"Was meinst Du, Eduard? Sieht das hier nicht niedlich aus?" --
Knecht und Magd haben, da der Herr wieder mal in "Beleidigungs- und Ehrensachen-Kränkungs- geschäften" vom Hause ist, sich ihre Arbeit nach Gut- dünken draußen gesucht, liegen vielleicht auch irgend- wo unter einem Busch und lassen unsern Herrgott den besten Meister sein. Kein Laut ringsumher als das Schrillen der Grillen oder das Gekreisch zankender Spatzen auf den Dächern und in den Hecken! Auch Tinchen schluchzt nicht mehr zornig aus sich heraus oder erbittert-giftig in sich hinein. Sie ist uns voran in die Stube gegangen, ohne sich danach um- gesehen zu haben, ob wir ihr auch gefolgt sind. Wir sind ihr, doch ein wenig scheu und befangen, gefolgt, und nun sitzt sie am Tische, mit dem Rücken an der Wand und hat beide Arme, die Hände flach ausge- breitet, auf die altersschwarze Eichenplatte gelegt, und Stopfkuchen und ich stehen vor ihr und sehen in der dunklen niederen Bauernstube vom Licht da draußen geblendet, auf sie hin; -- man kann eine Meile weit jede Fliege summen hören. Ja, die Fliegen der rothen Schanze! sie haben das Schanzwerk des Prinzen Xaver von Sachsen auch nicht aufgegeben. Sie sind noch vorhanden in der Stube des Bauern Quakatz, einerlei, ob er Kienbaum todtgeschlagen hat oder nicht. Es giebt nichts innerhalb der vier Wände was sie nicht beschmitzt haben; vor Allem die Bilder an den Wänden: die zehn Gebote, des Jägers Begräbniß, den unter die Räuber gefallenen
„Was meinſt Du, Eduard? Sieht das hier nicht niedlich aus?“ —
Knecht und Magd haben, da der Herr wieder mal in „Beleidigungs- und Ehrenſachen-Kränkungs- geſchäften“ vom Hauſe iſt, ſich ihre Arbeit nach Gut- dünken draußen geſucht, liegen vielleicht auch irgend- wo unter einem Buſch und laſſen unſern Herrgott den beſten Meiſter ſein. Kein Laut ringsumher als das Schrillen der Grillen oder das Gekreiſch zankender Spatzen auf den Dächern und in den Hecken! Auch Tinchen ſchluchzt nicht mehr zornig aus ſich heraus oder erbittert-giftig in ſich hinein. Sie iſt uns voran in die Stube gegangen, ohne ſich danach um- geſehen zu haben, ob wir ihr auch gefolgt ſind. Wir ſind ihr, doch ein wenig ſcheu und befangen, gefolgt, und nun ſitzt ſie am Tiſche, mit dem Rücken an der Wand und hat beide Arme, die Hände flach ausge- breitet, auf die altersſchwarze Eichenplatte gelegt, und Stopfkuchen und ich ſtehen vor ihr und ſehen in der dunklen niederen Bauernſtube vom Licht da draußen geblendet, auf ſie hin; — man kann eine Meile weit jede Fliege ſummen hören. Ja, die Fliegen der rothen Schanze! ſie haben das Schanzwerk des Prinzen Xaver von Sachſen auch nicht aufgegeben. Sie ſind noch vorhanden in der Stube des Bauern Quakatz, einerlei, ob er Kienbaum todtgeſchlagen hat oder nicht. Es giebt nichts innerhalb der vier Wände was ſie nicht beſchmitzt haben; vor Allem die Bilder an den Wänden: die zehn Gebote, des Jägers Begräbniß, den unter die Räuber gefallenen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0058"n="48"/><p>„Was meinſt Du, Eduard? Sieht das hier<lb/>
nicht niedlich aus?“—</p><lb/><p>Knecht und Magd haben, da der Herr wieder<lb/>
