Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Jacob Heyliger, einstiger Zinsmeister der Stadt, mit seiner Tochter Laurentia nun schon lange Jahre in tiefster Zurückgezogenheit. Auf dem Lug ins Land haus'te als Wächter Friedrich Martin Kindler, dessen Sohn Georg, genannt der schwarze Jürg, vor einem Jahre mit wundem Arm und wunder Brust aus dem Franzosenkriege heimgekehrt war. Auf der Scharfrichterei saß, ebenfalls seit einem Jahre, der neue Henker der Stadt, Wolf Scheffer. Da in jener Zeit, welche einige Leute ihres Glaubens, ihrer deutschen Biederkeit, Einfachheit, Treue und Gottesfurcht wegen willens sind, für die "gute alte" zu nehmen und sie uns Kindern des Tages solchergestalt bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit vor die Nase zu halten, das Amt eines Scharfrichters keine Sinecure war und da Uebung den Meister macht, so gab es damals die vortrefflichsten Meister in der schrecklichen Kunst, die Mitbürger dieser Welt auf die schmerzhafteste Weise zum Geständniß oder zum Tode zu bringen, und vor Allem konnte die freie Stadt Rothenburg stolz sein auf ihren Henker und war es auch. Wolf Scheffer war ein Schatz, ein Künstler in seinem Fach. Stets wurden Galgen und Rad auf das Kunstgerechteste versorgt, und wahrhaft meisterlich die blinde Göttin Themis und ein hochweiser Rath in dem Peinigkeller unter dem Rathhause unterstützt. Wie aber die Stadt in den Besitz dieses Schatzes kam, wie der vorige Scharfrichter mit Tode abging und Wolf Scheffer sein Nachfolger wurde, muß jetzt erzählt werden. Jacob Heyliger, einstiger Zinsmeister der Stadt, mit seiner Tochter Laurentia nun schon lange Jahre in tiefster Zurückgezogenheit. Auf dem Lug ins Land haus’te als Wächter Friedrich Martin Kindler, dessen Sohn Georg, genannt der schwarze Jürg, vor einem Jahre mit wundem Arm und wunder Brust aus dem Franzosenkriege heimgekehrt war. Auf der Scharfrichterei saß, ebenfalls seit einem Jahre, der neue Henker der Stadt, Wolf Scheffer. Da in jener Zeit, welche einige Leute ihres Glaubens, ihrer deutschen Biederkeit, Einfachheit, Treue und Gottesfurcht wegen willens sind, für die “gute alte“ zu nehmen und sie uns Kindern des Tages solchergestalt bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit vor die Nase zu halten, das Amt eines Scharfrichters keine Sinecure war und da Uebung den Meister macht, so gab es damals die vortrefflichsten Meister in der schrecklichen Kunst, die Mitbürger dieser Welt auf die schmerzhafteste Weise zum Geständniß oder zum Tode zu bringen, und vor Allem konnte die freie Stadt Rothenburg stolz sein auf ihren Henker und war es auch. Wolf Scheffer war ein Schatz, ein Künstler in seinem Fach. Stets wurden Galgen und Rad auf das Kunstgerechteste versorgt, und wahrhaft meisterlich die blinde Göttin Themis und ein hochweiser Rath in dem Peinigkeller unter dem Rathhause unterstützt. Wie aber die Stadt in den Besitz dieses Schatzes kam, wie der vorige Scharfrichter mit Tode abging und Wolf Scheffer sein Nachfolger wurde, muß jetzt erzählt werden. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0010"/> Jacob Heyliger, einstiger Zinsmeister der Stadt, mit seiner Tochter Laurentia nun schon lange Jahre in tiefster Zurückgezogenheit. Auf dem Lug ins Land haus’te als Wächter Friedrich Martin Kindler, dessen Sohn Georg, genannt der schwarze Jürg, vor einem Jahre mit wundem Arm und wunder Brust aus dem Franzosenkriege heimgekehrt war. Auf der Scharfrichterei saß, ebenfalls seit einem Jahre, der neue Henker der Stadt, Wolf Scheffer.</p><lb/> <p>Da in jener Zeit, welche einige Leute ihres Glaubens, ihrer deutschen Biederkeit, Einfachheit, Treue und Gottesfurcht wegen willens sind, für die “gute alte“ zu nehmen und sie uns Kindern des Tages solchergestalt bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit vor die Nase zu halten, das Amt eines Scharfrichters keine Sinecure war und da Uebung den Meister macht, so gab es damals die vortrefflichsten Meister in der schrecklichen Kunst, die Mitbürger dieser Welt auf die schmerzhafteste Weise zum Geständniß oder zum Tode zu bringen, und vor Allem konnte die freie Stadt Rothenburg stolz sein auf ihren Henker und war es auch. Wolf Scheffer war ein Schatz, ein Künstler in seinem Fach. Stets wurden Galgen und Rad auf das Kunstgerechteste versorgt, und wahrhaft meisterlich die blinde Göttin Themis und ein hochweiser Rath in dem Peinigkeller unter dem Rathhause unterstützt. Wie aber die Stadt in den Besitz dieses Schatzes kam, wie der vorige Scharfrichter mit Tode abging und Wolf Scheffer sein Nachfolger wurde, muß jetzt erzählt werden.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Jacob Heyliger, einstiger Zinsmeister der Stadt, mit seiner Tochter Laurentia nun schon lange Jahre in tiefster Zurückgezogenheit. Auf dem Lug ins Land haus’te als Wächter Friedrich Martin Kindler, dessen Sohn Georg, genannt der schwarze Jürg, vor einem Jahre mit wundem Arm und wunder Brust aus dem Franzosenkriege heimgekehrt war. Auf der Scharfrichterei saß, ebenfalls seit einem Jahre, der neue Henker der Stadt, Wolf Scheffer.
Da in jener Zeit, welche einige Leute ihres Glaubens, ihrer deutschen Biederkeit, Einfachheit, Treue und Gottesfurcht wegen willens sind, für die “gute alte“ zu nehmen und sie uns Kindern des Tages solchergestalt bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit vor die Nase zu halten, das Amt eines Scharfrichters keine Sinecure war und da Uebung den Meister macht, so gab es damals die vortrefflichsten Meister in der schrecklichen Kunst, die Mitbürger dieser Welt auf die schmerzhafteste Weise zum Geständniß oder zum Tode zu bringen, und vor Allem konnte die freie Stadt Rothenburg stolz sein auf ihren Henker und war es auch. Wolf Scheffer war ein Schatz, ein Künstler in seinem Fach. Stets wurden Galgen und Rad auf das Kunstgerechteste versorgt, und wahrhaft meisterlich die blinde Göttin Themis und ein hochweiser Rath in dem Peinigkeller unter dem Rathhause unterstützt. Wie aber die Stadt in den Besitz dieses Schatzes kam, wie der vorige Scharfrichter mit Tode abging und Wolf Scheffer sein Nachfolger wurde, muß jetzt erzählt werden.
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