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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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das, was ich in meiner Kinderzeit so oft hier mit
schauerlichem aber gar nicht unangenehmen Nerven-
und Seelenkitzel mitgenossen hatte: ein Hineingucken
auf einen Hausflur, wo ein Sarg steht.

Alles wie sonst! Nur Alles noch ein wenig
mehr zusammengeschrumpft: der kleine Platz enger,
die Häuser niedriger, die Fenster zusammengedrückter,
die Hausthüren schmaler.

Und sie drängten sich Alle wieder um eine Haus-
thür; die Kinder und die Frauen mit Kindern auf
dem Arme, die alten Frauen und zwei oder drei
alte Männer, diese alle mit den Abendpfeifen im
Munde: es stand ja wieder einmal ein Sarg auf
einem Hausflur!

Sie drehten alle uns den Rücken zu, und machten
uns verwundert Platz, als wir ihnen über die
Schultern auch mit in die Thür zu sehen wünschten.
Sie verwunderten sich aber noch viel mehr als wir
gar in die Thür traten.

Es schien Niemand zu Hause zu sein als der
alte Störzer, und auch der schlief; lag ruhig in dem
engen schwarzen Gehäuse, welches da auf drei Stühlen
stand, mit den Lichtern, die morgen früh beim ehren-
vollen Begängniß angezündet werden sollten, auf
einem vierten Stuhle neben sich. Daß der liebe
Freund, der getreue, müde Wandersmann auch unter
Blumen und Kränzen lag, verstand sich von selber.
Das kostete um diese Jahreszeit im Matthäusviertel
nichts, und die Nachbarschaft that gern das Ihrige
hierin, ihre Theilnahme zu bezeigen.

das, was ich in meiner Kinderzeit ſo oft hier mit
ſchauerlichem aber gar nicht unangenehmen Nerven-
und Seelenkitzel mitgenoſſen hatte: ein Hineingucken
auf einen Hausflur, wo ein Sarg ſteht.

Alles wie ſonſt! Nur Alles noch ein wenig
mehr zuſammengeſchrumpft: der kleine Platz enger,
die Häuſer niedriger, die Fenſter zuſammengedrückter,
die Hausthüren ſchmaler.

Und ſie drängten ſich Alle wieder um eine Haus-
thür; die Kinder und die Frauen mit Kindern auf
dem Arme, die alten Frauen und zwei oder drei
alte Männer, dieſe alle mit den Abendpfeifen im
Munde: es ſtand ja wieder einmal ein Sarg auf
einem Hausflur!

Sie drehten alle uns den Rücken zu, und machten
uns verwundert Platz, als wir ihnen über die
Schultern auch mit in die Thür zu ſehen wünſchten.
Sie verwunderten ſich aber noch viel mehr als wir
gar in die Thür traten.

Es ſchien Niemand zu Hauſe zu ſein als der
alte Störzer, und auch der ſchlief; lag ruhig in dem
engen ſchwarzen Gehäuſe, welches da auf drei Stühlen
ſtand, mit den Lichtern, die morgen früh beim ehren-
vollen Begängniß angezündet werden ſollten, auf
einem vierten Stuhle neben ſich. Daß der liebe
Freund, der getreue, müde Wandersmann auch unter
Blumen und Kränzen lag, verſtand ſich von ſelber.
Das koſtete um dieſe Jahreszeit im Matthäusviertel
nichts, und die Nachbarſchaft that gern das Ihrige
hierin, ihre Theilnahme zu bezeigen.

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[218/0228] das, was ich in meiner Kinderzeit ſo oft hier mit ſchauerlichem aber gar nicht unangenehmen Nerven- und Seelenkitzel mitgenoſſen hatte: ein Hineingucken auf einen Hausflur, wo ein Sarg ſteht. Alles wie ſonſt! Nur Alles noch ein wenig mehr zuſammengeſchrumpft: der kleine Platz enger, die Häuſer niedriger, die Fenſter zuſammengedrückter, die Hausthüren ſchmaler. Und ſie drängten ſich Alle wieder um eine Haus- thür; die Kinder und die Frauen mit Kindern auf dem Arme, die alten Frauen und zwei oder drei alte Männer, dieſe alle mit den Abendpfeifen im Munde: es ſtand ja wieder einmal ein Sarg auf einem Hausflur! Sie drehten alle uns den Rücken zu, und machten uns verwundert Platz, als wir ihnen über die Schultern auch mit in die Thür zu ſehen wünſchten. Sie verwunderten ſich aber noch viel mehr als wir gar in die Thür traten. Es ſchien Niemand zu Hauſe zu ſein als der alte Störzer, und auch der ſchlief; lag ruhig in dem engen ſchwarzen Gehäuſe, welches da auf drei Stühlen ſtand, mit den Lichtern, die morgen früh beim ehren- vollen Begängniß angezündet werden ſollten, auf einem vierten Stuhle neben ſich. Daß der liebe Freund, der getreue, müde Wandersmann auch unter Blumen und Kränzen lag, verſtand ſich von ſelber. Das koſtete um dieſe Jahreszeit im Matthäusviertel nichts, und die Nachbarſchaft that gern das Ihrige hierin, ihre Theilnahme zu bezeigen.

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/228>, abgerufen am 26.11.2024.