Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Nähe zu wagen. Andere wieder schwebten über den
Federn und noch andere machten sich um einen recht
dicken, abscheulichen Dintenklex zu schaffen; sie schienen
ihm das Lebenslicht mit aller Macht ausblasen zu wollen.
Ich weiß nicht, wie lange ich diesen zauberischen Wesen
zugesehen hatte, als eine Menge feiner Stimmchen:
Folge! Folge! rief und ich plötzlich, immer kleiner wer-
dend, endlich selbst als ein solches geflügeltes Figürchen,
in den Tanz gezogen wurde und mit den Geistern des
Mondlichts und den Duftgeistern der Waldblumen und
der Nachtviolen langsam dem Fenster zuschwebte. Denn
wie der Mond höher stieg, zog sich auch der Strahl
mit seinen glänzenden Bewohnern wieder zurück, und
lief hinab an der Hauswand, um in die Gasse hinunter
zu steigen. -- Ich hatte durchaus keine Furcht, trotz-
dem daß es da draußen wie eine verzauberte Welt war.
-- Die ganze Gasse war ein Gewirr von Tönen und
Licht, und nichts von dem Leben und Weben des Gei-
stervolks war mir mehr verborgen, und von Geistervolk
lebte und webte Alles! -- Dabei hatte ich auch nicht
die Fähigkeit verloren, die gröbere, gewöhnliche Welt zu
schauen und zu vernehmen; ich kannte und belauschte die
Leute in den Hausthüren, die Kinderköpfe in den Fen-
stern, die schlafenden Sperlinge und Schwalben in ihren
Nestern; -- es war wunderhübsch! -- Jetzt zog der

Nähe zu wagen. Andere wieder ſchwebten über den
Federn und noch andere machten ſich um einen recht
dicken, abſcheulichen Dintenklex zu ſchaffen; ſie ſchienen
ihm das Lebenslicht mit aller Macht ausblaſen zu wollen.
Ich weiß nicht, wie lange ich dieſen zauberiſchen Weſen
zugeſehen hatte, als eine Menge feiner Stimmchen:
Folge! Folge! rief und ich plötzlich, immer kleiner wer-
dend, endlich ſelbſt als ein ſolches geflügeltes Figürchen,
in den Tanz gezogen wurde und mit den Geiſtern des
Mondlichts und den Duftgeiſtern der Waldblumen und
der Nachtviolen langſam dem Fenſter zuſchwebte. Denn
wie der Mond höher ſtieg, zog ſich auch der Strahl
mit ſeinen glänzenden Bewohnern wieder zurück, und
lief hinab an der Hauswand, um in die Gaſſe hinunter
zu ſteigen. — Ich hatte durchaus keine Furcht, trotz-
dem daß es da draußen wie eine verzauberte Welt war.
— Die ganze Gaſſe war ein Gewirr von Tönen und
Licht, und nichts von dem Leben und Weben des Gei-
ſtervolks war mir mehr verborgen, und von Geiſtervolk
lebte und webte Alles! — Dabei hatte ich auch nicht
die Fähigkeit verloren, die gröbere, gewöhnliche Welt zu
ſchauen und zu vernehmen; ich kannte und belauſchte die
Leute in den Hausthüren, die Kinderköpfe in den Fen-
ſtern, die ſchlafenden Sperlinge und Schwalben in ihren
Neſtern; — es war wunderhübſch! — Jetzt zog der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0248" n="238"/>
Nähe zu wagen. Andere wieder &#x017F;chwebten über den<lb/>
Federn und noch andere machten &#x017F;ich um einen recht<lb/>
dicken, ab&#x017F;cheulichen Dintenklex zu &#x017F;chaffen; &#x017F;ie &#x017F;chienen<lb/>
ihm das Lebenslicht mit aller Macht ausbla&#x017F;en zu wollen.<lb/>
Ich weiß nicht, wie lange ich die&#x017F;en zauberi&#x017F;chen We&#x017F;en<lb/>
zuge&#x017F;ehen hatte, als eine Menge feiner Stimmchen:<lb/>
Folge! Folge! rief und ich plötzlich, immer kleiner wer-<lb/>
dend, endlich &#x017F;elb&#x017F;t als ein &#x017F;olches geflügeltes Figürchen,<lb/>
in den Tanz gezogen wurde und mit den Gei&#x017F;tern des<lb/>
Mondlichts und den Duftgei&#x017F;tern der Waldblumen und<lb/>
der Nachtviolen lang&#x017F;am dem Fen&#x017F;ter zu&#x017F;chwebte. Denn<lb/>
wie der Mond höher &#x017F;tieg, zog &#x017F;ich auch der Strahl<lb/>
mit &#x017F;einen glänzenden Bewohnern wieder zurück, und<lb/>
lief hinab an der Hauswand, um in die Ga&#x017F;&#x017F;e hinunter<lb/>
zu &#x017F;teigen. &#x2014; Ich hatte durchaus keine Furcht, trotz-<lb/>
dem daß es da draußen wie eine verzauberte Welt war.<lb/>
&#x2014; Die ganze Ga&#x017F;&#x017F;e war ein Gewirr von Tönen und<lb/>
Licht, und nichts von dem Leben und Weben des Gei-<lb/>
&#x017F;tervolks war mir mehr verborgen, und von Gei&#x017F;tervolk<lb/>
lebte und webte Alles! &#x2014; Dabei hatte ich auch nicht<lb/>
die Fähigkeit verloren, die gröbere, gewöhnliche Welt zu<lb/>
&#x017F;chauen und zu vernehmen; ich kannte und belau&#x017F;chte die<lb/>
Leute in den Hausthüren, die Kinderköpfe in den Fen-<lb/>
&#x017F;tern, die &#x017F;chlafenden Sperlinge und Schwalben in ihren<lb/>
Ne&#x017F;tern; &#x2014; es war wunderhüb&#x017F;ch! &#x2014; Jetzt zog der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0248] Nähe zu wagen. Andere wieder ſchwebten über den Federn und noch andere machten ſich um einen recht dicken, abſcheulichen Dintenklex zu ſchaffen; ſie ſchienen ihm das Lebenslicht mit aller Macht ausblaſen zu wollen. Ich weiß nicht, wie lange ich dieſen zauberiſchen Weſen zugeſehen hatte, als eine Menge feiner Stimmchen: Folge! Folge! rief und ich plötzlich, immer kleiner wer- dend, endlich ſelbſt als ein ſolches geflügeltes Figürchen, in den Tanz gezogen wurde und mit den Geiſtern des Mondlichts und den Duftgeiſtern der Waldblumen und der Nachtviolen langſam dem Fenſter zuſchwebte. Denn wie der Mond höher ſtieg, zog ſich auch der Strahl mit ſeinen glänzenden Bewohnern wieder zurück, und lief hinab an der Hauswand, um in die Gaſſe hinunter zu ſteigen. — Ich hatte durchaus keine Furcht, trotz- dem daß es da draußen wie eine verzauberte Welt war. — Die ganze Gaſſe war ein Gewirr von Tönen und Licht, und nichts von dem Leben und Weben des Gei- ſtervolks war mir mehr verborgen, und von Geiſtervolk lebte und webte Alles! — Dabei hatte ich auch nicht die Fähigkeit verloren, die gröbere, gewöhnliche Welt zu ſchauen und zu vernehmen; ich kannte und belauſchte die Leute in den Hausthüren, die Kinderköpfe in den Fen- ſtern, die ſchlafenden Sperlinge und Schwalben in ihren Neſtern; — es war wunderhübſch! — Jetzt zog der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/248
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/248>, abgerufen am 25.11.2024.