mal in „Beleidigungs- und Ehrenſachen-Kränkungs-<lb/>
geſchäften“ vom Hauſe iſt, ſich ihre Arbeit nach Gut-<lb/>
dünken draußen geſucht, liegen vielleicht auch irgend-<lb/>
wo unter einem Buſch und laſſen unſern Herrgott<lb/>
den beſten Meiſter ſein. Kein Laut ringsumher als<lb/>
das Schrillen der Grillen oder das Gekreiſch zankender<lb/>
Spatzen auf den Dächern und in den Hecken! Auch<lb/>
Tinchen ſchluchzt nicht mehr zornig aus ſich heraus<lb/>
oder erbittert-giftig in ſich hinein. Sie iſt uns<lb/>
voran in die Stube gegangen, ohne ſich danach um-<lb/>
geſehen zu haben, ob wir ihr auch gefolgt ſind. Wir<lb/>ſind ihr, doch ein wenig ſcheu und befangen, gefolgt,<lb/>
und nun ſitzt ſie am Tiſche, mit dem Rücken an der<lb/>
Wand und hat beide Arme, die Hände flach ausge-<lb/>
breitet, auf die altersſchwarze Eichenplatte gelegt, und<lb/>
Stopfkuchen und ich ſtehen vor ihr und ſehen in<lb/>
der dunklen niederen Bauernſtube vom Licht da<lb/>
draußen geblendet, auf ſie hin; — man kann eine<lb/>
Meile weit jede Fliege ſummen hören. Ja, die Fliegen<lb/>
der rothen Schanze! ſie haben das Schanzwerk des<lb/>
Prinzen Xaver von Sachſen auch nicht aufgegeben.<lb/>
Sie ſind noch vorhanden in der Stube des Bauern<lb/>
Quakatz, einerlei, ob er Kienbaum todtgeſchlagen<lb/>
hat oder nicht. Es giebt nichts innerhalb der vier<lb/>
Wände was ſie nicht beſchmitzt haben; vor Allem<lb/>
die Bilder an den Wänden: die zehn Gebote, des<lb/>
Jägers Begräbniß, den unter die Räuber gefallenen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[48/0058]
„Was meinſt Du, Eduard? Sieht das hier
nicht niedlich aus?“ —
Knecht und Magd haben, da der Herr wieder
mal in „Beleidigungs- und Ehrenſachen-Kränkungs-
geſchäften“ vom Hauſe iſt, ſich ihre Arbeit nach Gut-
dünken draußen geſucht, liegen vielleicht auch irgend-
wo unter einem Buſch und laſſen unſern Herrgott
den beſten Meiſter ſein. Kein Laut ringsumher als
das Schrillen der Grillen oder das Gekreiſch zankender
Spatzen auf den Dächern und in den Hecken! Auch
Tinchen ſchluchzt nicht mehr zornig aus ſich heraus
oder erbittert-giftig in ſich hinein. Sie iſt uns
voran in die Stube gegangen, ohne ſich danach um-
geſehen zu haben, ob wir ihr auch gefolgt ſind. Wir
ſind ihr, doch ein wenig ſcheu und befangen, gefolgt,
und nun ſitzt ſie am Tiſche, mit dem Rücken an der
Wand und hat beide Arme, die Hände flach ausge-
breitet, auf die altersſchwarze Eichenplatte gelegt, und
Stopfkuchen und ich ſtehen vor ihr und ſehen in
der dunklen niederen Bauernſtube vom Licht da
draußen geblendet, auf ſie hin; — man kann eine
Meile weit jede Fliege ſummen hören. Ja, die Fliegen
der rothen Schanze! ſie haben das Schanzwerk des
Prinzen Xaver von Sachſen auch nicht aufgegeben.
Sie ſind noch vorhanden in der Stube des Bauern
Quakatz, einerlei, ob er Kienbaum todtgeſchlagen
hat oder nicht. Es giebt nichts innerhalb der vier
Wände was ſie nicht beſchmitzt haben; vor Allem
die Bilder an den Wänden: die zehn Gebote, des
Jägers Begräbniß, den unter die Räuber gefallenen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/58>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.