[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.Lebenslauf und Armuth überwanden allen Zweifel. Meinebisherigen Umständen hatten mich so schüchtern ge- macht, daß ich mir vieles gefallen ließ, welches mir ehedem unerträglich gewesen seyn würde. Meine Frau liebte Gesellschaft; sie spielte. Vermögen und Einnahme ward auf Putz verwendet, die Haushaltung versäumt, und mir zugemuthet, vie- les zu übersehen, wozu mehr, als eine ordentliche Geduld, gehört. Meine Geduld ward ermüdet. Jch sagte, ein Weib müsse sich bemühen, ihrem Manne zu gefallen, alle übermäßigen Ausgaben vermeiden, der Wirthschaft vernünftig vorstehen, und sich keiner Herrschaft anmaaßen, welche Schrift und Ordnung nur den Männern gelassen hätten. Aber, wie unglücklich machten mich diese Wahrhei- ten! Jch empfand, daß der Zorn eines Weibes schädlicher sey, als der Zorn aller andern Creatu- ren. Man hieß mich einen nackichten Bettler, ei- nen verlaufnen Kerl, den man auf der Straße auf- gelesen hätte, der nicht werth sey, daß er durch die Heirath eines liebenswürdigen Frauenzimmers in eine so ansehnliche Schwägerschaft aufgenommen worden; ja, es fehlte wenig, daß ich nicht meiner Frau eine kniende Abbitte hätte thun müssen, wel- che aber, ich weis nicht, ob zu meinem Glücke oder Unglücke, unvermuthet starb. Die Menge meiner Feinde verfolgte mich alsdann unaufhör- lich. Hatte ich keines Menschen geschont, so war auch nunmehr niemand, der sich meiner annahm. Man wußte meine Vorgesetzten auf eine
Lebenslauf und Armuth uͤberwanden allen Zweifel. Meinebisherigen Umſtaͤnden hatten mich ſo ſchuͤchtern ge- macht, daß ich mir vieles gefallen ließ, welches mir ehedem unertraͤglich geweſen ſeyn wuͤrde. Meine Frau liebte Geſellſchaft; ſie ſpielte. Vermoͤgen und Einnahme ward auf Putz verwendet, die Haushaltung verſaͤumt, und mir zugemuthet, vie- les zu uͤberſehen, wozu mehr, als eine ordentliche Geduld, gehoͤrt. Meine Geduld ward ermuͤdet. Jch ſagte, ein Weib muͤſſe ſich bemuͤhen, ihrem Manne zu gefallen, alle uͤbermaͤßigen Ausgaben vermeiden, der Wirthſchaft vernuͤnftig vorſtehen, und ſich keiner Herrſchaft anmaaßen, welche Schrift und Ordnung nur den Maͤnnern gelaſſen haͤtten. Aber, wie ungluͤcklich machten mich dieſe Wahrhei- ten! Jch empfand, daß der Zorn eines Weibes ſchaͤdlicher ſey, als der Zorn aller andern Creatu- ren. Man hieß mich einen nackichten Bettler, ei- nen verlaufnen Kerl, den man auf der Straße auf- geleſen haͤtte, der nicht werth ſey, daß er durch die Heirath eines liebenswuͤrdigen Frauenzimmers in eine ſo anſehnliche Schwaͤgerſchaft aufgenommen worden; ja, es fehlte wenig, daß ich nicht meiner Frau eine kniende Abbitte haͤtte thun muͤſſen, wel- che aber, ich weis nicht, ob zu meinem Gluͤcke oder Ungluͤcke, unvermuthet ſtarb. Die Menge meiner Feinde verfolgte mich alsdann unaufhoͤr- lich. Hatte ich keines Menſchen geſchont, ſo war auch nunmehr niemand, der ſich meiner annahm. Man wußte meine Vorgeſetzten auf eine
