Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Guter Gott, die Leute draußen auf dem Felde, die
keinen Schatten haben, oder sich doch nicht in ihn
hineinlegen dürfen. Wir sind nämlich eben im Schatten
der rothen Schanze angelangt, Eduard und ich, und
ich erzähle ihm grade, wie Du mir zum ersten Mal
den Kopf, das heißt das Maul, die blutende Nase
gewaschen hast, und wie ich ein Held war, und wie
gern unser seliger Papa die Mäuse hätte laufen
lassen und die ganze Menschheit vergiftet hätte."

"Lassen Sie sich nur nicht zu argen Unsinn von
ihm aufreden," sagte Frau Schaumann freundlich,
indem sie ihre Nadel ruhig einfädelte. "Manchmal
ist er auch heute noch ganz in der Stille zu Allem
fähig, grade wie als dummer, kleiner Junge. Nun,
Sie kennen ihn ja, Herr Eduard!"

"So wie das Weib kommt, geht die Kritik und
der Zank los!" sprach Heinrich, mit ausgebreitetstem
Bauch und Behagen seinem Weibe die Hand auf den
Kopf legend. "Das arme Wurm! wenn es mich mit
meinen Dummheiten nicht gefunden hätte! Nun, wo
waren wir denn stehen geblieben, Herr Eduard?"

"Unter dem Birnbaum. Wahrscheinlich unter
jenem dort."

Wir sahen alle drei nach der Richtung hin, und
Frau Valentine nickte nachdrücklich.

"Richtig," sagte ihr Mann. "Sie saß drin und
ich saß drunter. Sie pflückte und ich fraß. Eduard,
ihr habt meiner körperlichen Anlagen wegen meine
geistigen stets verkannt. Ihr Schlaumichel, Schnell-
füße, gymnasiastische Affenrepublik hattet keine Ahnung

Guter Gott, die Leute draußen auf dem Felde, die
keinen Schatten haben, oder ſich doch nicht in ihn
hineinlegen dürfen. Wir ſind nämlich eben im Schatten
der rothen Schanze angelangt, Eduard und ich, und
ich erzähle ihm grade, wie Du mir zum erſten Mal
den Kopf, das heißt das Maul, die blutende Naſe
gewaſchen haſt, und wie ich ein Held war, und wie
gern unſer ſeliger Papa die Mäuſe hätte laufen
laſſen und die ganze Menſchheit vergiftet hätte.“

„Laſſen Sie ſich nur nicht zu argen Unſinn von
ihm aufreden,“ ſagte Frau Schaumann freundlich,
indem ſie ihre Nadel ruhig einfädelte. „Manchmal
iſt er auch heute noch ganz in der Stille zu Allem
fähig, grade wie als dummer, kleiner Junge. Nun,
Sie kennen ihn ja, Herr Eduard!“

„So wie das Weib kommt, geht die Kritik und
der Zank los!“ ſprach Heinrich, mit ausgebreitetſtem
Bauch und Behagen ſeinem Weibe die Hand auf den
Kopf legend. „Das arme Wurm! wenn es mich mit
meinen Dummheiten nicht gefunden hätte! Nun, wo
waren wir denn ſtehen geblieben, Herr Eduard?“

„Unter dem Birnbaum. Wahrſcheinlich unter
jenem dort.“

Wir ſahen alle drei nach der Richtung hin, und
Frau Valentine nickte nachdrücklich.

