Trauerrede eines Wittwers, auf den Tod seiner Frau.
Meine Herren,
Niemals habe ich die Gesetze unsrer Gesellschaft mit mehrerm Vergnügen beobachtet, als itzt, da ich mit Jhnen von dem Verluste reden soll, welchen ich durch das Absterben meines Weibes erlitten habe. Schon seit vielen Jahren wünsche ich mir diese Gelegenheit zu reden, und dieses bloß darum, damit ich Jhnen in einem kurzen Abrisse die ganz be- sondern Eigenschaften meiner Frau vorstellen möchte, welche mich ein zehenjähriger Ehestand deutlich genug hat kennen lehren. Sie wissen wohl, meine Herren, daß mir bey ihren Lebzeiten dieses zu thun nicht ver- gönnt war; sie konnte nichts weniger vertragen, als das Lob ihres Mannes, und alles, was ich von ihren Fähigkeiten erzählte, kam ihr verdächtig vor. Nun- mehr befreyet mich ihr Tod auch von diesem Zwange, und wenn Sie bedenken wollen, wie sehr mich dieser Verlust schmerze: So werden Sie auch wohl einse- hen können, wie groß mein Vergnügen seyn müsse, da ich Sie von der Wichtigkeit desjenigen unterhal- ten kann, was ich verloren habe. Finden Sie viel- leicht nicht in meinen Angen die Blicke eines beküm-
mer-
Trauerrede eines Wittwers, auf den Tod ſeiner Frau.
Meine Herren,
Niemals habe ich die Geſetze unſrer Geſellſchaft mit mehrerm Vergnuͤgen beobachtet, als itzt, da ich mit Jhnen von dem Verluſte reden ſoll, welchen ich durch das Abſterben meines Weibes erlitten habe. Schon ſeit vielen Jahren wuͤnſche ich mir dieſe Gelegenheit zu reden, und dieſes bloß darum, damit ich Jhnen in einem kurzen Abriſſe die ganz be- ſondern Eigenſchaften meiner Frau vorſtellen moͤchte, welche mich ein zehenjaͤhriger Eheſtand deutlich genug hat kennen lehren. Sie wiſſen wohl, meine Herren, daß mir bey ihren Lebzeiten dieſes zu thun nicht ver- goͤnnt war; ſie konnte nichts weniger vertragen, als das Lob ihres Mannes, und alles, was ich von ihren Faͤhigkeiten erzaͤhlte, kam ihr verdaͤchtig vor. Nun- mehr befreyet mich ihr Tod auch von dieſem Zwange, und wenn Sie bedenken wollen, wie ſehr mich dieſer Verluſt ſchmerze: So werden Sie auch wohl einſe- hen koͤnnen, wie groß mein Vergnuͤgen ſeyn muͤſſe, da ich Sie von der Wichtigkeit desjenigen unterhal- ten kann, was ich verloren habe. Finden Sie viel- leicht nicht in meinen Angen die Blicke eines bekuͤm-
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Trauerrede
eines Wittwers,
auf den Tod ſeiner Frau.
Meine Herren,
Niemals habe ich die Geſetze unſrer Geſellſchaft
mit mehrerm Vergnuͤgen beobachtet, als itzt,
da ich mit Jhnen von dem Verluſte reden
ſoll, welchen ich durch das Abſterben meines Weibes
erlitten habe. Schon ſeit vielen Jahren wuͤnſche ich
mir dieſe Gelegenheit zu reden, und dieſes bloß darum,
damit ich Jhnen in einem kurzen Abriſſe die ganz be-
ſondern Eigenſchaften meiner Frau vorſtellen moͤchte,
welche mich ein zehenjaͤhriger Eheſtand deutlich genug
hat kennen lehren. Sie wiſſen wohl, meine Herren,
daß mir bey ihren Lebzeiten dieſes zu thun nicht ver-
goͤnnt war; ſie konnte nichts weniger vertragen, als
das Lob ihres Mannes, und alles, was ich von ihren
Faͤhigkeiten erzaͤhlte, kam ihr verdaͤchtig vor. Nun-
mehr befreyet mich ihr Tod auch von dieſem Zwange,
und wenn Sie bedenken wollen, wie ſehr mich dieſer
Verluſt ſchmerze: So werden Sie auch wohl einſe-
hen koͤnnen, wie groß mein Vergnuͤgen ſeyn muͤſſe,
da ich Sie von der Wichtigkeit desjenigen unterhal-
ten kann, was ich verloren habe. Finden Sie viel-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/148>, abgerufen am 16.02.2025.
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