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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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wand gestemmt, der lange Zeichner, die Cigarre, die
große Trostspenderin des neunzehnten Jahrhunderts im
Munde, ein Zeichenbrett auf den Knien und den Stift
in der Hand. Ein dreibeiniger Tisch, der ohne Zweifel
einst unter die Quadrupeden gehört hatte, war an diese
Lagerstatt gezogen; ein leerer Bierkrug, eine halbgeleerte
Cigarrenkiste, Tuschnäpfchen, bekritzelte Papiere und an-
dere heterogene Gegenstände bedeckten ihn im reizendsten
Mischmasch. Drei verschiedengestaltete Stühle hatte die
"Bude" aufzuweisen; der eine aus der Rokokozeit diente
als Bibliothek, der andere, ein grünangestrichener Gar-
tenstuhl, verrichtete die Dienste eines Kleiderschranks, und
der dritte, von dessem früheren Polster nur noch der zer-
fetzte Ueberzug herabhing, war o horror! -- zur --
Toilette entwürdigt, und ein Waschnapf, Seife, Kämme
und Zahnbürsten machten sich breiter auf ihm als eigent-
lich nöthig war. In einer Ecke des Zimmers lehnte
der Ziegenhainer des wanderlustigen Karikaturenzeich-
ners und auf ihm sein breitrandiger Filz. In einem
andern Winkel hing eine umfangreiche Reisetasche, und
die Wände entlang war mit Stecknadeln eine tolle Zeich-
nung neben der andern festgenagelt. Das Ganze ein
wahres Pandämonium von Humor und scurrilem Un-
sinn! --

"Ah, mein Nachbar!" rief Meister Strobel, bei mei-

wand geſtemmt, der lange Zeichner, die Cigarre, die
große Troſtſpenderin des neunzehnten Jahrhunderts im
Munde, ein Zeichenbrett auf den Knien und den Stift
in der Hand. Ein dreibeiniger Tiſch, der ohne Zweifel
einſt unter die Quadrupeden gehört hatte, war an dieſe
Lagerſtatt gezogen; ein leerer Bierkrug, eine halbgeleerte
Cigarrenkiſte, Tuſchnäpfchen, bekritzelte Papiere und an-
dere heterogene Gegenſtände bedeckten ihn im reizendſten
Miſchmaſch. Drei verſchiedengeſtaltete Stühle hatte die
„Bude“ aufzuweiſen; der eine aus der Rokokozeit diente
als Bibliothek, der andere, ein grünangeſtrichener Gar-
tenſtuhl, verrichtete die Dienſte eines Kleiderſchranks, und
der dritte, von deſſem früheren Polſter nur noch der zer-
fetzte Ueberzug herabhing, war o horror! — zur —
Toilette entwürdigt, und ein Waſchnapf, Seife, Kämme
und Zahnbürſten machten ſich breiter auf ihm als eigent-
lich nöthig war. In einer Ecke des Zimmers lehnte
der Ziegenhainer des wanderluſtigen Karikaturenzeich-
ners und auf ihm ſein breitrandiger Filz. In einem
andern Winkel hing eine umfangreiche Reiſetaſche, und
die Wände entlang war mit Stecknadeln eine tolle Zeich-
nung neben der andern feſtgenagelt. Das Ganze ein
wahres Pandämonium von Humor und ſcurrilem Un-
ſinn! —

„Ah, mein Nachbar!“ rief Meiſter Strobel, bei mei-

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[38/0048] wand geſtemmt, der lange Zeichner, die Cigarre, die große Troſtſpenderin des neunzehnten Jahrhunderts im Munde, ein Zeichenbrett auf den Knien und den Stift in der Hand. Ein dreibeiniger Tiſch, der ohne Zweifel einſt unter die Quadrupeden gehört hatte, war an dieſe Lagerſtatt gezogen; ein leerer Bierkrug, eine halbgeleerte Cigarrenkiſte, Tuſchnäpfchen, bekritzelte Papiere und an- dere heterogene Gegenſtände bedeckten ihn im reizendſten Miſchmaſch. Drei verſchiedengeſtaltete Stühle hatte die „Bude“ aufzuweiſen; der eine aus der Rokokozeit diente als Bibliothek, der andere, ein grünangeſtrichener Gar- tenſtuhl, verrichtete die Dienſte eines Kleiderſchranks, und der dritte, von deſſem früheren Polſter nur noch der zer- fetzte Ueberzug herabhing, war o horror! — zur — Toilette entwürdigt, und ein Waſchnapf, Seife, Kämme und Zahnbürſten machten ſich breiter auf ihm als eigent- lich nöthig war. In einer Ecke des Zimmers lehnte der Ziegenhainer des wanderluſtigen Karikaturenzeich- ners und auf ihm ſein breitrandiger Filz. In einem andern Winkel hing eine umfangreiche Reiſetaſche, und die Wände entlang war mit Stecknadeln eine tolle Zeich- nung neben der andern feſtgenagelt. Das Ganze ein wahres Pandämonium von Humor und ſcurrilem Un- ſinn! — „Ah, mein Nachbar!“ rief Meiſter Strobel, bei mei-

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/48>, abgerufen am 28.11.2024.