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0204" n="130"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Lebenslauf</hi></fw><lb/> und Armuth uͤberwanden allen Zweifel. Meine<lb/> bisherigen Umſtaͤnden hatten mich ſo ſchuͤchtern ge-<lb/> macht, daß ich mir vieles gefallen ließ, welches mir<lb/> ehedem unertraͤglich geweſen ſeyn wuͤrde. Meine<lb/> Frau liebte Geſellſchaft; ſie ſpielte. Vermoͤgen<lb/> und Einnahme ward auf Putz verwendet, die<lb/> Haushaltung verſaͤumt, und mir zugemuthet, vie-<lb/> les zu uͤberſehen, wozu mehr, als eine ordentliche<lb/> Geduld, gehoͤrt. Meine Geduld ward ermuͤdet.<lb/> Jch ſagte, ein Weib muͤſſe ſich bemuͤhen, ihrem<lb/> Manne zu gefallen, alle uͤbermaͤßigen Ausgaben<lb/> vermeiden, der Wirthſchaft vernuͤnftig vorſtehen,<lb/> und ſich keiner Herrſchaft anmaaßen, welche Schrift<lb/> und Ordnung nur den Maͤnnern gelaſſen haͤtten.<lb/> Aber, wie ungluͤcklich machten mich dieſe Wahrhei-<lb/> ten! Jch empfand, daß der Zorn eines Weibes<lb/> ſchaͤdlicher ſey, als der Zorn aller andern Creatu-<lb/> ren. Man hieß mich einen nackichten Bettler, ei-<lb/> nen verlaufnen Kerl, den man auf der Straße auf-<lb/> geleſen haͤtte, der nicht werth ſey, daß er durch die<lb/> Heirath eines liebenswuͤrdigen Frauenzimmers in<lb/> eine ſo anſehnliche Schwaͤgerſchaft aufgenommen<lb/> worden; ja, es fehlte wenig, daß ich nicht meiner<lb/> Frau eine kniende Abbitte haͤtte thun muͤſſen, wel-<lb/> che aber, ich weis nicht, ob zu meinem Gluͤcke<lb/> oder Ungluͤcke, unvermuthet ſtarb. Die Menge<lb/> meiner Feinde verfolgte mich alsdann unaufhoͤr-<lb/> lich. Hatte ich keines Menſchen geſchont, ſo<lb/> war auch nunmehr niemand, der ſich meiner<lb/> annahm. Man wußte meine Vorgeſetzten auf<lb/> <fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [130/0204]
Lebenslauf
und Armuth uͤberwanden allen Zweifel. Meine
bisherigen Umſtaͤnden hatten mich ſo ſchuͤchtern ge-
macht, daß ich mir vieles gefallen ließ, welches mir
ehedem unertraͤglich geweſen ſeyn wuͤrde. Meine
Frau liebte Geſellſchaft; ſie ſpielte. Vermoͤgen
und Einnahme ward auf Putz verwendet, die
Haushaltung verſaͤumt, und mir zugemuthet, vie-
les zu uͤberſehen, wozu mehr, als eine ordentliche
Geduld, gehoͤrt. Meine Geduld ward ermuͤdet.
Jch ſagte, ein Weib muͤſſe ſich bemuͤhen, ihrem
Manne zu gefallen, alle uͤbermaͤßigen Ausgaben
vermeiden, der Wirthſchaft vernuͤnftig vorſtehen,
und ſich keiner Herrſchaft anmaaßen, welche Schrift
und Ordnung nur den Maͤnnern gelaſſen haͤtten.
Aber, wie ungluͤcklich machten mich dieſe Wahrhei-
ten! Jch empfand, daß der Zorn eines Weibes
ſchaͤdlicher ſey, als der Zorn aller andern Creatu-
ren. Man hieß mich einen nackichten Bettler, ei-
nen verlaufnen Kerl, den man auf der Straße auf-
geleſen haͤtte, der nicht werth ſey, daß er durch die
Heirath eines liebenswuͤrdigen Frauenzimmers in
eine ſo anſehnliche Schwaͤgerſchaft aufgenommen
worden; ja, es fehlte wenig, daß ich nicht meiner
Frau eine kniende Abbitte haͤtte thun muͤſſen, wel-
che aber, ich weis nicht, ob zu meinem Gluͤcke
oder Ungluͤcke, unvermuthet ſtarb. Die Menge
meiner Feinde verfolgte mich alsdann unaufhoͤr-
lich. Hatte ich keines Menſchen geſchont, ſo
war auch nunmehr niemand, der ſich meiner
annahm. Man wußte meine Vorgeſetzten auf
eine
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |