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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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Heinrich Schaumanns ebenfalls schändlich unterdrückten
Anlagen zur Gemüthlichkeit und Menschenwürde etwas
bekannter zu machen."

"Gehe heraus aus dem Kasten, Heinrich."

"Ihr Anderen, als ihr noch auf Schulen ginget,
glaubtet vielleicht, eure Ideale zu haben. Ich hatte
das meinige fest."

"Das weiß ich zur Genüge; Du hast es mir
heute schon öfter gesagt: die rothe Schanze"

"Nein, durchaus nicht."

"Nun dann soll es mich doch wundern, was
denn!"

"Mich!" sprach Stopfkuchen mit unerschütterlicher
Gelassenheit. Dann aber sah er sich über die Schulter
nach seinem Hause um, ob auch Niemand von dort
komme und horche. Er hielt die Hand an den Mund
und flüsterte mir hinter ihr zu:

"Ich kann Dir sagen, Eduard, sie ist ein Pracht-
mädchen und bedurfte zur richtigen Zeit nur eines
verständigen Mannes, also eines Idealmenschen, um
das zu werden, was ich aus ihr gemacht habe. Das
siehst Du doch wohl ein, Eduard, obgleich es freilich
die reine Zwickmühle ist: damit ich ihr Ideal werde,
mußte ich doch unbedingt vorher erst meines sein?"

"Aus dem Kasten, nur immer weiter heraus
aus dem Kasten!" murmelte ich. Was hätte ich sonst
murmeln sollen?

"Ihr hattet mich mal wieder allein unter der Hecke
sitzen lassen, ihr Anderen, und waret eurem Ver-
gnügen an der Welt ohne mich nachgelaufen. Und

Heinrich Schaumanns ebenfalls ſchändlich unterdrückten
Anlagen zur Gemüthlichkeit und Menſchenwürde etwas
bekannter zu machen.“

„Gehe heraus aus dem Kaſten, Heinrich.“

„Ihr Anderen, als ihr noch auf Schulen ginget,
glaubtet vielleicht, eure Ideale zu haben. Ich hatte
das meinige feſt.“

„Das weiß ich zur Genüge; Du haſt es mir
heute ſchon öfter geſagt: die rothe Schanze“

„Nein, durchaus nicht.“

„Nun dann ſoll es mich doch wundern, was
denn!“

„Mich!“ ſprach Stopfkuchen mit unerſchütterlicher
Gelaſſenheit. Dann aber ſah er ſich über die Schulter
nach ſeinem Hauſe um, ob auch Niemand von dort
komme und horche. Er hielt die Hand an den Mund
und flüſterte mir hinter ihr zu:

„Ich kann Dir ſagen, Eduard, ſie iſt ein Pracht-
mädchen und bedurfte zur richtigen Zeit nur eines
verſtändigen Mannes, alſo eines Idealmenſchen, um
das zu werden, was ich aus ihr gemacht habe. Das
ſiehſt Du doch wohl ein, Eduard, obgleich es freilich
die reine Zwickmühle iſt: damit ich ihr Ideal werde,
mußte ich doch unbedingt vorher erſt meines ſein?“

„Aus dem Kaſten, nur immer weiter heraus
aus dem Kaſten!“ murmelte ich. Was hätte ich ſonſt
murmeln ſollen?

„Ihr hattet mich mal wieder allein unter der Hecke
ſitzen laſſen, ihr Anderen, und waret eurem Ver-
gnügen an der Welt ohne mich nachgelaufen. Und

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[106/0116] Heinrich Schaumanns ebenfalls ſchändlich unterdrückten Anlagen zur Gemüthlichkeit und Menſchenwürde etwas bekannter zu machen.“ „Gehe heraus aus dem Kaſten, Heinrich.“ „Ihr Anderen, als ihr noch auf Schulen ginget, glaubtet vielleicht, eure Ideale zu haben. Ich hatte das meinige feſt.“ „Das weiß ich zur Genüge; Du haſt es mir heute ſchon öfter geſagt: die rothe Schanze“ „Nein, durchaus nicht.“ „Nun dann ſoll es mich doch wundern, was denn!“ „Mich!“ ſprach Stopfkuchen mit unerſchütterlicher Gelaſſenheit. Dann aber ſah er ſich über die Schulter nach ſeinem Hauſe um, ob auch Niemand von dort komme und horche. Er hielt die Hand an den Mund und flüſterte mir hinter ihr zu: „Ich kann Dir ſagen, Eduard, ſie iſt ein Pracht- mädchen und bedurfte zur richtigen Zeit nur eines verſtändigen Mannes, alſo eines Idealmenſchen, um das zu werden, was ich aus ihr gemacht habe. Das ſiehſt Du doch wohl ein, Eduard, obgleich es freilich die reine Zwickmühle iſt: damit ich ihr Ideal werde, mußte ich doch unbedingt vorher erſt meines ſein?“ „Aus dem Kaſten, nur immer weiter heraus aus dem Kaſten!“ murmelte ich. Was hätte ich ſonſt murmeln ſollen? „Ihr hattet mich mal wieder allein unter der Hecke ſitzen laſſen, ihr Anderen, und waret eurem Ver- gnügen an der Welt ohne mich nachgelaufen. Und

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/116>, abgerufen am 25.11.2024.