herzigkeit; aber für Unsereinen hat Er kein Auge mehr übrig. Alles sucht Er sich zusammen im Himmel und auf Erden und läßt es sich von den Jungens oder unsern Knechten bringen, wenn sie meinen, daß es was für Ihn ist; aber für uns hat Er keine Zeit mehr übrig. Ach du lieber Gott und wir kuken doch Alle in der Bedrängniß nach Ihm, wenn der Herr Magister es auch nicht wissen. Und wenn Er über den Hof geht, hat Er hinter jeder Stallthür und hinter jedem Fenster Einen, der mit Ihm sprechen möchte; wenn der Herr Magister auch keinen Gedanken daran haben. Und merken lassen kann es ja Keiner von uns, wie es sich für solch' einen gelehrten Herrn schickt, wie wir uns zu gern auf Ihn um Rath und That und Trost verlassen möchten. Mit der Schrift kann es ja Keiner vom Kloster Ihm zu wissen thun, daß wir Alle wissen, daß Er allein hier in Amelungsborn aus der alten Zeit her und der frühern Gelehrsamkeit uns zu Trost und Rath und Hülfe sein kann, wenn der Herr Magister nur wollen. Aber Er will ja nicht --"
"Gütiger Himmel, weßhalb will er denn nicht?" stammelte Magister und Exkollaborator Buchius, zum allerersten Mal in seinem Leben, und zwar jetzt zu seiner zitternden Ueberraschung, gewahr werdend, daß auch er auf der Wagschaale mitwiege, daß auch er von wirklicher angsthaft gefühlter Bedeutung für ein anderes Menschenkind, für andere -- ausgewachsene Leute sein könne. "So laß doch das Gejammere, das Geweine,
herzigkeit; aber für Unſereinen hat Er kein Auge mehr übrig. Alles ſucht Er ſich zuſammen im Himmel und auf Erden und läßt es ſich von den Jungens oder unſern Knechten bringen, wenn ſie meinen, daß es was für Ihn iſt; aber für uns hat Er keine Zeit mehr übrig. Ach du lieber Gott und wir kuken doch Alle in der Bedrängniß nach Ihm, wenn der Herr Magiſter es auch nicht wiſſen. Und wenn Er über den Hof geht, hat Er hinter jeder Stallthür und hinter jedem Fenſter Einen, der mit Ihm ſprechen möchte; wenn der Herr Magiſter auch keinen Gedanken daran haben. Und merken laſſen kann es ja Keiner von uns, wie es ſich für ſolch' einen gelehrten Herrn ſchickt, wie wir uns zu gern auf Ihn um Rath und That und Troſt verlaſſen möchten. Mit der Schrift kann es ja Keiner vom Kloſter Ihm zu wiſſen thun, daß wir Alle wiſſen, daß Er allein hier in Amelungsborn aus der alten Zeit her und der frühern Gelehrſamkeit uns zu Troſt und Rath und Hülfe ſein kann, wenn der Herr Magiſter nur wollen. Aber Er will ja nicht —“
„Gütiger Himmel, weßhalb will er denn nicht?“ ſtammelte Magiſter und Exkollaborator Buchius, zum allererſten Mal in ſeinem Leben, und zwar jetzt zu ſeiner zitternden Ueberraſchung, gewahr werdend, daß auch er auf der Wagſchaale mitwiege, daß auch er von wirklicher angſthaft gefühlter Bedeutung für ein anderes Menſchenkind, für andere — ausgewachſene Leute ſein könne. „So laß doch das Gejammere, das Geweine,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0068"n="60"/>
herzigkeit; aber für Unſereinen hat Er kein Auge mehr<lb/>
übrig. Alles ſucht Er ſich zuſammen im Himmel und<lb/>
auf Erden und läßt es ſich von den Jungens oder<lb/>
unſern Knechten bringen, wenn ſie meinen, daß es was<lb/>
für Ihn iſt; aber für uns hat Er keine Zeit mehr<lb/>
übrig. Ach du lieber Gott und wir kuken doch Alle in<lb/>
der Bedrängniß nach Ihm, wenn der Herr Magiſter<lb/>
es auch nicht wiſſen. Und wenn Er über den Hof<lb/>
geht, hat Er hinter jeder Stallthür und hinter jedem<lb/>
Fenſter Einen, der mit Ihm ſprechen möchte; wenn der<lb/>
Herr Magiſter auch keinen Gedanken daran haben.<lb/>
Und merken laſſen kann es ja Keiner von uns, wie es<lb/>ſich für ſolch' einen gelehrten Herrn ſchickt, wie wir uns<lb/>
zu gern auf Ihn um Rath und That und Troſt verlaſſen<lb/>
möchten. Mit der Schrift kann es ja Keiner vom Kloſter<lb/>
Ihm zu wiſſen thun, daß wir Alle wiſſen, daß Er allein<lb/>
hier in Amelungsborn aus der alten Zeit her und der<lb/>
frühern Gelehrſamkeit uns zu Troſt und Rath und<lb/>
Hülfe ſein kann, wenn der Herr Magiſter nur wollen.<lb/>
Aber Er will ja nicht —“</p><lb/><p>„Gütiger Himmel, weßhalb will er denn nicht?“<lb/>ſtammelte Magiſter und Exkollaborator Buchius, zum<lb/>
allererſten Mal in ſeinem Leben, und zwar jetzt zu<lb/>ſeiner zitternden Ueberraſchung, gewahr werdend, daß<lb/>
auch er auf der Wagſchaale mitwiege, daß auch er von<lb/>
wirklicher angſthaft gefühlter Bedeutung für ein anderes<lb/>
Menſchenkind, für andere — ausgewachſene Leute ſein<lb/>
könne. „So laß doch das Gejammere, das Geweine,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[60/0068]
herzigkeit; aber für Unſereinen hat Er kein Auge mehr
übrig. Alles ſucht Er ſich zuſammen im Himmel und
auf Erden und läßt es ſich von den Jungens oder
unſern Knechten bringen, wenn ſie meinen, daß es was
für Ihn iſt; aber für uns hat Er keine Zeit mehr
übrig. Ach du lieber Gott und wir kuken doch Alle in
der Bedrängniß nach Ihm, wenn der Herr Magiſter
es auch nicht wiſſen. Und wenn Er über den Hof
geht, hat Er hinter jeder Stallthür und hinter jedem
Fenſter Einen, der mit Ihm ſprechen möchte; wenn der
Herr Magiſter auch keinen Gedanken daran haben.
Und merken laſſen kann es ja Keiner von uns, wie es
ſich für ſolch' einen gelehrten Herrn ſchickt, wie wir uns
zu gern auf Ihn um Rath und That und Troſt verlaſſen
möchten. Mit der Schrift kann es ja Keiner vom Kloſter
Ihm zu wiſſen thun, daß wir Alle wiſſen, daß Er allein
hier in Amelungsborn aus der alten Zeit her und der
frühern Gelehrſamkeit uns zu Troſt und Rath und
Hülfe ſein kann, wenn der Herr Magiſter nur wollen.
Aber Er will ja nicht —“
„Gütiger Himmel, weßhalb will er denn nicht?“
ſtammelte Magiſter und Exkollaborator Buchius, zum
allererſten Mal in ſeinem Leben, und zwar jetzt zu
ſeiner zitternden Ueberraſchung, gewahr werdend, daß
auch er auf der Wagſchaale mitwiege, daß auch er von
wirklicher angſthaft gefühlter Bedeutung für ein anderes
Menſchenkind, für andere — ausgewachſene Leute ſein
könne. „So laß doch das Gejammere, das Geweine,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/68>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.