Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

von Nicolaus Klimen.
men machte. Er war heftig in seinen Meynun-
gen, in seiner Schreibart spöttisch, und wenn ihn
sein Witz überfiel, welchem Uebel er oft ausgesetzt
war, so schonte er keines Menschen. Auf seinen
leiblichen Vater machte er Satyren. Er hatte eine
so herzliche Neigung gegen sich und seine Einfälle,
daß er sich lieber würde den Staupbesen haben ge-
ben lassen, als einen artigen Gedanken auf seinem
Herzen und Gewissen behalten wollen. Er schrieb
einen zierlich gedruckten Vers, welcher aber dem ge-
neigten Leser schwerer zu verstehen war, als ihm zu
machen. Die Prosodie war sein Leibstudium nicht,
und die Grammatik für seine hohe Gelehrsamkeit zu
niedrig. Jm zwanzigsten Jahre spürte er eine
merkliche Abnahme seines Verstandes, und ward so
kindisch, als ein Greis von neunzig Jahren. Man
glaubt, er habe sich damals selbst gefühlt, und sein
herannahendes Ende vermuthet; dieses will man
aus einer Ode schließen, welche er unter dem Titel
des Schwanengesangs der Nachwelt hinterlassen,
und worinnen er von seiner muthwilligen Leyer Ab-
schied genommen hat. Er starb auch wirklich kurz
darauf, und hinterließ eine große Anzahl Titel zu
Büchern, die er hat schreiben wollen.

Gustav Gripp, ein Rathmann, und eine gut-
herzige Seele; er hat in seinem Leben nicht wider-
sprochen, und sagte zu allem, ja. Nirgends schlief
er sanfter, als auf der Rathsstube, besonders, wenn
die Rechtshändel vorgetragen wurden. Kam die
Reihe an ihn, sein Gutachten zu sagen: So weckte

ihn
L 4

von Nicolaus Klimen.
men machte. Er war heftig in ſeinen Meynun-
gen, in ſeiner Schreibart ſpoͤttiſch, und wenn ihn
ſein Witz uͤberfiel, welchem Uebel er oft ausgeſetzt
war, ſo ſchonte er keines Menſchen. Auf ſeinen
leiblichen Vater machte er Satyren. Er hatte eine
ſo herzliche Neigung gegen ſich und ſeine Einfaͤlle,
daß er ſich lieber wuͤrde den Staupbeſen haben ge-
ben laſſen, als einen artigen Gedanken auf ſeinem
Herzen und Gewiſſen behalten wollen. Er ſchrieb
einen zierlich gedruckten Vers, welcher aber dem ge-
neigten Leſer ſchwerer zu verſtehen war, als ihm zu
machen. Die Proſodie war ſein Leibſtudium nicht,
und die Grammatik fuͤr ſeine hohe Gelehrſamkeit zu
niedrig. Jm zwanzigſten Jahre ſpuͤrte er eine
merkliche Abnahme ſeines Verſtandes, und ward ſo
kindiſch, als ein Greis von neunzig Jahren. Man
glaubt, er habe ſich damals ſelbſt gefuͤhlt, und ſein
herannahendes Ende vermuthet; dieſes will man
aus einer Ode ſchließen, welche er unter dem Titel
des Schwanengeſangs der Nachwelt hinterlaſſen,
und worinnen er von ſeiner muthwilligen Leyer Ab-
ſchied genommen hat. Er ſtarb auch wirklich kurz
darauf, und hinterließ eine große Anzahl Titel zu
Buͤchern, die er hat ſchreiben wollen.

Guſtav Gripp, ein Rathmann, und eine gut-
herzige Seele; er hat in ſeinem Leben nicht wider-
ſprochen, und ſagte zu allem, ja. Nirgends ſchlief
er ſanfter, als auf der Rathsſtube, beſonders, wenn
die Rechtshaͤndel vorgetragen wurden. Kam die
Reihe an ihn, ſein Gutachten zu ſagen: So weckte

