Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

von Nicolaus Klimen.
er nahm jederzeit an dem Glücke und Unglücke sei-
ner Mitbürger vielen Antheil, und wünschte allen
Leuten Gutes. Seine Feinde nannten ihn nur
spottweise den Gratulanten. Kein Namenstag
oder Geburtstag ward begangen, an welchem er
nicht gedruckte Merkmaale seiner Ehrfurcht über-
reichte. Unauf hörlich ließ er die Häuser seiner
Gönner und Freunde mit Freude und Wonne über-
schatten; und wenn der Himmel seine christlichen
Wünsche erhört hätte, so würden alle Rathmänner
in Bergen, vom Bürgermeister an bis auf den
Stadtschreiber, wenigstens Nestors Jahre erreichet
haben. Bey jedem Todesfalle tauchte er seinen
Kiel in bittre Salsen und herben Wermuth ein.
Er schien ganz untröstbar über den Tod des Capel-
lans, welcher drey Vornamen hatte, und also dem
Berufe unsers Dichters sehr einträglich war. Die
Musen unterhielt er in beständiger Bewegung. So
bald er die Feder eintunkte, so bald stunden sie alle
neune auf seinem Zeddel. Sie hatten auch Ursa-
che, gehorsam zu seyn; denn es war ein sehr hitzi-
ger Mann. Wenn sie nicht gleich kamen, und ihm
bey seiner sauern Arbeit vorspannten: So schimpfte
er so lange auf sie, bis der Bogen voll war. Er
machte ein Sinngedichte auf mich, als ich zum Kü-
ster an der Kreuzkirche erwählt ward; es war we-
nigstens acht Groschen werth, und ich und meine
Frau haben es niemals ohne Thränen durchlesen
können. Bey Hochzeitgedichten war er sehr scherz-
haft. Der Name des Bräutigams oder der Braut
mochte noch so verwirrt klingen, so wußte er ihn

doch
L 3

von Nicolaus Klimen.
er nahm jederzeit an dem Gluͤcke und Ungluͤcke ſei-
ner Mitbuͤrger vielen Antheil, und wuͤnſchte allen
Leuten Gutes. Seine Feinde nannten ihn nur
ſpottweiſe den Gratulanten. Kein Namenstag
oder Geburtstag ward begangen, an welchem er
nicht gedruckte Merkmaale ſeiner Ehrfurcht uͤber-
reichte. Unauf hoͤrlich ließ er die Haͤuſer ſeiner
Goͤnner und Freunde mit Freude und Wonne uͤber-
ſchatten; und wenn der Himmel ſeine chriſtlichen
Wuͤnſche erhoͤrt haͤtte, ſo wuͤrden alle Rathmaͤnner
in Bergen, vom Buͤrgermeiſter an bis auf den
Stadtſchreiber, wenigſtens Neſtors Jahre erreichet
haben. Bey jedem Todesfalle tauchte er ſeinen
Kiel in bittre Salſen und herben Wermuth ein.
Er ſchien ganz untroͤſtbar uͤber den Tod des Capel-
lans, welcher drey Vornamen hatte, und alſo dem
Berufe unſers Dichters ſehr eintraͤglich war. Die
Muſen unterhielt er in beſtaͤndiger Bewegung. So
bald er die Feder eintunkte, ſo bald ſtunden ſie alle
neune auf ſeinem Zeddel. Sie hatten auch Urſa-
che, gehorſam zu ſeyn; denn es war ein ſehr hitzi-
ger Mann. Wenn ſie nicht gleich kamen, und ihm
bey ſeiner ſauern Arbeit vorſpannten: So ſchimpfte
er ſo lange auf ſie, bis der Bogen voll war. Er
machte ein Sinngedichte auf mich, als ich zum Kuͤ-
ſter an der Kreuzkirche erwaͤhlt ward; es war we-
nigſtens acht Groſchen werth, und ich und meine
Frau haben es niemals ohne Thraͤnen durchleſen
koͤnnen. Bey Hochzeitgedichten war er ſehr ſcherz-
haft. Der Name des Braͤutigams oder der Braut
mochte noch ſo verwirrt klingen, ſo wußte er ihn

