selber heraus. Ja, armes Wurm, die süße Kinder- zeit liegt nun unwiderruflich hinter uns, der Ernst des Lebens -- weine nicht, Eduard! -- beginnt, und lebten wir noch in vernünftigeren Zeiten, so würde ich Dir vorschlagen, Herze: steig hinter Deinem Ritter auf den Gaul, faße mich um die Taille, und halte Dich fest. Komm kurz und gut mit mir. Aber es geht nicht, Eduard. Was können wir dafür, daß wir wenigstens das eine Mal nicht von den Eseln aufs Pferd kommen? daß wir einfach morgen mit der Eisenbahn fortmüssen? Tinchen, mein Herzens- tinchen, sieh mich nicht so dumm an; was ich meinen Herren Eltern aus dem ersten Semester mitbringen werde, weiß ich nicht; aber Dir bringe ich den alten Stopfkuchen wieder. So wahr jetzt der Himmel blau über uns ist, und die Erde grün wird und immer grüner: ich will nicht umsonst meine täglichen Prügel der rothen Schanze wegen gekriegt haben! ich will nicht umsonst meine einzigen guten Stunden in diesem Jammerthal auf dem Anstand dem alten Quakatz und seinem kleinen Tinchen gegenüber verlebt haben! Wenn Sie es verlangen, Fräulein Valen- tine, so hinterlasse ich Ihnen das auch schriftlich!"
Es fuhr wie ein Schauder durch den ganzen Körper der Tochter des alten Quakatz; dann aber sagte Valentine:
"Ich will nichts Schriftliches. Was von Schrift- lichem hierher kommt, das nimmt auch mein Vater am liebsten nur, wenn es ihm auf die Mistgabel gelegt und zugereicht wird. Nachher faßt er es an wie eine
ſelber heraus. Ja, armes Wurm, die ſüße Kinder- zeit liegt nun unwiderruflich hinter uns, der Ernſt des Lebens — weine nicht, Eduard! — beginnt, und lebten wir noch in vernünftigeren Zeiten, ſo würde ich Dir vorſchlagen, Herze: ſteig hinter Deinem Ritter auf den Gaul, faße mich um die Taille, und halte Dich feſt. Komm kurz und gut mit mir. Aber es geht nicht, Eduard. Was können wir dafür, daß wir wenigſtens das eine Mal nicht von den Eſeln aufs Pferd kommen? daß wir einfach morgen mit der Eiſenbahn fortmüſſen? Tinchen, mein Herzens- tinchen, ſieh mich nicht ſo dumm an; was ich meinen Herren Eltern aus dem erſten Semeſter mitbringen werde, weiß ich nicht; aber Dir bringe ich den alten Stopfkuchen wieder. So wahr jetzt der Himmel blau über uns iſt, und die Erde grün wird und immer grüner: ich will nicht umſonſt meine täglichen Prügel der rothen Schanze wegen gekriegt haben! ich will nicht umſonſt meine einzigen guten Stunden in dieſem Jammerthal auf dem Anſtand dem alten Quakatz und ſeinem kleinen Tinchen gegenüber verlebt haben! Wenn Sie es verlangen, Fräulein Valen- tine, ſo hinterlaſſe ich Ihnen das auch ſchriftlich!“
Es fuhr wie ein Schauder durch den ganzen Körper der Tochter des alten Quakatz; dann aber ſagte Valentine:
„Ich will nichts Schriftliches. Was von Schrift- lichem hierher kommt, das nimmt auch mein Vater am liebſten nur, wenn es ihm auf die Miſtgabel gelegt und zugereicht wird. Nachher faßt er es an wie eine
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ſelber heraus. Ja, armes Wurm, die ſüße Kinder-
zeit liegt nun unwiderruflich hinter uns, der Ernſt
des Lebens — weine nicht, Eduard! — beginnt, und
lebten wir noch in vernünftigeren Zeiten, ſo würde
ich Dir vorſchlagen, Herze: ſteig hinter Deinem Ritter
auf den Gaul, faße mich um die Taille, und halte
Dich feſt. Komm kurz und gut mit mir. Aber es
geht nicht, Eduard. Was können wir dafür, daß
wir wenigſtens das eine Mal nicht von den Eſeln
aufs Pferd kommen? daß wir einfach morgen mit
der Eiſenbahn fortmüſſen? Tinchen, mein Herzens-
tinchen, ſieh mich nicht ſo dumm an; was ich meinen
Herren Eltern aus dem erſten Semeſter mitbringen
werde, weiß ich nicht; aber Dir bringe ich den alten
Stopfkuchen wieder. So wahr jetzt der Himmel blau
über uns iſt, und die Erde grün wird und immer
grüner: ich will nicht umſonſt meine täglichen Prügel
der rothen Schanze wegen gekriegt haben! ich will
nicht umſonſt meine einzigen guten Stunden in
dieſem Jammerthal auf dem Anſtand dem alten
Quakatz und ſeinem kleinen Tinchen gegenüber verlebt
haben! Wenn Sie es verlangen, Fräulein Valen-
tine, ſo hinterlaſſe ich Ihnen das auch ſchriftlich!“
Es fuhr wie ein Schauder durch den ganzen
Körper der Tochter des alten Quakatz; dann aber
ſagte Valentine:
„Ich will nichts Schriftliches. Was von Schrift-
lichem hierher kommt, das nimmt auch mein Vater am
liebſten nur, wenn es ihm auf die Miſtgabel gelegt und
zugereicht wird. Nachher faßt er es an wie eine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/60>, abgerufen am 17.02.2025.
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