilde nahte ſich unſer Charla-
tan, ſo oft er merkte, daß ſeine Hitze und ſein Eifer fuͤr
das allgemeine Wohl einigermaaßen nachließ. Er
betete ſie mit eben der Niedertraͤchtigkeit an, mit wel-
cher er ſelbſt verehrt ſeyn wollte, und opferte ihr je-
desmal auf einem kleinen Altare einige gelehrte Blaͤt-
ter, welche bloß dadurch das Feuer verdient hatten,
weil nicht er, ſondern ein andrer, ſie geſchrieben.
Das ſicherſte Zeichen einer gnaͤdigen Erhoͤrung war
dieſes, wann ihm unter ſeiner andaͤchtigen Beſchaͤff-
tigung der Schaum vor den Mund trat, und er ein
gelehrtes Zucken in ſeinen Haͤnden empfand, ſo wie
es etwa bey den heftigſten Paroxyſmis neidiſcher und
zaͤnkiſcher Schriftſteller ſeyn mag. Dieſes Augen-
blicks bediente er ſich mit großem Nutzen, und als-
dann war er am geſchaͤfftigſten, ſeine gelehrten Medi-
camente unter die Zuſchauer austheilen, ihnen die
probateſten Recepte des guten Geſchmacks vorzu-
ſchreiben, und von denen Wundern zu erzaͤhlen, wel-
che dieſe Univerſalarzneyen bey verſchiednen ſeiner
kindlichgehorſamſten Patienten gewirkt, die ſie mit
offnem Munde verſchlungen hatten.

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Zweyter Theil. C
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[33/0033] von den abgeſchiednen Seelen. das ſie denen in die Augen zu ſchuͤtten drohte, welche ſich nicht entſchließen konnten, ſie fuͤr eine Gottheit zu erkennen. Sie ſaß auf einem ſehr erhabnen Thro- ne, welcher aber nur aus einem aufgeblaſenen Schlauche beſtund, ſo wie etwan diejenigen geweſen ſind, in denen die Goͤtter der Heiden ihre Winde verwahrten. Unter ihren Fuͤßen lag ein nacktes Frauenzimmer, deſſen Name mir unbekannt blieb, welches aber vermuthlich ihre aͤrgſte Feindinn ſeyn mochte. Dieſem Goͤtzenbilde nahte ſich unſer Charla- tan, ſo oft er merkte, daß ſeine Hitze und ſein Eifer fuͤr das allgemeine Wohl einigermaaßen nachließ. Er betete ſie mit eben der Niedertraͤchtigkeit an, mit wel- cher er ſelbſt verehrt ſeyn wollte, und opferte ihr je- desmal auf einem kleinen Altare einige gelehrte Blaͤt- ter, welche bloß dadurch das Feuer verdient hatten, weil nicht er, ſondern ein andrer, ſie geſchrieben. Das ſicherſte Zeichen einer gnaͤdigen Erhoͤrung war dieſes, wann ihm unter ſeiner andaͤchtigen Beſchaͤff- tigung der Schaum vor den Mund trat, und er ein gelehrtes Zucken in ſeinen Haͤnden empfand, ſo wie es etwa bey den heftigſten Paroxyſmis neidiſcher und zaͤnkiſcher Schriftſteller ſeyn mag. Dieſes Augen- blicks bediente er ſich mit großem Nutzen, und als- dann war er am geſchaͤfftigſten, ſeine gelehrten Medi- camente unter die Zuſchauer austheilen, ihnen die probateſten Recepte des guten Geſchmacks vorzu- ſchreiben, und von denen Wundern zu erzaͤhlen, wel- che dieſe Univerſalarzneyen bey verſchiednen ſeiner kindlichgehorſamſten Patienten gewirkt, die ſie mit offnem Munde verſchlungen hatten. Sein Zweyter Theil. C

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/33>, abgerufen am 24.11.2024.