Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.er früh zu Bett gegangen. Im zweiten Fenster, mir Hier brütet das Genie über seinen "locibus," den Als die Tante Helene ihr Spiel beendet, erzähle ich er früh zu Bett gegangen. Im zweiten Fenſter, mir Hier brütet das Genie über ſeinen „locibus,“ den Als die Tante Helene ihr Spiel beendet, erzähle ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0177" n="167"/> er früh zu Bett gegangen. Im zweiten Fenſter, mir<lb/> gegenüber, ſteht ein ähnliches Nähtiſchchen, wie das,<lb/> vor welchem ich ſitze; ein Stickrahmen mit angefangener<lb/> Arbeit liegt darauf. — Das iſt Eliſen’s Platz; auch ſie<lb/> hat, wie Flämmchen, hier eine zweite Behauſung. —<lb/> Zwiſchen beiden Fenſtern, gegen das Licht gezogen, macht<lb/> ſich ein, einſt roth bemalt geweſener Tiſch breit; bedeckt<lb/> mit Büchern, Schreibzeug, Heften, Federmeſſern u. ſ. w.<lb/> u. ſ. w. bekritzelt, zerſchnitten, zerhackt, iſt er der Schau-<lb/> platz von Guſtav’s „ſtillen Freuden.“</p><lb/> <p>Hier brütet das Genie über ſeinen „<hi rendition="#aq">locibus,</hi>“ den<lb/> Kopf auf beide Fäuſte geſtützt und in den Haaren wüh-<lb/> lend; hier füllen ſich die Blätter mit Fratzen aller Art,<lb/> ſtatt mit lateiniſchen Phraſen; hier werden alle die<lb/> Dummheiten ausgebrütet, welche die Gaſſe in Verwun-<lb/> derung und Verwirrung ſetzen ſollen; hier werden mit<lb/> dem demüthigſten Geſicht, der reuevollſten Miene, die<lb/> Ermahnungen und Vorwürfe, welche die Mutter von<lb/> ihrem Thron herab auf das Haupt des Taugenichts der<lb/> Gaſſe ſchüttet, in Empfang genommen und richtig quittirt<lb/> durch — einen tollen Streich, eine Viertelſtunde nach-<lb/> her; hier, kurz hier — iſt Guſtav Berg’s Schreibtiſch! —</p><lb/> <p>Als die Tante Helene ihr Spiel beendet, erzähle ich<lb/> ihr die Geſchichte des Katzendiners, von dem ſie natür-<lb/> lich noch nicht das Mindeſte weiß.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [167/0177]
er früh zu Bett gegangen. Im zweiten Fenſter, mir
gegenüber, ſteht ein ähnliches Nähtiſchchen, wie das,
vor welchem ich ſitze; ein Stickrahmen mit angefangener
Arbeit liegt darauf. — Das iſt Eliſen’s Platz; auch ſie
hat, wie Flämmchen, hier eine zweite Behauſung. —
Zwiſchen beiden Fenſtern, gegen das Licht gezogen, macht
ſich ein, einſt roth bemalt geweſener Tiſch breit; bedeckt
mit Büchern, Schreibzeug, Heften, Federmeſſern u. ſ. w.
u. ſ. w. bekritzelt, zerſchnitten, zerhackt, iſt er der Schau-
platz von Guſtav’s „ſtillen Freuden.“
Hier brütet das Genie über ſeinen „locibus,“ den
Kopf auf beide Fäuſte geſtützt und in den Haaren wüh-
lend; hier füllen ſich die Blätter mit Fratzen aller Art,
ſtatt mit lateiniſchen Phraſen; hier werden alle die
Dummheiten ausgebrütet, welche die Gaſſe in Verwun-
derung und Verwirrung ſetzen ſollen; hier werden mit
dem demüthigſten Geſicht, der reuevollſten Miene, die
Ermahnungen und Vorwürfe, welche die Mutter von
ihrem Thron herab auf das Haupt des Taugenichts der
Gaſſe ſchüttet, in Empfang genommen und richtig quittirt
durch — einen tollen Streich, eine Viertelſtunde nach-
her; hier, kurz hier — iſt Guſtav Berg’s Schreibtiſch! —
Als die Tante Helene ihr Spiel beendet, erzähle ich
ihr die Geſchichte des Katzendiners, von dem ſie natür-
lich noch nicht das Mindeſte weiß.
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