Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.erzählen; die jetzt eine Schlacht mitliefern, jetzt das Er- Ich, der Greis -- der zweiten Kindheit nahe, will erzählen; die jetzt eine Schlacht mitliefern, jetzt das Er- Ich, der Greis — der zweiten Kindheit nahe, will <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="8"/> erzählen; die jetzt eine Schlacht mitliefern, jetzt das Er-<lb/> ſcheinen eines wunderſamen Himmelszeichens beobachten;<lb/> die bald über den nahen Weltuntergang predigen, bald<lb/> wieder ſich über ein Stachelſchwein, welches die deutſche<lb/> Kaiſerin im Kloſtergarten vorführen läßt, wundern und<lb/> freuen. Und wie die alten Mönche hier und da zwiſchen<lb/> die Pergamentblätter ihrer Hiſtorien und Meßbücher<lb/> hübſche, farbige, zierlich ausgeſchnittene Heiligenbilder<lb/> legten, ſo will auch ich ähnliche Blätter einflechten und<lb/> durch die eintönigen farbloſen Aufzeichnungen meiner<lb/> alten Tage friſchere blüthenvollere Ranken ſchlingen.</p><lb/> <p>Ich, der Greis — der zweiten Kindheit nahe, will<lb/> von einem Kinde erzählen, deſſen Leben durch das meinige<lb/> ging wie ein Sonnenſtrahl, den an einem Regentage<lb/> Wind und Wolken über die Fluren jagen; der im Vor-<lb/> beigleiten Blumen und Steine küßt, und in derſelben<lb/> Minute das glückliche Geſicht der Mutter über der Wiege,<lb/> die heiße Stirn des Denkers über ſeinem Buche und die<lb/> bleichen Züge des Sterbenden ſtreifen kann. Ich ſchreibe<lb/> keinen Roman und kann mich wenig um den ſchrift-<lb/> ſtelleriſchen Contrapunkt bekümmern; was mir die Ver-<lb/> gangenheit gebracht hat, was mir die Gegenwart giebt,<lb/> will ich hier, in hübſche Rahmen gefaßt, zuſammenheften<lb/> und bin ich müde — nun ſo ſchlage ich dieſes Heft zu,<lb/> wühle weiter in meiner ſchweinsledernen Gelehrſamkeit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0018]
erzählen; die jetzt eine Schlacht mitliefern, jetzt das Er-
ſcheinen eines wunderſamen Himmelszeichens beobachten;
die bald über den nahen Weltuntergang predigen, bald
wieder ſich über ein Stachelſchwein, welches die deutſche
Kaiſerin im Kloſtergarten vorführen läßt, wundern und
freuen. Und wie die alten Mönche hier und da zwiſchen
die Pergamentblätter ihrer Hiſtorien und Meßbücher
hübſche, farbige, zierlich ausgeſchnittene Heiligenbilder
legten, ſo will auch ich ähnliche Blätter einflechten und
durch die eintönigen farbloſen Aufzeichnungen meiner
alten Tage friſchere blüthenvollere Ranken ſchlingen.
Ich, der Greis — der zweiten Kindheit nahe, will
von einem Kinde erzählen, deſſen Leben durch das meinige
ging wie ein Sonnenſtrahl, den an einem Regentage
Wind und Wolken über die Fluren jagen; der im Vor-
beigleiten Blumen und Steine küßt, und in derſelben
Minute das glückliche Geſicht der Mutter über der Wiege,
die heiße Stirn des Denkers über ſeinem Buche und die
bleichen Züge des Sterbenden ſtreifen kann. Ich ſchreibe
keinen Roman und kann mich wenig um den ſchrift-
ſtelleriſchen Contrapunkt bekümmern; was mir die Ver-
gangenheit gebracht hat, was mir die Gegenwart giebt,
will ich hier, in hübſche Rahmen gefaßt, zuſammenheften
und bin ich müde — nun ſo ſchlage ich dieſes Heft zu,
wühle weiter in meiner ſchweinsledernen Gelehrſamkeit
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