„Richtig,“ ſagte ihr Mann. „Sie ſaß drin und
ich ſaß drunter. Sie pflückte und ich fraß. Eduard,
ihr habt meiner körperlichen Anlagen wegen meine
geiſtigen ſtets verkannt. Ihr Schlaumichel, Schnell-
füße, gymnaſiaſtiſche Affenrepublik hattet keine Ahnung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0126" n="116"/>
Guter Gott, die Leute draußen auf dem Felde, die<lb/>
keinen Schatten haben, oder &#x017F;ich doch nicht in ihn<lb/>
hineinlegen dürfen. Wir &#x017F;ind nämlich eben im Schatten<lb/>
der rothen Schanze angelangt, Eduard und ich, und<lb/>
ich erzähle ihm grade, wie Du mir zum er&#x017F;ten Mal<lb/>
den Kopf, das heißt das Maul, die blutende Na&#x017F;e<lb/>
gewa&#x017F;chen ha&#x017F;t, und wie ich ein Held war, und wie<lb/>
gern un&#x017F;er &#x017F;eliger Papa die Mäu&#x017F;e hätte laufen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en und die ganze Men&#x017F;chheit vergiftet hätte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;La&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich nur nicht zu argen Un&#x017F;inn von<lb/>
ihm aufreden,&#x201C; &#x017F;agte Frau Schaumann freundlich,<lb/>
indem &#x017F;ie ihre Nadel ruhig einfädelte. &#x201E;Manchmal<lb/>
i&#x017F;t er auch heute noch ganz in der Stille zu Allem<lb/>
fähig, grade wie als dummer, kleiner Junge. Nun,<lb/>
Sie kennen ihn ja, Herr Eduard!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So wie das Weib kommt, geht die Kritik und<lb/>
der Zank los!&#x201C; &#x017F;prach Heinrich, mit ausgebreitet&#x017F;tem<lb/>
Bauch und Behagen &#x017F;einem Weibe die Hand auf den<lb/>
Kopf legend. &#x201E;Das arme Wurm! wenn es mich mit<lb/>
meinen Dummheiten nicht gefunden hätte! Nun, wo<lb/>
waren wir denn &#x017F;tehen geblieben, Herr Eduard?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Unter dem Birnbaum. Wahr&#x017F;cheinlich unter<lb/>
jenem dort.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wir &#x017F;ahen alle drei nach der Richtung hin, und<lb/>
Frau Valentine nickte nachdrücklich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Richtig,&#x201C; &#x017F;agte ihr Mann. &#x201E;Sie &#x017F;aß drin und<lb/>
ich &#x017F;aß drunter. Sie pflückte und ich fraß. Eduard,<lb/>
ihr habt meiner körperlichen Anlagen wegen meine<lb/>
gei&#x017F;tigen &#x017F;tets verkannt. Ihr Schlaumichel, Schnell-<lb/>
füße, gymna&#x017F;ia&#x017F;ti&#x017F;che Affenrepublik hattet keine Ahnung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0126] Guter Gott, die Leute draußen auf dem Felde, die keinen Schatten haben, oder ſich doch nicht in ihn hineinlegen dürfen. Wir ſind nämlich eben im Schatten der rothen Schanze angelangt, Eduard und ich, und ich erzähle ihm grade, wie Du mir zum erſten Mal den Kopf, das heißt das Maul, die blutende Naſe gewaſchen haſt, und wie ich ein Held war, und wie gern unſer ſeliger Papa die Mäuſe hätte laufen laſſen und die ganze Menſchheit vergiftet hätte.“ „Laſſen Sie ſich nur nicht zu argen Unſinn von ihm aufreden,“ ſagte Frau Schaumann freundlich, indem ſie ihre Nadel ruhig einfädelte. „Manchmal iſt er auch heute noch ganz in der Stille zu Allem fähig, grade wie als dummer, kleiner Junge. Nun, Sie kennen ihn ja, Herr Eduard!“ „So wie das Weib kommt, geht die Kritik und der Zank los!“ ſprach Heinrich, mit ausgebreitetſtem Bauch und Behagen ſeinem Weibe die Hand auf den Kopf legend. „Das arme Wurm! wenn es mich mit meinen Dummheiten nicht gefunden hätte! Nun, wo waren wir denn ſtehen geblieben, Herr Eduard?“ „Unter dem Birnbaum. Wahrſcheinlich unter jenem dort.“ Wir ſahen alle drei nach der Richtung hin, und Frau Valentine nickte nachdrücklich. „Richtig,“ ſagte ihr Mann. „Sie ſaß drin und ich ſaß drunter. Sie pflückte und ich fraß. Eduard, ihr habt meiner körperlichen Anlagen wegen meine geiſtigen ſtets verkannt. Ihr Schlaumichel, Schnell- füße, gymnaſiaſtiſche Affenrepublik hattet keine Ahnung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/126
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/126>, abgerufen am 18.05.2024.