genommen würde, um unter bessere Zucht und strengere Obhut zu kommen, als sie, und ein bißchen auch ich, leisten können. Aber sie will ihre Helene für den lebenden Vater bei sich aufbewahren, und ich frage mich bei Allem: was würde Valentin dazu sagen? Was würde der todte Vater zu Dir und Deinem Velten sagen? Und das nimmt mir auch gegen Agathe alle Waffen aus der Hand. Ja, schütteln Sie nur den Kopf, Nachbar; Sie haben vollkommen Recht: wir bedürfen eines Vormundes auch wo, oder besonders wo, wie in unserem Fall, unsere Kinder und unsere Männer für uns armen Weibsleute mit im Spiel sind. Freilich ist's kein dankbares Geschäft, gerade da den Vor¬ mund spielen zu müssen! Leider wissen Sie das auch mir gegenüber aus tausendfacher Erfahrung Nachbar Krumhardt; also" -- und so weiter und so weiter noch eine geraume Weile.
Aber mein Vater hielt sich auch schon seit einer geraumen Weile den Kopf mit beiden Händen um nicht zu sagen: mit beiden Händen die Ohren zu. Was sie sagen wollte, die Frau Doktorin Amalie Andres, wußte er wohl; jedoch wie sie es heraus¬ brachte, das ging ihm doch über die Bäume, nicht nur seines Hausgartens, sondern auch des ganzen Vogelsangs. Und noch dazu in Gegenwart der
W. Raabe. Die Akten des Vogelsangs. 5
genommen würde, um unter beſſere Zucht und ſtrengere Obhut zu kommen, als ſie, und ein bißchen auch ich, leiſten können. Aber ſie will ihre Helene für den lebenden Vater bei ſich aufbewahren, und ich frage mich bei Allem: was würde Valentin dazu ſagen? Was würde der todte Vater zu Dir und Deinem Velten ſagen? Und das nimmt mir auch gegen Agathe alle Waffen aus der Hand. Ja, ſchütteln Sie nur den Kopf, Nachbar; Sie haben vollkommen Recht: wir bedürfen eines Vormundes auch wo, oder beſonders wo, wie in unſerem Fall, unſere Kinder und unſere Männer für uns armen Weibsleute mit im Spiel ſind. Freilich iſt's kein dankbares Geſchäft, gerade da den Vor¬ mund ſpielen zu müſſen! Leider wiſſen Sie das auch mir gegenüber aus tauſendfacher Erfahrung Nachbar Krumhardt; alſo“ — und ſo weiter und ſo weiter noch eine geraume Weile.
Aber mein Vater hielt ſich auch ſchon ſeit einer geraumen Weile den Kopf mit beiden Händen um nicht zu ſagen: mit beiden Händen die Ohren zu. Was ſie ſagen wollte, die Frau Doktorin Amalie Andres, wußte er wohl; jedoch wie ſie es heraus¬ brachte, das ging ihm doch über die Bäume, nicht nur ſeines Hausgartens, ſondern auch des ganzen Vogelſangs. Und noch dazu in Gegenwart der
W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 5
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0075"n="65"/>
genommen würde, um unter beſſere Zucht und<lb/>ſtrengere Obhut zu kommen, als ſie, und ein bißchen<lb/>
auch ich, leiſten können. Aber ſie will ihre Helene<lb/>
für den lebenden Vater bei ſich aufbewahren, und<lb/>
ich frage mich bei Allem: was würde Valentin dazu<lb/>ſagen? Was würde der todte Vater zu Dir und<lb/>
Deinem Velten ſagen? Und das nimmt mir auch<lb/>
gegen Agathe alle Waffen aus der Hand. Ja,<lb/>ſchütteln Sie nur den Kopf, Nachbar; Sie haben<lb/>
vollkommen Recht: wir bedürfen eines Vormundes<lb/>
auch wo, oder beſonders wo, wie in unſerem Fall,<lb/>
unſere Kinder und unſere Männer für uns armen<lb/>
Weibsleute mit im Spiel ſind. Freilich iſt's<lb/>
kein dankbares Geſchäft, gerade da den Vor¬<lb/>
mund ſpielen zu müſſen! Leider wiſſen Sie das<lb/>
auch mir gegenüber aus tauſendfacher Erfahrung<lb/>
Nachbar Krumhardt; alſo“— und ſo weiter und<lb/>ſo weiter noch eine geraume Weile.</p><lb/><p>Aber mein Vater hielt ſich auch ſchon ſeit einer<lb/>
geraumen Weile den Kopf mit beiden Händen um<lb/>
nicht zu ſagen: mit beiden Händen die Ohren zu.<lb/>
Was ſie ſagen wollte, die Frau Doktorin Amalie<lb/>
Andres, wußte er wohl; jedoch wie ſie es heraus¬<lb/>
brachte, das ging ihm doch über die Bäume, nicht<lb/>
nur ſeines Hausgartens, ſondern auch des ganzen<lb/>
Vogelſangs. Und noch dazu in Gegenwart der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 5<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[65/0075]
genommen würde, um unter beſſere Zucht und
ſtrengere Obhut zu kommen, als ſie, und ein bißchen
auch ich, leiſten können. Aber ſie will ihre Helene
für den lebenden Vater bei ſich aufbewahren, und
ich frage mich bei Allem: was würde Valentin dazu
ſagen? Was würde der todte Vater zu Dir und
Deinem Velten ſagen? Und das nimmt mir auch
gegen Agathe alle Waffen aus der Hand. Ja,
ſchütteln Sie nur den Kopf, Nachbar; Sie haben
vollkommen Recht: wir bedürfen eines Vormundes
auch wo, oder beſonders wo, wie in unſerem Fall,
unſere Kinder und unſere Männer für uns armen
Weibsleute mit im Spiel ſind. Freilich iſt's
kein dankbares Geſchäft, gerade da den Vor¬
mund ſpielen zu müſſen! Leider wiſſen Sie das
auch mir gegenüber aus tauſendfacher Erfahrung
Nachbar Krumhardt; alſo“ — und ſo weiter und
ſo weiter noch eine geraume Weile.
Aber mein Vater hielt ſich auch ſchon ſeit einer
geraumen Weile den Kopf mit beiden Händen um
nicht zu ſagen: mit beiden Händen die Ohren zu.
Was ſie ſagen wollte, die Frau Doktorin Amalie
Andres, wußte er wohl; jedoch wie ſie es heraus¬
brachte, das ging ihm doch über die Bäume, nicht
nur ſeines Hausgartens, ſondern auch des ganzen
Vogelſangs. Und noch dazu in Gegenwart der
W. Raabe. Die Akten des Vogelſangs. 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/75>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.