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Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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soph hätte ihn um diesen Winkel beneiden können; die Aussicht auf Himmel und Erde, die freie Reichsstadt und die sehr unfreien Menschen in ihr war fast noch weiter reichend und umfassender als die von der Scharfrichterei. Die Einrichtung des Thurmes war die aller ähnlichen Warten. Der Eingang zu dem einzigen Gemach befand sich so hoch von der Erde, daß man nur vermittelst einer Leiter zu ihm gelangen konnte, einer Leiter, welche jeden Abend in die Höhe gezogen und in einem Winkel des Gemaches aufbewahrt wurde. Da der alte Kindler sich nicht mehr recht auf seine Beine verlassen konnte, so vergingen wohl Monden, ohne daß er den Fuß auf den Erdboden setzte; er war dazu auch viel zu sehr beschäftigt mit dem Studium einer Prudentia oeconomica, einer "Haushaltungsklugheit" in Schweinsleder, welches Werk seit seinem Lebensbankerott schier seine einzige Lectüre war, und welches seinen armen wirren Kopf noch immer verwirrter und confuser machte.

Vier Fenster oder vielmehr Schießscharten hatte das Wachtgemach, nach jeder Weltgegend eine Oeffnung zum Auslug. Eine kürzere Leiter führte aus dem Gemach auf die Plattform des Thurmes zu der verrosteten Karthaune, durch deren Losbrennen der Wächter anzeigte, daß etwas Verdächtiges am Horizont der Stadt aufsteige. Die viereckige Oeffnung, durch welche man auf die Plattform gelangte, konnte durch eine Klappe verschlossen werden.

In dem Wohn- und Wachtgemach befand sich eine

soph hätte ihn um diesen Winkel beneiden können; die Aussicht auf Himmel und Erde, die freie Reichsstadt und die sehr unfreien Menschen in ihr war fast noch weiter reichend und umfassender als die von der Scharfrichterei. Die Einrichtung des Thurmes war die aller ähnlichen Warten. Der Eingang zu dem einzigen Gemach befand sich so hoch von der Erde, daß man nur vermittelst einer Leiter zu ihm gelangen konnte, einer Leiter, welche jeden Abend in die Höhe gezogen und in einem Winkel des Gemaches aufbewahrt wurde. Da der alte Kindler sich nicht mehr recht auf seine Beine verlassen konnte, so vergingen wohl Monden, ohne daß er den Fuß auf den Erdboden setzte; er war dazu auch viel zu sehr beschäftigt mit dem Studium einer Prudentia oeconomica, einer “Haushaltungsklugheit“ in Schweinsleder, welches Werk seit seinem Lebensbankerott schier seine einzige Lectüre war, und welches seinen armen wirren Kopf noch immer verwirrter und confuser machte.

Vier Fenster oder vielmehr Schießscharten hatte das Wachtgemach, nach jeder Weltgegend eine Oeffnung zum Auslug. Eine kürzere Leiter führte aus dem Gemach auf die Plattform des Thurmes zu der verrosteten Karthaune, durch deren Losbrennen der Wächter anzeigte, daß etwas Verdächtiges am Horizont der Stadt aufsteige. Die viereckige Oeffnung, durch welche man auf die Plattform gelangte, konnte durch eine Klappe verschlossen werden.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T09:56:25Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T09:56:25Z)

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/25>, abgerufen am 25.11.2024.