ihn
L 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0241" n="167"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von Nicolaus Klimen.</hi></fw><lb/>
men machte. Er war heftig in &#x017F;einen Meynun-<lb/>
gen, in &#x017F;einer Schreibart &#x017F;po&#x0364;tti&#x017F;ch, und wenn ihn<lb/>
&#x017F;ein Witz u&#x0364;berfiel, welchem Uebel er oft ausge&#x017F;etzt<lb/>
war, &#x017F;o &#x017F;chonte er keines Men&#x017F;chen. Auf &#x017F;einen<lb/>
leiblichen Vater machte er Satyren. Er hatte eine<lb/>
&#x017F;o herzliche Neigung gegen &#x017F;ich und &#x017F;eine Einfa&#x0364;lle,<lb/>
daß er &#x017F;ich lieber wu&#x0364;rde den Staupbe&#x017F;en haben ge-<lb/>
ben la&#x017F;&#x017F;en, als einen artigen Gedanken auf &#x017F;einem<lb/>
Herzen und Gewi&#x017F;&#x017F;en behalten wollen. Er &#x017F;chrieb<lb/>
einen zierlich gedruckten Vers, welcher aber dem ge-<lb/>
neigten Le&#x017F;er &#x017F;chwerer zu ver&#x017F;tehen war, als ihm zu<lb/>
machen. Die Pro&#x017F;odie war &#x017F;ein Leib&#x017F;tudium nicht,<lb/>
und die Grammatik fu&#x0364;r &#x017F;eine hohe Gelehr&#x017F;amkeit zu<lb/>
niedrig. Jm zwanzig&#x017F;ten Jahre &#x017F;pu&#x0364;rte er eine<lb/>
merkliche Abnahme &#x017F;eines Ver&#x017F;tandes, und ward &#x017F;o<lb/>
kindi&#x017F;ch, als ein Greis von neunzig Jahren. Man<lb/>
glaubt, er habe &#x017F;ich damals &#x017F;elb&#x017F;t gefu&#x0364;hlt, und &#x017F;ein<lb/>
herannahendes Ende vermuthet; die&#x017F;es will man<lb/>
aus einer Ode &#x017F;chließen, welche er unter dem Titel<lb/>
des Schwanenge&#x017F;angs der Nachwelt hinterla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und worinnen er von &#x017F;einer muthwilligen Leyer Ab-<lb/>
&#x017F;chied genommen hat. Er &#x017F;tarb auch wirklich kurz<lb/>
darauf, und hinterließ eine große Anzahl Titel zu<lb/>
Bu&#x0364;chern, die er hat &#x017F;chreiben wollen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Gu&#x017F;tav Gripp,</hi> ein Rathmann, und eine gut-<lb/>
herzige Seele; er hat in &#x017F;einem Leben nicht wider-<lb/>
&#x017F;prochen, und &#x017F;agte zu allem, ja. Nirgends &#x017F;chlief<lb/>
er &#x017F;anfter, als auf der Raths&#x017F;tube, be&#x017F;onders, wenn<lb/>
die Rechtsha&#x0364;ndel vorgetragen wurden. Kam die<lb/>
Reihe an ihn, &#x017F;ein Gutachten zu &#x017F;agen: So weckte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 4</fw><fw place="bottom" type="catch">ihn</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0241] von Nicolaus Klimen. men machte. Er war heftig in ſeinen Meynun- gen, in ſeiner Schreibart ſpoͤttiſch, und wenn ihn ſein Witz uͤberfiel, welchem Uebel er oft ausgeſetzt war, ſo ſchonte er keines Menſchen. Auf ſeinen leiblichen Vater machte er Satyren. Er hatte eine ſo herzliche Neigung gegen ſich und ſeine Einfaͤlle, daß er ſich lieber wuͤrde den Staupbeſen haben ge- ben laſſen, als einen artigen Gedanken auf ſeinem Herzen und Gewiſſen behalten wollen. Er ſchrieb einen zierlich gedruckten Vers, welcher aber dem ge- neigten Leſer ſchwerer zu verſtehen war, als ihm zu machen. Die Proſodie war ſein Leibſtudium nicht, und die Grammatik fuͤr ſeine hohe Gelehrſamkeit zu niedrig. Jm zwanzigſten Jahre ſpuͤrte er eine merkliche Abnahme ſeines Verſtandes, und ward ſo kindiſch, als ein Greis von neunzig Jahren. Man glaubt, er habe ſich damals ſelbſt gefuͤhlt, und ſein herannahendes Ende vermuthet; dieſes will man aus einer Ode ſchließen, welche er unter dem Titel des Schwanengeſangs der Nachwelt hinterlaſſen, und worinnen er von ſeiner muthwilligen Leyer Ab- ſchied genommen hat. Er ſtarb auch wirklich kurz darauf, und hinterließ eine große Anzahl Titel zu Buͤchern, die er hat ſchreiben wollen. Guſtav Gripp, ein Rathmann, und eine gut- herzige Seele; er hat in ſeinem Leben nicht wider- ſprochen, und ſagte zu allem, ja. Nirgends ſchlief er ſanfter, als auf der Rathsſtube, beſonders, wenn die Rechtshaͤndel vorgetragen wurden. Kam die Reihe an ihn, ſein Gutachten zu ſagen: So weckte ihn L 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/241
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/241>, abgerufen am 18.05.2024.