Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Himmel, daß ich sie schnell wieder aufmachen mußte.
Ich dachte, ich wäre ganz allein, da kam auf einmal ein
wunderschöner gelber Schmetterling mit zwei großen
Augen in den Flügeln, die unten ganz spitz zu liefen,
der setzte sich dicht vor meinem Gesicht auf einen Halm
und sagte mit ganz feiner, feiner Stimme:

"Ein schönes Compliment, kleines Fräulein, und ob
Sie nicht zum Thee kommen wollten, zur Waldrosen-
königin?"

Der Herr Lehrer las in diesem Augenblick was vor,
ich hätte gern weiter zugehört und sagte es dem Schmet-
terling auch. Der aber sagte: bei der Königin säße ein
gelehrter Herr, Namens Brennnessel, der hielte gar nichts
von der Geschichte, ich solle daher nur dreist mitkommen.
Ich frug den Schmetterling: ob's sehr weit wäre; er
meinte: weit wär's nicht, aber wir müßten einen Um-
weg machen, da läge ein groß schwarz Thier im Grase,
das habe greulich nach ihm geschnappt, als er vorüber-
geflogen sei. Das war der arme Rezensent! Dann sagte
der Schmetterling: er müsse auch den giftigen Wolken
ausweichen, die da herumzögen und ihm seine hübschen
Flügel ganz schwarz machten. Das war des Onkel
Wimmer's Cigarrendampf! -- Ich war auf einmal
so klein geworden, daß mich der schöne gelbe Schmet-
terling ganz leicht auf seinen Rücken nehmen und fort-

Himmel, daß ich ſie ſchnell wieder aufmachen mußte.
Ich dachte, ich wäre ganz allein, da kam auf einmal ein
wunderſchöner gelber Schmetterling mit zwei großen
Augen in den Flügeln, die unten ganz ſpitz zu liefen,
der ſetzte ſich dicht vor meinem Geſicht auf einen Halm
und ſagte mit ganz feiner, feiner Stimme:

„Ein ſchönes Compliment, kleines Fräulein, und ob
Sie nicht zum Thee kommen wollten, zur Waldroſen-
königin?“

Der Herr Lehrer las in dieſem Augenblick was vor,
ich hätte gern weiter zugehört und ſagte es dem Schmet-
terling auch. Der aber ſagte: bei der Königin ſäße ein
gelehrter Herr, Namens Brennneſſel, der hielte gar nichts
von der Geſchichte, ich ſolle daher nur dreiſt mitkommen.
Ich frug den Schmetterling: ob’s ſehr weit wäre; er
meinte: weit wär’s nicht, aber wir müßten einen Um-
weg machen, da läge ein groß ſchwarz Thier im Graſe,
das habe greulich nach ihm geſchnappt, als er vorüber-
geflogen ſei. Das war der arme Rezenſent! Dann ſagte
der Schmetterling: er müſſe auch den giftigen Wolken
ausweichen, die da herumzögen und ihm ſeine hübſchen
Flügel ganz ſchwarz machten. Das war des Onkel
Wimmer’s Cigarrendampf! — Ich war auf einmal
ſo klein geworden, daß mich der ſchöne gelbe Schmet-
terling ganz leicht auf ſeinen Rücken nehmen und fort-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="127"/>
Himmel, daß ich &#x017F;ie &#x017F;chnell wieder aufmachen mußte.<lb/>
Ich dachte, ich wäre ganz allein, da kam auf einmal ein<lb/>
wunder&#x017F;chöner gelber Schmetterling mit zwei großen<lb/>
Augen in den Flügeln, die unten ganz &#x017F;pitz zu liefen,<lb/>
der &#x017F;etzte &#x017F;ich dicht vor meinem Ge&#x017F;icht auf einen Halm<lb/>
und &#x017F;agte mit ganz feiner, feiner Stimme:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein &#x017F;chönes Compliment, kleines Fräulein, und ob<lb/>
Sie nicht zum Thee kommen wollten, zur Waldro&#x017F;en-<lb/>
königin?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Herr Lehrer las in die&#x017F;em Augenblick was vor,<lb/>
ich hätte gern weiter zugehört und &#x017F;agte es dem Schmet-<lb/>
terling auch. Der aber &#x017F;agte: bei der Königin &#x017F;äße ein<lb/>
gelehrter Herr, Namens Brennne&#x017F;&#x017F;el, der hielte gar nichts<lb/>
von der Ge&#x017F;chichte, ich &#x017F;olle daher nur drei&#x017F;t mitkommen.<lb/>
Ich frug den Schmetterling: ob&#x2019;s &#x017F;ehr weit wäre; er<lb/>
meinte: weit wär&#x2019;s nicht, aber wir müßten einen Um-<lb/>
weg machen, da läge ein groß &#x017F;chwarz Thier im Gra&#x017F;e,<lb/>
das habe greulich nach ihm ge&#x017F;chnappt, als er vorüber-<lb/>
geflogen &#x017F;ei. Das war der arme Rezen&#x017F;ent! Dann &#x017F;agte<lb/>
der Schmetterling: er mü&#x017F;&#x017F;e auch den giftigen Wolken<lb/>
ausweichen, die da herumzögen und ihm &#x017F;eine hüb&#x017F;chen<lb/>
Flügel ganz &#x017F;chwarz machten. Das war des Onkel<lb/>
Wimmer&#x2019;s Cigarrendampf! &#x2014; Ich war auf einmal<lb/>
&#x017F;o klein geworden, daß mich der &#x017F;chöne gelbe Schmet-<lb/>
terling ganz leicht auf &#x017F;einen Rücken nehmen und fort-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0137] Himmel, daß ich ſie ſchnell wieder aufmachen mußte. Ich dachte, ich wäre ganz allein, da kam auf einmal ein wunderſchöner gelber Schmetterling mit zwei großen Augen in den Flügeln, die unten ganz ſpitz zu liefen, der ſetzte ſich dicht vor meinem Geſicht auf einen Halm und ſagte mit ganz feiner, feiner Stimme: „Ein ſchönes Compliment, kleines Fräulein, und ob Sie nicht zum Thee kommen wollten, zur Waldroſen- königin?“ Der Herr Lehrer las in dieſem Augenblick was vor, ich hätte gern weiter zugehört und ſagte es dem Schmet- terling auch. Der aber ſagte: bei der Königin ſäße ein gelehrter Herr, Namens Brennneſſel, der hielte gar nichts von der Geſchichte, ich ſolle daher nur dreiſt mitkommen. Ich frug den Schmetterling: ob’s ſehr weit wäre; er meinte: weit wär’s nicht, aber wir müßten einen Um- weg machen, da läge ein groß ſchwarz Thier im Graſe, das habe greulich nach ihm geſchnappt, als er vorüber- geflogen ſei. Das war der arme Rezenſent! Dann ſagte der Schmetterling: er müſſe auch den giftigen Wolken ausweichen, die da herumzögen und ihm ſeine hübſchen Flügel ganz ſchwarz machten. Das war des Onkel Wimmer’s Cigarrendampf! — Ich war auf einmal ſo klein geworden, daß mich der ſchöne gelbe Schmet- terling ganz leicht auf ſeinen Rücken nehmen und fort-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/137
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/137>, abgerufen am 24.11.2024.