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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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eines Witwers.

Aus dieser Erzählung können Sie wohl sehen, daß
unter den Tugenden meiner Frau das thätige Chri-
stenthum nicht die kleinste gewesen ist. Jch kann Sie,
meine Herren, das im Ernste versichern, daß ihre An-
dacht jedermann in die Augen fiel. Die ganze Wo-
che hindurch war nichts vermögend, ihre erqvickende
Ruhe zu unterbrechen, und sie schlief ungestört so
lange, bis sie ihre Berufsarbeit zum Caffeetische nö-
thigte. Desto muntrer hingegen war sie an den
Feyertagen. Sie bereitete sich etliche Stunden lang
vor dem Spiegel zu ihrer Andacht, und wußte ihren
Anzug mit einer sehr genauen Sorgfalt einzurichten,
weil, wie sie sagte, die geringste Unordnung ihren
Nebenchristen in der andächtigen Beschäfftigung stö-
ren könnte. Jn der Kirche waren ihre Augen ohne
Unterlaß in Bewegung. Sie hat mich versichert,
es geschähe dieses nicht aus Neugierigkeit, sondern
darum, weil sie ein Vergnügen empfände, an einem
Orte so viel gläubige Seelen beysammen zu sehen,
welche allerseits mit ihr aus einerley Absicht dahin
gekommen wären.

Es erfodern, wie Jhnen bekannt ist, die Statuten
hiesiges Orts, daß das Frauenzimmer des Nachmit-
tags, nach geendigter Andacht, zusammen komme.
Wer niemals die Ehre gehabt hat, dabey zu seyn,
der könnte glauben, es geschähe dieses wegen des
Caffees und des Spielens; allein, diese Meynung
ist falsch; es geschieht lediglich in der Absicht, dasje-
nige zu wiederholen, was man in der Kirche gehört
und gesehen hat. Auch hierinnen übertraf meine
Frau ihr ganzes Geschlechte. Jch habe bey dieser

Gele
Erster Theil. F
eines Witwers.

Aus dieſer Erzaͤhlung koͤnnen Sie wohl ſehen, daß
unter den Tugenden meiner Frau das thaͤtige Chri-
ſtenthum nicht die kleinſte geweſen iſt. Jch kann Sie,
meine Herren, das im Ernſte verſichern, daß ihre An-
dacht jedermann in die Augen fiel. Die ganze Wo-
che hindurch war nichts vermoͤgend, ihre erqvickende
Ruhe zu unterbrechen, und ſie ſchlief ungeſtoͤrt ſo
lange, bis ſie ihre Berufsarbeit zum Caffeetiſche noͤ-
thigte. Deſto muntrer hingegen war ſie an den
Feyertagen. Sie bereitete ſich etliche Stunden lang
vor dem Spiegel zu ihrer Andacht, und wußte ihren
Anzug mit einer ſehr genauen Sorgfalt einzurichten,
weil, wie ſie ſagte, die geringſte Unordnung ihren
Nebenchriſten in der andaͤchtigen Beſchaͤfftigung ſtoͤ-
ren koͤnnte. Jn der Kirche waren ihre Augen ohne
Unterlaß in Bewegung. Sie hat mich verſichert,
es geſchaͤhe dieſes nicht aus Neugierigkeit, ſondern
darum, weil ſie ein Vergnuͤgen empfaͤnde, an einem
Orte ſo viel glaͤubige Seelen beyſammen zu ſehen,
welche allerſeits mit ihr aus einerley Abſicht dahin
gekommen waͤren.

Es erfodern, wie Jhnen bekannt iſt, die Statuten
hieſiges Orts, daß das Frauenzimmer des Nachmit-
tags, nach geendigter Andacht, zuſammen komme.
Wer niemals die Ehre gehabt hat, dabey zu ſeyn,
der koͤnnte glauben, es geſchaͤhe dieſes wegen des
Caffees und des Spielens; allein, dieſe Meynung
iſt falſch; es geſchieht lediglich in der Abſicht, dasje-
nige zu wiederholen, was man in der Kirche gehoͤrt
und geſehen hat. Auch hierinnen uͤbertraf meine
Frau ihr ganzes Geſchlechte. Jch habe bey dieſer

Gele
Erſter Theil. F
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[81/0155] eines Witwers. Aus dieſer Erzaͤhlung koͤnnen Sie wohl ſehen, daß unter den Tugenden meiner Frau das thaͤtige Chri- ſtenthum nicht die kleinſte geweſen iſt. Jch kann Sie, meine Herren, das im Ernſte verſichern, daß ihre An- dacht jedermann in die Augen fiel. Die ganze Wo- che hindurch war nichts vermoͤgend, ihre erqvickende Ruhe zu unterbrechen, und ſie ſchlief ungeſtoͤrt ſo lange, bis ſie ihre Berufsarbeit zum Caffeetiſche noͤ- thigte. Deſto muntrer hingegen war ſie an den Feyertagen. Sie bereitete ſich etliche Stunden lang vor dem Spiegel zu ihrer Andacht, und wußte ihren Anzug mit einer ſehr genauen Sorgfalt einzurichten, weil, wie ſie ſagte, die geringſte Unordnung ihren Nebenchriſten in der andaͤchtigen Beſchaͤfftigung ſtoͤ- ren koͤnnte. Jn der Kirche waren ihre Augen ohne Unterlaß in Bewegung. Sie hat mich verſichert, es geſchaͤhe dieſes nicht aus Neugierigkeit, ſondern darum, weil ſie ein Vergnuͤgen empfaͤnde, an einem Orte ſo viel glaͤubige Seelen beyſammen zu ſehen, welche allerſeits mit ihr aus einerley Abſicht dahin gekommen waͤren. Es erfodern, wie Jhnen bekannt iſt, die Statuten hieſiges Orts, daß das Frauenzimmer des Nachmit- tags, nach geendigter Andacht, zuſammen komme. Wer niemals die Ehre gehabt hat, dabey zu ſeyn, der koͤnnte glauben, es geſchaͤhe dieſes wegen des Caffees und des Spielens; allein, dieſe Meynung iſt falſch; es geſchieht lediglich in der Abſicht, dasje- nige zu wiederholen, was man in der Kirche gehoͤrt und geſehen hat. Auch hierinnen uͤbertraf meine Frau ihr ganzes Geſchlechte. Jch habe bey dieſer Gele Erſter Theil. F

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/155>, abgerufen am 18.05.2024.