doch
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0239" n="165"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von Nicolaus Klimen.</hi></fw><lb/>
er nahm jederzeit an dem Glu&#x0364;cke und Unglu&#x0364;cke &#x017F;ei-<lb/>
ner Mitbu&#x0364;rger vielen Antheil, und wu&#x0364;n&#x017F;chte allen<lb/>
Leuten Gutes. Seine Feinde nannten ihn nur<lb/>
&#x017F;pottwei&#x017F;e den Gratulanten. Kein Namenstag<lb/>
oder Geburtstag ward begangen, an welchem er<lb/>
nicht gedruckte Merkmaale &#x017F;einer Ehrfurcht u&#x0364;ber-<lb/>
reichte. Unauf ho&#x0364;rlich ließ er die Ha&#x0364;u&#x017F;er &#x017F;einer<lb/>
Go&#x0364;nner und Freunde mit Freude und Wonne u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;chatten; und wenn der Himmel &#x017F;eine chri&#x017F;tlichen<lb/>
Wu&#x0364;n&#x017F;che erho&#x0364;rt ha&#x0364;tte, &#x017F;o wu&#x0364;rden alle Rathma&#x0364;nner<lb/>
in Bergen, vom Bu&#x0364;rgermei&#x017F;ter an bis auf den<lb/>
Stadt&#x017F;chreiber, wenig&#x017F;tens Ne&#x017F;tors Jahre erreichet<lb/>
haben. Bey jedem Todesfalle tauchte er &#x017F;einen<lb/>
Kiel in bittre Sal&#x017F;en und herben Wermuth ein.<lb/>
Er &#x017F;chien ganz untro&#x0364;&#x017F;tbar u&#x0364;ber den Tod des Capel-<lb/>
lans, welcher drey Vornamen hatte, und al&#x017F;o dem<lb/>
Berufe un&#x017F;ers Dichters &#x017F;ehr eintra&#x0364;glich war. Die<lb/>
Mu&#x017F;en unterhielt er in be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Bewegung. So<lb/>
bald er die Feder eintunkte, &#x017F;o bald &#x017F;tunden &#x017F;ie alle<lb/>
neune auf &#x017F;einem Zeddel. Sie hatten auch Ur&#x017F;a-<lb/>
che, gehor&#x017F;am zu &#x017F;eyn; denn es war ein &#x017F;ehr hitzi-<lb/>
ger Mann. Wenn &#x017F;ie nicht gleich kamen, und ihm<lb/>
bey &#x017F;einer &#x017F;auern Arbeit vor&#x017F;pannten: So &#x017F;chimpfte<lb/>
er &#x017F;o lange auf &#x017F;ie, bis der Bogen voll war. Er<lb/>
machte ein Sinngedichte auf mich, als ich zum Ku&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ter an der Kreuzkirche erwa&#x0364;hlt ward; es war we-<lb/>
nig&#x017F;tens acht Gro&#x017F;chen werth, und ich und meine<lb/>
Frau haben es niemals ohne Thra&#x0364;nen durchle&#x017F;en<lb/>
ko&#x0364;nnen. Bey Hochzeitgedichten war er &#x017F;ehr &#x017F;cherz-<lb/>
haft. Der Name des Bra&#x0364;utigams oder der Braut<lb/>
mochte noch &#x017F;o verwirrt klingen, &#x017F;o wußte er ihn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 3</fw><fw place="bottom" type="catch">doch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0239] von Nicolaus Klimen. er nahm jederzeit an dem Gluͤcke und Ungluͤcke ſei- ner Mitbuͤrger vielen Antheil, und wuͤnſchte allen Leuten Gutes. Seine Feinde nannten ihn nur ſpottweiſe den Gratulanten. Kein Namenstag oder Geburtstag ward begangen, an welchem er nicht gedruckte Merkmaale ſeiner Ehrfurcht uͤber- reichte. Unauf hoͤrlich ließ er die Haͤuſer ſeiner Goͤnner und Freunde mit Freude und Wonne uͤber- ſchatten; und wenn der Himmel ſeine chriſtlichen Wuͤnſche erhoͤrt haͤtte, ſo wuͤrden alle Rathmaͤnner in Bergen, vom Buͤrgermeiſter an bis auf den Stadtſchreiber, wenigſtens Neſtors Jahre erreichet haben. Bey jedem Todesfalle tauchte er ſeinen Kiel in bittre Salſen und herben Wermuth ein. Er ſchien ganz untroͤſtbar uͤber den Tod des Capel- lans, welcher drey Vornamen hatte, und alſo dem Berufe unſers Dichters ſehr eintraͤglich war. Die Muſen unterhielt er in beſtaͤndiger Bewegung. So bald er die Feder eintunkte, ſo bald ſtunden ſie alle neune auf ſeinem Zeddel. Sie hatten auch Urſa- che, gehorſam zu ſeyn; denn es war ein ſehr hitzi- ger Mann. Wenn ſie nicht gleich kamen, und ihm bey ſeiner ſauern Arbeit vorſpannten: So ſchimpfte er ſo lange auf ſie, bis der Bogen voll war. Er machte ein Sinngedichte auf mich, als ich zum Kuͤ- ſter an der Kreuzkirche erwaͤhlt ward; es war we- nigſtens acht Groſchen werth, und ich und meine Frau haben es niemals ohne Thraͤnen durchleſen koͤnnen. Bey Hochzeitgedichten war er ſehr ſcherz- haft. Der Name des Braͤutigams oder der Braut mochte noch ſo verwirrt klingen, ſo wußte er ihn doch L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/239
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/239>, abgerufen am 24.11.2024.