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Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889.

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ihn verzichtet hatten, das heißt denen noch nicht das
Lebenslicht ausgeblasen war.

Der Magister Buchius wußte durch den Glocken¬
schlag jetzt wenigstens wieder, wo Amelungsborn lag
und nach welcher Himmelsgegend hin er auf irgend
einer Hintertreppe auch seine Zelle wahrscheinlich wieder
erreichen konnte. Aber er wandte sich nicht; er wen¬
dete sich nicht nach dem Südwesten zurück. Er fühlte
sich in diesem Moment wahrlich nicht der Welt ge¬
wachsen wie der tapfere Professor Gottsched dem bösen
Magister Lessing.

Er war dem Weinen nahe -- der gute alte Herr,
der den bösesten seiner Quintaner nicht hatte weinen
sehen können. Sich im ziehenden Qualm bei währender
Schlacht unter einen triefenden kahlen Dornbusch zu
setzen, den greisen Kopf auf die Kniee zu legen, die
Arme um die Kniee zu schlingen und auf alles Nach¬
eifern hoher Exempla von menschlicher Fortitudo Ver¬
zicht zu thun: das war's, was ihm um diese Stunde
als das einzig ihm Uebriggebliebene erschien.

Ach, hätte er nur eine Ahnung davon gehabt, daß
um dieselbige Stunden auf den Höhen des Iths über
dem Kanonenfeuer des Bückeburgers und des Colonels
Beckwith der große Kriegesfürst, der zweite große
blutige Feldherr des siebenjährigen Krieges, der gute
Herzog Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg ganz in
der nämlichen Stimmung war. Nämlich in der Er¬
wartung, daß wieder einmal Alles vergeblich sei und

ihn verzichtet hatten, das heißt denen noch nicht das
Lebenslicht ausgeblaſen war.

Der Magiſter Buchius wußte durch den Glocken¬
ſchlag jetzt wenigſtens wieder, wo Amelungsborn lag
und nach welcher Himmelsgegend hin er auf irgend
einer Hintertreppe auch ſeine Zelle wahrſcheinlich wieder
erreichen konnte. Aber er wandte ſich nicht; er wen¬
dete ſich nicht nach dem Südweſten zurück. Er fühlte
ſich in dieſem Moment wahrlich nicht der Welt ge¬
wachſen wie der tapfere Profeſſor Gottſched dem böſen
Magiſter Leſſing.

Er war dem Weinen nahe — der gute alte Herr,
der den böſeſten ſeiner Quintaner nicht hatte weinen
ſehen können. Sich im ziehenden Qualm bei währender
Schlacht unter einen triefenden kahlen Dornbuſch zu
ſetzen, den greiſen Kopf auf die Kniee zu legen, die
Arme um die Kniee zu ſchlingen und auf alles Nach¬
eifern hoher Exempla von menſchlicher Fortitudo Ver¬
zicht zu thun: das war's, was ihm um dieſe Stunde
als das einzig ihm Uebriggebliebene erſchien.

Ach, hätte er nur eine Ahnung davon gehabt, daß
um dieſelbige Stunden auf den Höhen des Iths über
dem Kanonenfeuer des Bückeburgers und des Colonels
Beckwith der große Kriegesfürſt, der zweite große
blutige Feldherr des ſiebenjährigen Krieges, der gute
Herzog Ferdinand von Braunſchweig-Lüneburg ganz in
der nämlichen Stimmung war. Nämlich in der Er¬
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[153/0161] ihn verzichtet hatten, das heißt denen noch nicht das Lebenslicht ausgeblaſen war. Der Magiſter Buchius wußte durch den Glocken¬ ſchlag jetzt wenigſtens wieder, wo Amelungsborn lag und nach welcher Himmelsgegend hin er auf irgend einer Hintertreppe auch ſeine Zelle wahrſcheinlich wieder erreichen konnte. Aber er wandte ſich nicht; er wen¬ dete ſich nicht nach dem Südweſten zurück. Er fühlte ſich in dieſem Moment wahrlich nicht der Welt ge¬ wachſen wie der tapfere Profeſſor Gottſched dem böſen Magiſter Leſſing. Er war dem Weinen nahe — der gute alte Herr, der den böſeſten ſeiner Quintaner nicht hatte weinen ſehen können. Sich im ziehenden Qualm bei währender Schlacht unter einen triefenden kahlen Dornbuſch zu ſetzen, den greiſen Kopf auf die Kniee zu legen, die Arme um die Kniee zu ſchlingen und auf alles Nach¬ eifern hoher Exempla von menſchlicher Fortitudo Ver¬ zicht zu thun: das war's, was ihm um dieſe Stunde als das einzig ihm Uebriggebliebene erſchien. Ach, hätte er nur eine Ahnung davon gehabt, daß um dieſelbige Stunden auf den Höhen des Iths über dem Kanonenfeuer des Bückeburgers und des Colonels Beckwith der große Kriegesfürſt, der zweite große blutige Feldherr des ſiebenjährigen Krieges, der gute Herzog Ferdinand von Braunſchweig-Lüneburg ganz in der nämlichen Stimmung war. Nämlich in der Er¬ wartung, daß wieder einmal Alles vergeblich ſei und

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Das Odfeld. Leipzig, 1889, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_odfeld_1889/161>, abgerufen am 21.11.2024.